Umstrittene Vielfalt in der evangelischen Kirche
Bei der letzten Tagung der EKD-Synode, dem Kirchenparlament der evangelischen Kirche in Deutschland, wurden Studien zu Hate Speech und Vielfalt vorgestellt. Es zeigt sich: Die Kirche muss sich mit Problemen auseinandersetzen, die auch im Rest der Gesellschaft diskutiert werden.
Bei der EKD-Synode, dem Kirchenparlament der evangelischen Kirche in Deutschland, das diese Woche in Bonn tagte, wurden zwei Studien des Studienzentrums der EKD für Genderfragen vorgestellt. Was daran interessant war, erklärt Religionen-Redakteurin Anne Françoise Weber im Gespräch.
In der Studie "Verhasste Vielfalt. Eine Analyse von Hate Speech im Raum von Kirche und Diakonie mit Kommentierungen" konzentriert man sich auf die Themenbereiche Gender, Flucht und Islam sowie Homosexualität. Das seien Bereiche, in denen es immer wieder zu besonders scharfen Angriffen käme, analysiert Weber. Beispielsweise bekam eine Pastorin, die sich in einem "Wort zum Sonntag" vor der Frauenfußball-WM 2015 gegen Geschlechtertests wandte, zahlreiche Hassmails, in denen ihre Position als Angriff auf die natürliche Ordnung gewertet hätten. Auch bestimmte Persönlichkeiten, wie etwa der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm oder Reformationsbotschafterin Margot Käßmann, seien besonders häufig Angriffen ausgesetzt.
Ab wann lohnt sich die Auseinandersetzung?
In der Studie setzt man sich mit diesem Phänomen auseinander und unterscheidet unterschiedliche "Degradierungsgrade", wie Mitherausgeberin Ellen Radtke erklärte: von ablehnender Haltung ohne Begründung über gruppenbezogene Abwertungen bis hin zum Aufruf zu Gewalttaten. Hate Speech lasse sich klar von sachlichem Dissens unterscheiden: "Sobald Argumente stattfinden, sobald es ein sachbezogener Beitrag ist, dann lohnt es sich ja auch zu argumentieren und in die Auseinandersetzung zu gehen."
Klar weise man in der Studie außerdem darauf hin, dass die Kirche Ressourcen für das Engagement im Netz und in den digitalen Medien zur Verfügung stellen müsse.
Unsere Vorstellung einer Führungskraft ist männlich
In einer zweiten Studie unter dem Titel "Kirche in Vielfalt führen. Eine Kulturanalyse der mittleren Leitungsebene der evangelischen Kirche mit Kommentierungen" befasst man sich mit dem Problem der Unterrepräsentation von Frauen auf der mittleren Leitungsebene. "Da stellt sich die Frage: Wollen die Frauen nicht? Und die Antwort ist: Sie wollen unter diesen Umständen nicht. Das hat auch viel mit der Kultur und den Rollenbildern zu tun, die in die Bewerbungsverfahren eingehen", meint Weber.
Studienmitherausgeberin Martina Schraudner vom Fraunhofer Institut erklärt dazu: "Das Bild, wie eine Führungskraft zu sein hat, deckt sich praktisch zu 100 Prozent mit den Vorstellungen einer männlichen Führungskraft. Durchsetzungsstark, mit Netzwerken versehen… Wenn Sie als Frau durchsetzungsstark auftreten, wird Ihnen sofort unterstellt, Sie sind ja gar nicht mehr weiblich. Das wird geäußert sowohl von Kollegen als auch von Kolleginnen, insbesondere von jüngeren, die sehen, so möchte ich eigentlich nicht werden. Da muss ich mich so verbiegen, das möchte ich nicht tun."
Die Studie zeige, sagt Anne Françoise Weber, dass trotz des fortschrittlichen Selbstbilds auch bei der EKD noch Luft nach oben ist. Florian Schütz, maßgeblicher Autor der Studie, ist allerdings überzeugt, dass in der Kirche eine hohe Sensibilität und Bereitschaft bestehe, sich mit Stereotypen auseinander zu setzen. Und gerade wenn die Kirche, die so stark von Ehrenamtlichen getragen werde, diese vor Bewerbungsverfahren entsprechend schule, bestünde darin die große Chance, dass die ehrenamtlich Mitarbeitenden diese Sensibilität auch in die Gesellschaft hineintragen könnten.