Eis als Individualitätsmerkmal

Sind Kürbis-Eis-Fans offener als Schoko-Eis-Fans?

Birne mit Parmigiano: Eisdiele "Fräulein Frost" in Berlin
Birne mit Parmigiano: Eisdiele "Fräulein Frost" in Berlin © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Jana Rückert-John im Gespräch mit Dieter Kassel |
Eis mit Kräutern oder aus Spargel - der Fantasie sind heute keine Grenzen mehr gesetzt. Das biete Käufern auch die Möglichkeit, sich von der Masse abzusetzen, sagt Jana Rückert-John, Professorin für die Soziologie des Essens. Auch durch Aspekte wie bio oder vegane Zutaten.
Früher gab es Schoko, Vanille und Erdbeer als Geschmacksrichtungen, inzwischen ist Eis ein hyperindividualisiertes Produkt, zumindest in den deutschen Ballungszentren. Der Fantasie, wie Eis schmecken kann, sind keine Grenzen gesetzt: Es gibt Madagaskar-Schokolade mit Ziegenmilch und Meersalz, Passionsfrucht-Himbeer-Kardamom oder Kastaniensorbet mit Rosmarin und Pinienkernen.
Jana Rückert-John hat an der Hochschule Fulda eine Professur für die Soziologie des Essens inne. Sie sieht den Konsum von Eis auch als Möglichkeit, "sich selbst zu beschreiben und darzustellen".
Im Deutschlandfunk Kultur sagte Rückert-John, mit dem Essen individueller Eissorten könne man zeigen, dass man offen für Ungewöhnliches sei. Die Selbstdarstellung biete auch immer die Möglichkeit der Distinktion - sich von anderen Menschen zu unterscheiden.

Kartoffelchips im Eis - das muss nicht sein

Ein Phänomen, das man gut in Szenevierteln von Großstädten beobachten kann. Dort kostet eine Kugel Eis inzwischen schon mal 1,80 Euro. Menschen, die nicht viel Geld verdienen, haben es deswegen schwer, ihren Kindern ein Eis zu spendieren. Die Soziologin will trotzdem nicht von "Verdrängungsprozessen" sprechen. Es gehe bei den vielen Eissorten, Eismanufakturen und ökologisch korrekten Zutaten eher um eine "Ergänzung des Bestehenden".
Auch Rückert-John probiert im Übrigen gern mal eine exotische Eissorte:
"Aber alles ist auch nicht so mein Fall. Kartoffelchips im Eis - das muss es dann auch nicht unbedingt sein." (ahe)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ab heute macht die "Gelato World Tour" in Berlin Station. Die muss man jetzt nicht unbedingt kennen, obwohl sie vorher immerhin auch schon in Griechenland, Argentinien und Polen war, aber eine solche Aktion rund um Speiseeis - darum geht es, Gelato -, die zeigt schon, dass Speiseeis inzwischen viel mehr ist als einfach ein Stück gefrorene Schokoladenmilch. Es gibt die merkwürdigsten Sorten, indische Mango, weiße Schokolade, Trüffel und sehr viel Raffinierteres bekommt man zumindest in allen großen Städten. Und manche Menschen definieren sich inzwischen darüber, was für Eis sie eigentlich essen. Da geht es dann natürlich auch um die Zutaten und die Frage, ob in Milcheis wirklich noch Milch drin sein darf. Was diese Entwicklung bedeutet, was sie über unseren Eisgeschmack hinaus vielleicht auch noch sagt, das wollen wir jetzt von Jana Rückert-John wissen. Sie ist Professorin für die Soziologie des Essens an der Hochschule Fulda. Schönen guten Morgen, Frau Rückert-John!
Jana Rückert-John: Guten Morgen!
Kassel: Ist Speiseeis inzwischen ein Lifestyle-Produkt geworden?
Rückert-John: Eis, genauso wie auch andere Lebensmittel, ja, das bietet die Möglichkeit, sich selbst zu beschreiben und sich eben auch darzustellen. Wie Sie gerade sagten, welche Sorten Eis esse ich, also meine Individualität darüber auszudrücken. Dieses Potenzial bietet Eis, und das ist vor allen Dingen heute auch durch die enorme Vielfalt an Sorten, das hatten Sie ja auch gerade aufgezeigt. Und das macht Eis mehr denn je heute interessant. Es gibt eben nicht mehr nur die klassischen drei Sorten Schoko, Vanille, Frucht. Und gerade dieses Experimentieren mit diesem Ungewöhnlichen - Kräuter, oder wenn es im Herbst dann eben doch Kürbiseis gibt oder jetzt im Sommer vielleicht mit Gurke verarbeitet. Das erzeugt Aufmerksamkeit, und das macht es wieder spannend und interessant.
Kassel: Kann man denn dann wirklich sagen, wer zum Beispiel Spargeleis mit einem Schuss Balsamicoessig isst, ist tatsächlich ein originellerer oder sagen wir mal ein offenerer Mensch als derjenige, der sagt, es muss immer nur Vanille sein, aber wenn, mit echter Vanille drin?
Rückert-John: Es sagt, denke ich, in jedem Fall was darüber aus, dass man auch offen ist für so was Ungewöhnliches, dass man sich da auch mal auf ungewohntes Terrain bewegt, dass man etwas ausprobiert. Ich glaube, das ist es in jedem Fall.
Kassel: Nun gibt es natürlich bei den Zutaten nicht nur die Frage, sind sie besonders exotisch, sind sie besonders originell, sondern es gibt natürlich auch die Frage, sind sie laktosefrei, ist das veganes Eis - geht es da wirklich immer nur um Gesundheit und Ernährung, oder geht es auch da letzten Endes um soziale Abgrenzung?
Rückert-John: Die Selbstdarstellung oder Selbstbeschreibung, die Essen bietet und eben wie gesagt jetzt auch Eis, da waren wir ja gerade, das bietet natürlich auch immer die Möglichkeit der Distinktion, der Unterscheidung. Und da kommen natürlich eine ganze Menge Kriterien und Aspekte ins Spiel, wenn man sich das beim Eis anguckt. Sie sagten ja, die Zutaten, aber natürlich, die ganze Qualitätspalette: Ist es mit Bioprodukten hergestellt? Aber auch andere Aspekte: Kommt es aus der Massenproduktion? Wechseln die Angebote täglich dann in diesen Eisdielen? Ich denke, da gibt es eine ganze Menge Unterscheidungsmerkmale zum konventionellen Angebot. Was meines Erachtens auch interessant dabei ist, ist, dass auch wieder hierbei die Handwerklichkeit, die Eigenproduktion in solchen kleinen Eismanufakturen ins Zentrum rückt, und damit, würde ich auch sagen, Aspekte der Nachhaltigkeit. Wo kommen denn die Produkte her? Aus der Region möglicherweise, sind es saisonale Produkte? All das sind Unterscheidungsmerkmale zum konventionellen Angebot, und das bietet eben Potenzial, einmal sich selbst zu inszenieren, sich selbst zu beschreiben, aber eben auch, zu sagen, da unterscheide ich mich eben von denen, die da eben nicht Wert drauf legen und das nicht so sehen.
Kassel: Es gibt ein Eiscafé in Berlin, das hat seine Preise erhöhen müssen, nicht weil die Produktion so teuer geworden ist, sondern weil sich die Anwohner beschwert haben, weil es da einfach zu voll war. Und damit es nicht mehr so voll ist, haben die jetzt - ja, man muss wissen, Berlin-Prenzlauer Berg ist ein Stadtteil, der im Wesentlichen existiert, damit Menschen sich da über was beschweren können. Aber es ist so passiert, und die sind jetzt bei Preisen von 1,80 Euro pro Kugel. Da muss ich allerdings sagen, das ist bei Weitem nicht die obere Grenze. Es wird ja teilweise viel teurer. Das heißt, das kann sich ja nicht mehr jeder leisten. Wer wirklich wenig Geld hat, zahlt für drei Kugeln sechs Euro, hat vielleicht vier Kinder - das kann man nicht mehrmals in der Woche machen. Das heißt, ist das auch so eine Abgrenzung, dass man sagt, guck her, ich kann mir das besondere Eis auch leisten?
Rückert-John: Natürlich, auch das geht damit einher. Gleichwohl würde ich auch sagen, Sie hatten es ja auch gesagt, so 1,80, das kann man mittlerweile, denke ich, auch bei ganz normalen italienischen Eisdielen, was vielleicht noch so den Standard repräsentiert, beobachten. Ich denke, da ist irgendwo eine Obergrenze, weil das natürlich ja auch im Straßenverkauf, To-go-Angebote eben auch da limitiert sind. Aber gleichwohl, natürlich haben wir dann hippe Stadtbezirke, Stadtviertel, wo eben auch das entsprechende Klientel ist, das das nachfragt. Gleichwohl würde ich denken, wenn man das beobachtet, kann man meines Erachtens noch nicht von Verdrängungsprozessen sprechen, sondern dass es aus meiner Sicht eher momentan eine Ergänzung, eine Erweiterung des Bestehenden darstellt.
Kassel: Bei Eis wie auch bei anderen Dingen - ich nehme an, Sie können das aus Ihrer Arbeit bestätigen - gibt es ja auch Trends, die kommen und gehen. Mein Eindruck ist, beim Eis ist im Moment der Trend, dass es auch besonders originell sein muss und man Kombinationen ausprobiert, die man vielleicht spontan erstmal gar nicht für sinnvoll halten würde, und dann schmecken sie doch. Ist das so ein Trend, der in Ihren Augen auch bald wieder vorbei sein wird, dass man vielleicht eher sagt, ich hab eine tolle Eisdiele, die hat aber nur Schokolade und Vanille, aber von beiden je 17 Sorten?
Rückert-John: Das sagt ja schon der Begriff des Trends aus, dass es möglicherweise auch kurzlebige Geschichten sind, also wirklich die ganz extrem exotischen Sorten, und dass es sich möglicherweise dann auch wieder auf bestimmte Standards einpegelt, das kann schon sein. Interessant ist ja auch in diesen Eisdielen, es hat einerseits diese exotischen Angebote, aber nach wie vor ganz häufig dann ja doch die Klassiker Schoko, Vanille und Frucht, sodass man dann da immer noch auf Nummer sicher gehen kann, wenn man eben sich nicht für die extravaganten Versionen entscheidet.
Kassel: Und Sie, Frau Rückert-John? Chia-Samen/Weißer Trüffel, oder lieber Schokolade?
Rückert-John: Ich probiere das auch gern mal aus, aber alles ist auch nicht so mein Fall. Also Kartoffelchips im Eis oder so etwas, das muss es dann auch nicht unbedingt sein.
Kassel: Jana Rückert-John war das. Sie ist Professorin für die Soziologie des Essens an der Hochschule Fulda. Wir haben mit ihr über Eis-Trends und was sie über das Eis hinaus bedeuten könnten, gesprochen. Frau Rückert-John, vielen Dank und noch einen schönen Donnerstag!
Rückert-John: Das wünsche ich Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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