Eitle und öde Filmbetrachtung
Wenn es auch nur ein einziger origineller Gedanke in dieses Sachbuch geschafft hat, dann liegt er tief begraben unter einem "Asphalt von Allgemeinplätzen", meint unser Kritiker Matthias Dell. Er hält "Die Künste des Kinos" von Martin Seel schlichtweg für nutzlos.
Der interessanteste Abschnitt in Martin Seels neuem Buch "Die Künste des Kinos" ist der letzte. Er heißt naheliegenderweise "Abspann". Darin listet der Frankfurter Philosophieprofessor, Jahrgang 1954, die Namen von 45 Personen auf, von deren "Anregungen und Einsprüchen" er bei der Abfassung des Buchs seit 2005 profitiert haben will. Dieser Index ist ein Fest für Bourdieu-Schüler, erzählt er doch über den sympathischen Umweg des Dankes von der Bedeutsamkeit seines Verfassers: Wer kann schon eine solch eindrucksvolle Professorendichte unter seinen Bekannten vorweisen?
Wer es tatsächlich bis zu Seels "Abspann" geschafft hat, den beeindruckt diese Geste allerdings nicht mehr. Wenn unter den "Anregungen und Einsprüchen" des "Who is Who" der deutschen Film- und Medienwissenschaft nur ein origineller Gedanke gewesen ist, dann hat ihn Seel tief vergraben unter dem Asphalt seiner Allgemeinplätze. Das Buch kommt auf 256 Seiten über ein vages Klappentextversprechen nicht hinaus: "Das Kino kann, was es kann, weil es das verkehrt und verwandelt, was die anderen Künste können." Wer wollte das bestreiten? Diese Frage stellt sich der Lesende laufend.
Seel hat das Buch in neun Kapitel gegliedert, die jeweils Verbindung zu anderen Kunstbegriffen aufrufen: "Film als Architektur", "Film als Musik", "Film als Bild" und so weiter. Diese "Affären", wie der bemüht begeisterte Seel das nennt, produzieren atemberaubende Erkenntnisse. Im Architektur-Kapitel wird etwa gefolgert: "Kraft der Kadrierung und Montage der Bildausschnitte etablieren Filme den spezifischen Raum ihres Geschehens: jenen Raum, in dem sich alles ereignet, was sich in ihnen ereignet, und zugleich einen Raum, der sich ereignet, während sich der filmische Fortgang ereignet."
Wer es tatsächlich bis zu Seels "Abspann" geschafft hat, den beeindruckt diese Geste allerdings nicht mehr. Wenn unter den "Anregungen und Einsprüchen" des "Who is Who" der deutschen Film- und Medienwissenschaft nur ein origineller Gedanke gewesen ist, dann hat ihn Seel tief vergraben unter dem Asphalt seiner Allgemeinplätze. Das Buch kommt auf 256 Seiten über ein vages Klappentextversprechen nicht hinaus: "Das Kino kann, was es kann, weil es das verkehrt und verwandelt, was die anderen Künste können." Wer wollte das bestreiten? Diese Frage stellt sich der Lesende laufend.
Seel hat das Buch in neun Kapitel gegliedert, die jeweils Verbindung zu anderen Kunstbegriffen aufrufen: "Film als Architektur", "Film als Musik", "Film als Bild" und so weiter. Diese "Affären", wie der bemüht begeisterte Seel das nennt, produzieren atemberaubende Erkenntnisse. Im Architektur-Kapitel wird etwa gefolgert: "Kraft der Kadrierung und Montage der Bildausschnitte etablieren Filme den spezifischen Raum ihres Geschehens: jenen Raum, in dem sich alles ereignet, was sich in ihnen ereignet, und zugleich einen Raum, der sich ereignet, während sich der filmische Fortgang ereignet."
Nicht einmal bei den Filmbeschreibungen entfaltet Seel Witz
Es ließen sich zahllose solcher Sätze zitieren. Nicht einmal bei den Filmbeschreibungen entfaltet Seel Witz: "Man sieht, wie sich Willard im Dunkel vor einem Hintergrund langsam aufrichtet und auf den sterbenden Kurtz starrt." So entsteht der Eindruck, dass hier jemand gravitätisch durch Filme schreitet, die dankbar sein müssen, von seiner eitel-öden Verwalterprosa abprotokolliert zu werden. Der Herr Philosoph geht ins Kino – um einmal Anlass zu haben, die tollsten Szenen aus den kanonischsten Film zu zitieren (das Ende von "Zabriskie Point", den Anfang von "Apocalypse now").
In einer Selbstverortung kann man den Antrieb zu "Die Künste des Kinos" vermuten. Gegen Ende kommt Seel, der sein Schreiben zum Gegenentwurf einer nicht ideologischen Lesart des Films erklärt hatte, beinahe in die Nähe einer These: Er wirbt angestrengt dafür, im Film keine "Illusionskunst", sondern eine "Imaginationskunst" zu sehen. Mit anderen Worten: Man kann im Kino auch Freude haben, wenn man weiß, dass alles nur gemacht ist. Wer wollte das bestreiten?
Mit Gewinn liest die "Die Künste des Kinos" nur, wer es als Schlüsselwerk über einen als wissenschaftlich apostrophierten Stil begreift. Wie ein überforderter Bachelorstudent schindet Seel Platz mit scheinbar hilfreichen Absichtserklärungen und Zwischenresümees. Den kargen Kehricht banaler Auskünfte schiebt er so hin- und her, damit nur ja das Gefühl entsteht, es habe sich gedanklich etwas bewegt.
Dazu trägt das beflissene Auflisten nutzloser Kategorien bei ("Es sind stets geographische, kulturelle, historische und alltägliche Orte, an denen das einzelne Gebäude seine Wirklichkeit entfaltet"), sowie das Jonglieren mit Gegensatzpaaren ("... organisiert der Kinofilm seine eigenen Verhältnisse von Raum und Zeit, Bild und Klang, Protention und Retention, Erscheinen und Verschwinden, Anwesenheit und Abwesenheit, Weltbezug und Weltdistanz, Erzählung und Reflexion, Motion und Emotion").
Im Dank an fünf Korrekturleser des Buches heißt es im "Abspann" kokett, sie hätten "erheblichen Schaden von ihm abgewendet". Es war bei weitem nicht genug. Wer ein kundiges Buch über das Kino und Künste heute lesen möchte, dem sei stattdessen das Bändchen "Film und Kunst nach dem Kino" von Lars Henrik Gass empfohlen.
Besprochen von Matthias Dell
In einer Selbstverortung kann man den Antrieb zu "Die Künste des Kinos" vermuten. Gegen Ende kommt Seel, der sein Schreiben zum Gegenentwurf einer nicht ideologischen Lesart des Films erklärt hatte, beinahe in die Nähe einer These: Er wirbt angestrengt dafür, im Film keine "Illusionskunst", sondern eine "Imaginationskunst" zu sehen. Mit anderen Worten: Man kann im Kino auch Freude haben, wenn man weiß, dass alles nur gemacht ist. Wer wollte das bestreiten?
Mit Gewinn liest die "Die Künste des Kinos" nur, wer es als Schlüsselwerk über einen als wissenschaftlich apostrophierten Stil begreift. Wie ein überforderter Bachelorstudent schindet Seel Platz mit scheinbar hilfreichen Absichtserklärungen und Zwischenresümees. Den kargen Kehricht banaler Auskünfte schiebt er so hin- und her, damit nur ja das Gefühl entsteht, es habe sich gedanklich etwas bewegt.
Dazu trägt das beflissene Auflisten nutzloser Kategorien bei ("Es sind stets geographische, kulturelle, historische und alltägliche Orte, an denen das einzelne Gebäude seine Wirklichkeit entfaltet"), sowie das Jonglieren mit Gegensatzpaaren ("... organisiert der Kinofilm seine eigenen Verhältnisse von Raum und Zeit, Bild und Klang, Protention und Retention, Erscheinen und Verschwinden, Anwesenheit und Abwesenheit, Weltbezug und Weltdistanz, Erzählung und Reflexion, Motion und Emotion").
Im Dank an fünf Korrekturleser des Buches heißt es im "Abspann" kokett, sie hätten "erheblichen Schaden von ihm abgewendet". Es war bei weitem nicht genug. Wer ein kundiges Buch über das Kino und Künste heute lesen möchte, dem sei stattdessen das Bändchen "Film und Kunst nach dem Kino" von Lars Henrik Gass empfohlen.
Besprochen von Matthias Dell
Martin Seel: Die Künste des Kinos
S. Fischer Verlag, Frankfurt / Main 2013
256 Seiten, 22,90 Euro
S. Fischer Verlag, Frankfurt / Main 2013
256 Seiten, 22,90 Euro