Der Facebook-Bischof
Wie kann die Evangelische Kirche wieder mehr junge Menschen ansprechen? Der neue EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm versucht es mit Facebook. Ein Gespräch über Kirche im Netz, die Herausforderungen im neuen Amt - und die Zukunft des Protestantismus.
Kirsten Dietrich: Ein neues Gesicht für den deutschen Protestantismus, das hat die evangelische Kirche in dieser Woche gesucht und gefunden. Sie hat den bayrischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zum neuen Ratsvorsitzenden gewählt. Die Wahl war nötig geworden, weil der bisherige Amtsinhaber Nikolaus Schneider ein Jahr vor Ende seiner Amtszeit zurückgetreten ist, er will für seine kranke Frau da sein.
Doch die Evangelische Kirche in Deutschland sucht mehr als nur einen Nachfolger. Sie ist auch auf der Suche nach Kontinuität und neuen Impulsen. Zwar blieb seit den 1960er-Jahren keiner der Ratsvorsitzenden länger als eine Amtsperiode von sechs Jahren, aber Bedford-Strohms Vorvorvorgänger Wolfgang Huber nutzte diese Zeit, um eine grundlegende Kirchenreform anzustoßen, an der die EKD noch lange Zeit arbeiten wird.
Als Nachfolgerin sollte Margot Käßmann charismatischen Glanz bringen; nach einer Alkoholfahrt trat sie nach nur vier Monaten zurück. Nikolaus Schneider sprang ein, machte seine Sache gut, aber hinterließ mit einem Papier zur Neuorientierung in Sachen Familie ein innerhalb der Kirche heftig umstrittenes Erbe.
Nun also Heinrich Bedford-Strohm. Kommunikativ, sozialethisch engagiert, Huber-Schüler, aufgewachsen im Pfarrhaus, Theologieprofessor, Bischof und jetzt Ratsvorsitzender. Philipp Gessler hat die Wahl für Deutschlandradio Kultur verfolgt und mit dem neuen Ratsvorsitzenden gesprochen. Und er wollte angesichts dieser klassisch-protestantischen Karriere wissen, ob Heinrich Bedford-Strohm sich jetzt am Höhepunkt seines Lebens fühlt.
"Ich wäre auch ein glücklicher Gemeindepfarrer gewesen"
Heinrich Bedford-Strohm: Das kann ich so eigentlich nicht sagen. Ich habe dieses Gefühl eigentlich schon über längere Zeit, dass das Leben, was ich jetzt gerade habe und dass das, was ich jetzt gerade mache, wunderbar ist und dass ich das leidenschaftlich gerne mache. Das war auch als Theologieprofessor in Bamberg so, das Gefühl, das ist genau richtig. Und dass ich dann gefragt wurde, für den Bischof zu kandidieren, darauf wäre ich vorher gar nicht gekommen.
Und dann ist es so gekommen. Und so ist es einfach eher so, dass ich durchs Leben gegangen bin und einfach mit dem, was ich gemacht habe, sehr glücklich war. Das war als Gemeindepfarrer auch schon so. Ich habe mich erst am letzten Tag der Bewerbungsfrist in Bamberg an der Uni beworben, weil da nun zufällig vor der Haustür eine Professur war. Aber ich wäre auch ein glücklicher Gemeindepfarrer gewesen.
Philipp Gessler: Aber was könnte denn jetzt eigentlich nach dem Ratsvorsitz noch kommen? Das ist doch jetzt, was den deutschen Protestantismus angeht, die Spitze der Fahnenstange.
Bedford-Strohm: Ja, ehrlich gesagt, auf die Frage, was danach noch kommen könnte, würde ich überhaupt nie kommen. Das ist mir so was von egal, was in meinem Leben vielleicht noch kommt, das ist einfach nicht meine Frage. Ich mache das, was ich jetzt mache, und ich mache das gerne. Und die Herausforderung, vor die ich gestellt bin – und ich sage das auch mal ganz religiös –, den Ort, an den Gott mich hingestellt hat, an dem bin ich gerne und den nehme ich an als das, was mir aufgegeben ist, aber was ich eben auch wirklich mit Lust und Freude mache. So war das bisher und ich bin ganz zuversichtlich, dass das auch in dem neuen Amt der Fall sein wird.
Gessler: Ihre Worte werden jetzt qua Amt öffentlich auf die Goldwaage gelegt werden, die internen und die öffentlichen Anfeindungen, das ist ja absehbar, die werden zunehmen. Sie werden vorsichtiger formulieren müssen wahrscheinlich und Sie müssen sich ein dickes Fell zulegen. Ist das nicht auch ein Verlust?
Laut nachdenken, das geht jetzt nicht mehr
Bedford-Strohm: Es ist sicher eine der zentralsten persönlichen Herausforderungen. Der Quantensprung im Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit war natürlich schon die Wahl zum Landesbischof, da habe ich das schon sehr deutlich gemerkt: Laut nachdenken, wie ich das als Professor gewohnt war bei Diskussionsforen und Ähnlichem, kann man da nicht mehr, sondern man muss erst mal mit den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, Dinge besprechen. Und dann, wenn man eine Linie gefunden hat, die man auch gemeinsam vertreten kann, dann muss man die auch öffentlich diskursiv vertreten.
Aber das darf natürlich jetzt wiederum nicht dazu führen, dass man immer nur noch vorsichtig ist und dass man immer nur noch irgendwie überall abgedeckt sehen will, was man da sagt. Dass ich auf Facebook präsent bin, ist in dieser Hinsicht auch schon eine klare Entscheidung, denn was ich da poste, schicke ich nicht der Presseabteilung vorher, sondern das ist manchmal sehr aus dem Moment heraus. Aber natürlich nicht unreflektiert, ich überlege mir schon sehr genau, was ich da poste. Aber das ist schon ein Stück weit auch der Versuch, authentisch zu bleiben in einer Welt, wo man natürlich umgeben ist von vielen Menschen, die auch ihr Recht haben und die gute Gründe dafür haben, dass man nicht einfach seine Einzelmeinung vertritt, weil man eben die Kirche als Ganzes vertritt. Das ist eine Gratwanderung, wo beides wichtig ist, die Authentizität, aber auch die Einbindung in Konsensprozesse derjenigen, mit denen man arbeitet.
Gessler: Und das dicke Fell, das haben Sie?
Bedford-Strohm: Ich weiß nicht, ob ich ein dickes Fell habe. Das ist, glaube ich, schon eine sehr berechtigte Frage, denn da bin ich bisher ein bisschen verwöhnt worden, das ist schon ganz klar. In Bayern sind die Leute ungeheuer herzlich und wenn ich in die Gemeinden fahre, ist es unglaublich, wie warm ich da empfangen werde. Und es ist mir schon sehr bewusst, dass der Wind etwas rauer weht auf Bundesebene, aber das ist meine persönliche Herausforderung und da verlasse ich mich auf meinen Glauben. Gerechtfertigt allein aus Glauben, nicht aus Werken.
Es gewinnt eine sehr existenzielle Bedeutung, wenn gehässige Pressekommentare in der Zeitung stehen oder wenn man wirklich Fehler gemacht hat, wenn man was Dummes gesagt hat und man kann es nicht mehr rückgängig machen, dann weiß ich, ich werde mit meinem Wert nicht allein an dem gemessen, was ich richtig oder falsch mache, sondern der Wert liegt tiefer begründet und das ist dann schon auch etwas sehr Tröstliches. Und ich verlasse mich einfach darauf, dass mich mein Glaube in diesen Situationen tragen wird.
Gessler: Sie haben jetzt die Aufgabe, so Sie im kommenden Jahr als Ratsvorsitzender bestätigt werden, das Reformationsjubiläum 2017 über die Bühne zu bringen, es zu einem großen internationalen und ökumenischen Glaubensfest zu machen, das haben Sie auch angekündigt, dass Sie das machen wollen. Danach aber könnte der Katzenjammer ja umso größer werden, denn die Säkularisierung schreitet voran, auch die Schrumpfung und die Überalterung der Kirche. Was können Sie gegen diese Megatrends eigentlich tun?
Warum die Kirche im Netz noch Nachholbedarf hat
Bedford-Strohm: Zunächst mal ist es schon sehr wichtig, dass wir bei all dem, was wir jetzt ansteuern im Hinblick auf 2017, uns Gedanken über diese Fragen machen, gerade weil wir im Moment mit den Kirchensteuereinnahmen relativ gut dran sind. Ich glaube, wir müssen genau in diesen Zeiten darüber nachdenken, wie soll es aussehen, wenn die Kirchensteuereinnahmen zurückgehen? Wenn wir das in Ruhe wirklich bedenken können und nicht gejagt von den neusten Minusprognosen bei der Kirchensteuer.
Also, die Frage ist auf dem Tisch, die beschäftigt uns schon jetzt. Wir müssen Prioritäten setzen und auch Nachrangiges definieren. Für mich ist von zentraler Bedeutung die junge Generation, das ist für mich die wirklich wichtigste Frage: Wie kann es uns gelingen, junge Menschen für den Glauben zu begeistern? Da gibt es verschiedene Projekte, die wir in unseren Landeskirchen verfolgen. Wir in Bayern machen Jugendkirchen zum Beispiel, wo junge Leute zum Gottesdienst kommen und die auch hohe Gottesdienstbesucherzahlen haben, mit einer jugendgemäßen Form des Gottesdienstes.
Aber auch die Präsenz im Internet, die wir hier auf der Synode verhandeln, ist natürlich in diesen Zusammenhang einzuordnen. Ich glaube, das müssen wir fördern, dass junge Leute in unserer Kirche teilhaben, dass sie auch merken, sie sind gefragt mit ihren Ideen. Und da, denke ich, können wir in der Kirche insgesamt, in der EKD, aber auch in unseren jeweiligen Landeskirchen noch viel tun.
Gessler: Manchmal hatte man bei der Synode, die jetzt zu Ende gegangen ist, den Eindruck, die Kirche dreht sich um sich selber, zu viel um sich selber. Etwa wenn darüber diskutiert wird, wie die Synodalen den Handschlag mit dem Ratsvorsitzenden machen und was sie dabei sagen können. Während die drängenden Fragen, zum Beispiel Flüchtlingsproblematik, die ja Thomas de Maizière am Anfang angesprochen hat, oder die Sterbehilfedebatte, die von Nikolaus Schneider angeregt wurde, dann nur am Rande diskutiert wurden. Ist denn der deutsche Protestantismus unpolitischer geworden?
Lutherische, reformierte und unierte Kirchentraditionen
Bedford-Strohm: Das würde ich so nicht sagen. Die kritische Rückfrage ist völlig berechtigt, die müssen wir uns selbst immer wieder stellen: Beschäftigen wir uns zu viel mit uns selbst? Bleiben wir der Welt das schuldig, was sie braucht, nämlich ein klares Zeugnis sowohl des Glaubens als auch der öffentlichen Orientierung?
Gleichzeitig muss man natürlich auch sagen, dass es auch sein Recht hat, dass die Kirche über sich selbst nachdenkt. Denn wenn sie nach ihren eigenen Quellen sucht, dann spielen zum Beispiel die Traditionen, aus denen sie lebt, eine wichtige Rolle. Und da gibt es lutherische Traditionen, reformierte Traditionen, unierte Traditionen, die meisten Menschen draußen wissen natürlich gar nicht, was da der eigentliche Unterschied ist, weil sie das alles als evangelisch sehen.
Aber was wir als evangelische Kirche sind, lebt aus diesen zum Teil recht unterschiedlichen Traditionen. Und die Menschen, die sich in ihr engagieren, sind eben auch begeistert von ihrer Tradition und die wollen auch, dass diese Tradition nicht einfach in eine große evangelische Suppe eingerührt wird. Und deswegen diskutieren sie dann tatsächlich manchmal auch sehr heftig darüber, wie es gelingen kann, gemeinsam als evangelische Kirche klar zu agieren, aber diese Tradition nicht zu verlieren.
Und dann haben wir eben darüber Diskussionen, wie diese Traditionen in der evangelischen Kirche zusammenarbeiten sollen und können. Ich möchte, dass wir diese Diskussion führen, dass wir sie aber auch zu einem Ergebnis bringen und dann tatsächlich die Aufgabe, die wir eigentlich haben, ins Zentrum stellen, nämlich die Kraft des Evangeliums in der Öffentlichkeit zu bezeugen.
Dietrich: Seit Dienstag ist Heinrich Bedford-Strohm der neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Philipp Gessler hat mit ihm nach seiner Wahl gesprochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.