Migranten - ungewollt und ignoriert
Lange Zeit sah sich die Bundesrepublik nicht als Einwanderungsland, obwohl Migration de facto schon direkt nach dem Krieg einsetzte. Wie schwer sich die Deutschen mit der realen Migration taten, zeigen schon die Begriffe: von "Flüchtling" über "Gastarbeiter" hin zum "Ausländer".
Kein Einwanderungsland – nach 1945 war das in der Bundesrepublik lange die Selbstwahrnehmung: Obwohl die historischen Fakten dagegen sprechen:
Ulrich Herbert: "Die erste Phase ist zweifellos die der deutschen Flüchtlinge aus den Ostgebieten, dann beginnt schon die Phase der DDR-Flüchtlinge und 1956 die ersten Asylbewerber, die Flüchtlinge aus Ungarn, nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand."
Ulrich Herbert: "Die erste Phase ist zweifellos die der deutschen Flüchtlinge aus den Ostgebieten, dann beginnt schon die Phase der DDR-Flüchtlinge und 1956 die ersten Asylbewerber, die Flüchtlinge aus Ungarn, nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand."
"Gastarbeiter, "Asylant" – was die Begriffe verraten
Ulrich Herbert, Freiburger Historiker, der seit Jahren auch zur Migrationspolitik in Deutschland forscht. Die Begriffe, mit denen in Deutschland über die Ankommenden gesprochen wurde, sprechen für sich: In den 50er-Jahren war es die Figur des "Flüchtlings", in den 60er- und 70er-Jahren der "Gastarbeiter", in den 80er-Jahren der "Ausländer", der "Asylbewerber", gar der "Asylant".
Einwanderer oder Migrant wurde lange Zeit nicht verwendet. Serhat Karakayali vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung:
"Man sagt nicht Migrant, weil es bis Ende der 90er Jahre kein Verständnis davon gab, dass Leute, die von wo anders kommen, auch bleiben würden. Das ist interessanter Weise auch für die sogenannten 'Vertrieben' so der Fall gewesen. Diese Organisation dachten bis in die 70er-Jahre, dass es eine Wiederansiedlung geben müsse... Auch dort gibt es nicht die Vorstellung einer endgültigen Einwanderung in gewisser Weise."
Noch deutlicher wird es, als dann in der ökonomischen Boomphase der Nachkriegszeit Arbeitskräfte angeworben wurden, aus Italien, Portugal, Jugoslawien …. der Türkei:
"Man sagt nicht Migrant, weil es bis Ende der 90er Jahre kein Verständnis davon gab, dass Leute, die von wo anders kommen, auch bleiben würden. Das ist interessanter Weise auch für die sogenannten 'Vertrieben' so der Fall gewesen. Diese Organisation dachten bis in die 70er-Jahre, dass es eine Wiederansiedlung geben müsse... Auch dort gibt es nicht die Vorstellung einer endgültigen Einwanderung in gewisser Weise."
Noch deutlicher wird es, als dann in der ökonomischen Boomphase der Nachkriegszeit Arbeitskräfte angeworben wurden, aus Italien, Portugal, Jugoslawien …. der Türkei:
Songausschnitt – Cem Karaca:
Man brauchte unsere Arbeitskraft,
Die Kraft die was am Fließband schafft.
Wir Menschen waren nicht interessant,
Darum blieben wir euch unbekannt.
Aman aman Gastarbeiter
Aman aman Gastarbeiter
Man brauchte unsere Arbeitskraft,
Die Kraft die was am Fließband schafft.
Wir Menschen waren nicht interessant,
Darum blieben wir euch unbekannt.
Aman aman Gastarbeiter
Aman aman Gastarbeiter
"Die gehen heim"
"Der Begriff des Gastarbeiters legt natürlich eine ganz spezifische Form der Beziehung zum Migranten, der Migration nahe, nämlich dass eigentlich keine Migration stattfindet. Die ganz grundlegende Wahrnehmung aller beteiligten Akteure in den 60er Jahren war, dass das eigentlich keine Migration ist."
Song weiter:
Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an
Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an
1973, mit einsetzender wirtschaftlicher Krise, wurde die Anwerbung von "Gastarbeitern" gestoppt, die Erwartung war, dass diese wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren.
"In den 80er-Jahren, obwohl die Leute ja trotz des Endes des Rekrutierungssystems geblieben waren, da hat man immer noch nicht das Vokabular geändert. 'Ausländer' beschreibt das ja ganz gut, da geht es ja nur um den Status des Nicht-Dazugehörens."
Herbert: "Wir sehen, rückwärtsgewandt, dass es sich um einen Einwanderungsprozess handelte, subjektiv von den Zeitgenossen, auf deutscher Seite wie auf Seiten der Ausländer, war das durchaus nicht so klar."
Der Mythos des temporären Aufenthalts
Der Mythos von der Rückkehr und eines nur temporären Aufenthalts in Deutschland bestimmte lange Zeit das Denken und Handel der Politik, der deutschen Gesellschaft, aber auch der Ankommenden selbst. Wer nicht auf Dauer bleibt, muss auch nicht ankommen, lange Zeit war die deutsche Politik darauf ausgelegt.
Dabei - schon 1979 forderte der Ausländerbeauftragte der Bundesregierung anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei.
Doch im politischen Klima der 80er-Jahre war dies nicht durchzusetzen: Wirtschaftskrise und ein enormer Anstieg der Zuwanderung über die Asylgesetzgebung sorgten für eine stark politisierte Debatte über die "Ausländerpolitik". Helmut Kohl setzte die Ausländerpolitik als einen der vier Schwerpunkte seiner Regierung. Ein Instrument war eine Rückkehrprämie:
"Ein einmaliger Betrag, zum Teil wurden auch die Rentenanwartschaften ausbezahlt, mit diesem Geld dann zu hoffen, dass die Gastarbeiter zurückgehen und sich in der Türkei ein Taxi kaufen, das ist so die klassische Vorstellung gewesen. Da gab es auch eine große Kampagne und Gesetzgebung unter Helmut Kohl, das ist aber ziemlich daneben gegangen, weil der Anteil derer, die zurückgegangen sind, nur unwesentlich höher war als die, die ohnehin durch die regelmäßige Hin- und Rückbewegung zurückgegangen wären."
Die Kinder der Einwanderer, der ehemaligen Gastarbeiter, wurden teils sogar, getrennt von den anderen Schülerinnen, in der Sprache des Herkunftslandes ihrer Eltern unterrichtet, um die "Rückkehroption" offen zu halten.
"Es war also ein Anti-Integrations-Programm."
Dabei - schon 1979 forderte der Ausländerbeauftragte der Bundesregierung anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei.
Doch im politischen Klima der 80er-Jahre war dies nicht durchzusetzen: Wirtschaftskrise und ein enormer Anstieg der Zuwanderung über die Asylgesetzgebung sorgten für eine stark politisierte Debatte über die "Ausländerpolitik". Helmut Kohl setzte die Ausländerpolitik als einen der vier Schwerpunkte seiner Regierung. Ein Instrument war eine Rückkehrprämie:
"Ein einmaliger Betrag, zum Teil wurden auch die Rentenanwartschaften ausbezahlt, mit diesem Geld dann zu hoffen, dass die Gastarbeiter zurückgehen und sich in der Türkei ein Taxi kaufen, das ist so die klassische Vorstellung gewesen. Da gab es auch eine große Kampagne und Gesetzgebung unter Helmut Kohl, das ist aber ziemlich daneben gegangen, weil der Anteil derer, die zurückgegangen sind, nur unwesentlich höher war als die, die ohnehin durch die regelmäßige Hin- und Rückbewegung zurückgegangen wären."
Die Kinder der Einwanderer, der ehemaligen Gastarbeiter, wurden teils sogar, getrennt von den anderen Schülerinnen, in der Sprache des Herkunftslandes ihrer Eltern unterrichtet, um die "Rückkehroption" offen zu halten.
"Es war also ein Anti-Integrations-Programm."
Unbemerkter Einwanderungsprozess
Und doch, so Herbert, ein langsamer und unbemerkter Einwanderungsprozess. Der mit der lange Zeit vorherrschenden Vorstellung eines "homogenen Deutschlands" kollidierte, in der kein Platz für kulturelle Differenzen und Vielfalt möglich war.
"Hier gibt es die Vorstellung, dass das 'normale', das 'wirkliche', das 'einfache', das in gewisser Weise auch normativ zu bestimmende Leben, das ist in einer völkisch homogenen Umgebung, so müsse es eigentlich sein, und da kommen Fremdkörper hinein. Das hängt auch damit zusammen, dass Deutschland insgesamt, insbesondere währende der NS-Zeit, bis in die 60er-Jahre auch in der Bundesrepublik, eine solche homogene Identität auch hatte und in der DDR im Grunde bis 1989. Das heißt die Anwesenheit von Ausländern wurde lange in Westdeutschland und wird zu großen Teilen in Ostdeutschland als anormal begriffen, als etwas, das politisch bereinigt werden muss. Dass es sich auf eine längere Sicht immer um Austauschprozess handelt bei der Konstitution von Nationen, ist hier nicht feststellbar."
"Hier gibt es die Vorstellung, dass das 'normale', das 'wirkliche', das 'einfache', das in gewisser Weise auch normativ zu bestimmende Leben, das ist in einer völkisch homogenen Umgebung, so müsse es eigentlich sein, und da kommen Fremdkörper hinein. Das hängt auch damit zusammen, dass Deutschland insgesamt, insbesondere währende der NS-Zeit, bis in die 60er-Jahre auch in der Bundesrepublik, eine solche homogene Identität auch hatte und in der DDR im Grunde bis 1989. Das heißt die Anwesenheit von Ausländern wurde lange in Westdeutschland und wird zu großen Teilen in Ostdeutschland als anormal begriffen, als etwas, das politisch bereinigt werden muss. Dass es sich auf eine längere Sicht immer um Austauschprozess handelt bei der Konstitution von Nationen, ist hier nicht feststellbar."