Die Jagd nach Spielertrikots
Jude Bellingham vom BVB ließ ein leer ausgegangenes Kind ausfindig machen und versprach ihm das nächste Trikot. © imago / Sven Simon
Werteverfall am Spielfeldrand
02:54 Minuten

Immer öfter bitten Kinder in den Stadien um das Trikot ihres Lieblingsspielers. Und in der Regel wird geliefert wie bestellt. Aber: Sollte man fremde Leute wirklich nach einem Geschenk im dreistelligen Bereich fragen?
Roland Peitsch - kennt den noch jemand? Er spielte vor 40 Jahren bei Arminia Bielefeld und war nach dem Training, wie Frank Pagelsdorf oder Wolfgang Kneib und alle anderen auch, das Ziel von uns kleinen Autogrammjägern. Das ging damals noch, persönlich überreicht an der Autotür, falls besagter Roland Peitsch denn Bock hatte.
Wenn nicht, dirigierte er uns an eine imaginäre Linie auf dem Parkplatz, schmiss einen Stapel Autogrammkarten auf den Boden, auch mal in die Pfütze, und brauste davon.
„Lass sie liegen“, sagte meine alte Dame, als sie das miterlebte. Denn: „Was man dir so vor die Füße wirft, musst du nicht aufheben."
Ich verstand schnell und würde es einem Kind heute auch so raten.
Autogrammkarten haben ausgedient
Offenbar sind Autogrammkarten aber auch nicht mehr das, was Kinderherzen heute höher schlagen lässt. „Kriege ich dein Trikot“, steht auf den Papptafeln, die immer häufiger in den Stadien auftauchen, interessanterweise oftmals vor den teuren Plätzen.
Gehört also zum Stadionbesuch für die ganze Familie das geschenkte Trikot dazu, für das man im Fanshop einen Hunderter hinblättern müsste? Und dann wäre es nicht einmal ‚gameworn’, wie das heute heißt, also ohne Grasflecken. Und nach Schweiß stinkt es auch nicht.
Angst vor dem Shitstorm
Da erbettelt man doch lieber das Ding in einer Mischung aus analog und anonym und hofft, der Haaland oder wer auch immer trifft mit dem Trikot genauso gut wie mit dem Ball.
Finanziell kann so ein Millionär das ohnehin verkraften. Oder? Sicher kann er das, aber er muss es eben nicht.
Doch da ist die Angst vor dem Shitstorm. Jude Bellingham vom BVB ließ deshalb neulich ein leer ausgegangenes Kind ausfindig machen und versprach ihm das nächste Trikot. Wie klein kann man sich machen und wie irre ist diese Fußballwelt geworden?
Wenn 100 Euro nichts mehr wert sind
Was sind das für Eltern, die die Aktionen ihrer Kleinen tolerieren oder beim Malen der Plakate helfen? Die ihnen nicht klar machen, dass da neben dem ideellen eben auch noch ein materieller Wert existiert? 100 Euro, das ist so gut wie nichts – das suggeriert man offenbar seinen Kindern, während hierzulande immer mehr Menschen den Euro umdrehen müssen.
Das ist mehr als bedenklich, nicht nur jetzt im Advent. Es ist asozial.
Und ich wette, viele dieser Kinder lernen von ihren Eltern den Begriff „Wertverlust“ auch noch auf ganz andere Art: Wenn das dreckige und stinkende Trikot „gameworn“ in der Waschmaschine landet.