Hören Sie auch unser Interview mit Ernst Höfner, Koordinator für den Nachwuchs beim Deutschen Eishockey-Bund:
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Wo sind die bayerischen Traditionsvereine?
Füssen, Bad Tölz, Riessersee – für alle, die nicht mit Eishockey groß geworden sind, klingen diese Namen nach Provinz. Doch sie waren früher große deutsche Klubs. Der SC Riessersee in Garmisch-Partenkirchen trauert bis heute der großen alten Zeit nach.
Wenn der Ex-Eishockey-Nationalspieler Ignaz Berndaner vom SC Riessersee seiner Kindheit spricht, dann hört sich das wie eine Geschichte aus einer sehr fernen Epoche an.
"Es waren reichere Leute, vornehmere Leute, wo man nicht so leicht dazugekommen ist zu diesem Club. Man hat schon ein großes Talent sein müssen – vor meiner Generation noch. Dass ein Einheimischer dort einmal spielen durfte. Und das hat immer noch ein bisschen abgefärbt, hat immer noch ein bissl den Namen gehabt: Ah, da können nur die spielen, die ein bisschen betucht sind. Und man hat gesagt, da gehört man nicht dazu. So ungefähr war das. Zumindest zu meiner Zeit."
Ignaz Berndaner, Jahrgang 1954, kam als 15-Jähriger zum SC Riessersee, weil der Verteidiger ein Riesen-Talent war. Gerade sitzt er auf der Tribüne des alten Garmischer Olympia-Eisstadions und schaut der Nachwuchsmannschaft beim Training zu. Kaum ein anderer kennt die Höhen und Tiefen des deutschen Eishockeysports so wie er.
"Wo ich da reingekommen bin, wo ich so jung war, haben wir eine sehr gute Mannschaft gehabt, da haben wir den dritten Platz gemacht. Da kann ich mich noch gut erinnern. Aber ein Jahr später hat man viele Spieler verkauft oder sie sind einfach weggegangen, weil die Verlockung so groß war nach Westdeutschland rauf, nach Düsseldorf, Köln oder Berlin sogar – Norddeutschland rauf. Da haben wir dann einen großen Aderlass gehabt. Und da haben wir dann wirklich drei vier Jahre von 73 bis 77 ungefähr um den Abstieg gespielt."
"Da haben wir auf einmal so einen Boom gehabt"
Umso erstaunlicher, dass der SC Riessersee 1978 deutscher Meister wurde.
"Da haben wir auf einmal so einen Boom gehabt, so eine Euphorie entwickelt. Wir haben ja dann im Schnitt hier sechseinhalbtausend Zuschauer gehabt – im Schnitt. Wir haben das Stadion zwei- dreimal oder öfter ausverkauft gehabt, zwischenzeitlich ist es hier umgebaut worden, aber früher waren da ja alles Stehplätze, da haben 11.000 Leute reingepasst."
Für Riessersee begann eine große Zeit mit einem weiteren Meistertitel 1981. Der vorerst letzte große Erfolg für den Verein von der Zugspitze. Danach ging es allerdings nur noch bergab. Gleich mehrere finanzielle Krisen in den Achtzigern führte 1987 zum Bundesliga-Abstieg. Seitdem hält der sportliche Niedergang des Traditionsklubs an.
"Natürlich verstehe ich einen Fan, der sagt, ihr hattet sportlich eine grandiose Saison, was auch so ist oder so war. Wir waren Vizemeister im Finale. Ich glaube, das gab es schon seit Jahren nicht mehr. Aber schlussendlich war der SCR wirtschaftlich gesehen nicht tragbar."
Geschäftsführer Stefan Endraß in seinem kargen Vereinsbüro ist Realist. Der studierte Betriebswirt hat schon den EV Landshut aus der Insolvenz geführt, in Riessersee versucht er es nun auch. Mit über einer halben Million Schulden ging der Klub aus der letzten Saison in der DEL 2, als die Mannschaft Zweiter wurde. Gesellschafter Udo Weisenburger verzichtete darauf, eine neue Lizenz zu beantragen. Das bedeutete den Abstieg in die Oberliga Süd – aber auch eine Chance für einen Neuanfang.
"Dadurch, dass wir jetzt von der DEL 2 den wirtschaftlichen Abstieg in die Oberliga hinnehmen, antreten mussten, hatten wir keinen einzigen Spieler unter Vertrag. Weil die Spieler, die mehrjährige Verträge hatten, waren an die DEL 2 gebunden. Und so konnte man wirklich von Null anfangen und wir haben jetzt Verträge geschlossen in dem Rahmen, dass es halt ins Budget passt."
Eigener Nachwuchs kommt wieder zum Zug
Weniger teure Gehälter, weniger teure Wohnungsmieten für ausländische Spieler. Vor allem der eigene Nachwuchs kommt jetzt wieder zum Zug. In einer Liga, in der sich die klangvollen Vereinsnamen früherer Jahrzehnte tummeln.
"Ich sage, unsere Oberliga im Eishockey erinnert mich immer mehr an die ehemalige Hacker-Pschorr-Liga. Und das war eine der besten, erfolgreichsten Ligen. Wir haben Derbys, jetzt fehlt noch Tölz und Kaufbeuren in der Oberliga, dann ist das eine wirklich attraktive Liga. Mit Rosenheim, Landshut, dem SC Riessersee. Vielleicht steigt Füssen wieder auf, Peiting, Regensburg. Das sind alles kurze Wege, sehr viel Derbycharakter. Ich glaube auch sehr viele Zuschauer."
Nur 280 Dauerkartenbesitzer gibt es zur Zeit
Und daran hapert es seit Jahren beim SC Riessersee. Gerade einmal 280 Dauerkartenbesitzer gibt es zur Zeit. Ganz anders, als Ende der Siebziger Ignaz Berndaner und seine Mannschaft das Olympia-Eisstadion von 1936 füllten. Woran liegt es, dass der Verein heute wirtschaftlich so ins Schlingern geraten ist. Der ehemalige Profi sieht die Versäumnisse vor allem in der Vergangenheit.
"Unser erstes Jahr haben wir so viel Plus gemacht. Und was haben sie gemacht? Wir sind in Urlaub gefahren. Ich war nicht dafür, aber andere: Ja, fahren wir nach Hawaii. Natürlich toll. Aber ich habe gesagt, es wäre doch sinnvoller, ihr kauft eine Wohnung. Ihr habt immer Ausländer jedes Jahr, und ihr müsst ja auch an später denken. Wir sind trotzdem nach Hawaii auf alle Fälle. Und kurz später sind solche Sachen halt abgegangen, da war das Geld nicht mehr so da..."
Und so kommt es, dass der SC Riessersee nicht mal ein eigenes Vereinsheim besitzt. Anders als der Turnverein oder der Volkstrachtenverein in Garmisch-Partenkirchen hat sich der zehnfache deutsche Eishockey-Meister bis heute kein Haus gebaut.