Einwanderung

Der stille Rumäne

Von Marko Martin |
Der Westschweizer Schriftsteller Eugène hat mit seinem Einwanderroman ein literarisches Kleinod geschaffen: Eugène verbringt seine Kindheit im rumänischen Sozialismus, bis seine Familie in die Schweiz auswandert. Zauberhaft beschreibt er seine Schweizer Jugend - ein Buch durchzogen von lichter Neugier.
Was für ein zauberhaftes Buch! Eine Schweizer Jugend, die einmal nicht gezeichnet ist vom Ennui und bourgeoisen Selbsthass à la Fritz Zorn. Stattdessen machen wir Bekanntschaft mit der Welt des rätoromanischen Schriftstellers Eugène, der - und dies im ebenfalls frappierenden Gegensatz zu seinem berühmten Landsmann Jacques Chessex - das Leben in der französischsprachigen Westschweiz nicht in dunkel dräuenden Metaphern beschreibt, sondern mit lichter Neugier. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass Eugène (das quasi halbe Pseudonym von Eugène Meiltz) seine Kindheit im stalinistischen Ceausescu-Rumänien verbracht hatte, ehe ihm und seinen Eltern die Ausreise gestattet wurde.
Die heile Großmutter-Welt, an die er sich nun in seinem autobiografischen Roman "Ein unfassbares Land" erinnert, konnte nämlich kaum schützen gegen die Brutalität eines Alltags, in welchem nicht nur das Bildnis des Diktators omnipräsent war, sondern auch Angst und Demütigung. So kann er bis heute nicht vergessen, wie ihm als damals Siebenjährigen im September 1975 die Schuldirektorin die geliebte ABC-Fibel aus der Hand gerissen hatte: "Die Fibel ist Eigentum des rumänischen Staates. Gib sie mir und verlass meine Schule."
Kultur als rosaroter Panther
In Lausanne bleibt das Einwanderer-Kind dann nur einmal stecken – als bei einer Bergwanderung sein nicht gebirgskompatibler Schuh im Schlamm verschwindet und er zur Gaudi der Mitschüler durch das unwegsame Gelände hüpfen muss. Wie gut deshalb, dass es die Kultur gibt – die populäre in Gestalt des "Rosaroten Panthers" und der beliebten Fernsehshow des noch heute agilen Michel Drucker, jedoch auch die literarische, in diesem Fall symbolisiert vom berühmten französischen TV-Kritiker Bernard Pivot. Dieser taucht irgendwann samt Übertragungswagen in Lausanne auf, um einen Mann zu interviewen, den das Kind Eugène nur als täglichen Spaziergänger kennt: Georges Simenon sein Name.
Mögen aber auch - nicht zuletzt zum Ergötzen des frankophilen deutschen Lesers - diese Referenzpersonen eben französisch und nicht schweizerisch sozialisiert sein: Der Heranwachsende leidet weniger an der betulichen Eidgenossenschaft als an den Unzulänglichkeiten des eigenen Körpers. Wie es ihm, dem Stillen aus Rumänien, dann zusammen mit seinen Schulfreunden der Gruppe "Sakaryn" gelingt, im Jahre 1990 mit dem Ska-Song "Clara" sogar einen späteren Charts-Hit zu schreiben, lese man am besten selbst.
Die damalige Selbstbefreiung des schüchternen Jungen ist zwar auch auf einem bei Youtube gespeicherten Video zu sehen, doch der heutige Romancier vermag noch viel mehr: Vom mitunter unerträglichen Gewicht der Welt zu wissen und auch den Tod des Vaters zu verarbeiten - und dennoch auf das Federleichte zu vertrauen, als humanen Kontrapunkt. Die fluide Übersetzung Tatjana Michaelis´ tut dann ein übriges, um dieses trotz allen Schmerzes derart sonnenhelle Buch zum berückendsten dieses Frühjahrs zu machen.

Eugene Eugène: Ein unfassbares Land
Aus dem Französischen von Tatjana Michaelis
Verlag Nagel & Kimche, München 2014
171 Seiten, 17,90 Euro