Ekkehard Felder über politische Kommunikation

"Niemals in Worten nach Wahrheit suchen"

10:47 Minuten
Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder redet vor dem SPD-Slogan "Die neue Mitte".
Die "politische Mitte" ist in Deutschland hoch attraktiv. Schon Gerhard Schröder besetzte den Begriff Ende der 1990er Jahre in seinem Wahlkampf. © Picture Alliance / dpa / Thomas Coex
Moderation: Teresa Sickert und Tim Wiese |
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In der politischen Kommunikation wird auch immer um Begriffe gekämpft. Alle wollen zum Beispiel "die Mitte" sein. Für Journalisten bedeute das, dass sie genau über die Wirkung bestimmter Wörter nachdenken müssten, sagt Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder.
Der "gesunde Menschenverstand", der "Wählerwille", "die bürgerliche Mitte". Nicht erst seit den Ereignissen und Kommunikationen rund um die Thüringen-Wahl scheinen bestimmte Begriffe und Wörter inflationär verwendet und dadurch fast schon ihrer Bedeutung beraubt. Die "Mitte" ist das Paradebeispiel dafür. Die Mitte scheint für alle Belange reizvoll – und deshalb ausgetreten.
Doch Redeweisen und Sprache prägen das Denken und die Wahrnehmung der Welt. Brauchen wir also neue Sprachbilder im politischen Diskurs? Und wie sollten Medien und Journalisten damit umgehen?
Zusammen mit Ekkehard Felder, Professor für Linguistik an der Universität Heidelberg, wollten wir uns die aktuelle politische Kommunikation genauer anschauen. Und haben ihn zunächst nach eben dieser "Mitte" gefragt. Was ist das eigentlich, die Mitte und was macht sie so attraktiv?

Die Mitte scheint in unserem Naturell zu liegen

Es sei offensichtlich, dass die "politische Mitte" in Deutschland hochattraktiv ist, so Felder. Dafür müsse man sich nur an 1998 erinnern, als Gerhard Schröder mit dem Wahlkampf-Slogan "Die neue Mitte" Bundeskanzler wurde. Die "Mitte" sei vorher ein von der Union und der FDP besetzter Begriff gewesen. Da man bei der SPD aber dachte, dass eine Wahl nur in dieser "Mitte" zu gewinnen sei, musste sie sich eine eigene "neue Mitte" definieren, sagt Felder.
"Warum ist es in Deutschland so? Es hieß bisher immer, dass wir keinen Hang zu den Extremen haben. Ich glaube, Lenin war es, der gesagt hat, in Deutschland würde eine Revolution daran scheitern, dass die Revolutionäre erst einmal eine Bahnsteigkante lösen wollen. Es scheint in unserem Naturell zu liegen."
Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf habe schon in den Siebzigern eine strategische Antwort seiner Partei auf den Umstand gefordert, dass die SPD unter Willy Brandt spätestens seit dem Wahlsieg 1969 mit dem Slogan "Wir wollen mehr Demokratie wagen" die semantische Hoheit im politischen Sprachgebrauch erobert hätte. Sprache habe in der Politik und in den Wahlkampfzentralen also eine lange Tradition. Es gelte, sogenannte "Hochwertwörter", also Wörter, die unumstritten sind, für sich zu besetzen.

Hochwert- und Fahnenwörter

Ein Beispiel für ein Hochwertwort sei "Generationengerechtigkeit". Egal welche Politik man mache, niemand könne sagen, dass ihm Generationengerechtigkeit egal sei. Ganz im Gegenteil, man müsse seine Politik mit diesem Hochwertwort kompatibel machen, um eine Chance zu haben.
Das Gegenteil dieser Hochwertwörter sind "Fahnenwörter", also Wörter, die man sich fast wie eine Flagge für eine bestimmte Partei vorstellen könne. "Umweltschutz" bei den Grünen, "Leistungsgesellschaft" oder "Freiheit" für die FDP und vielleicht sogar die CDU, "soziale Gerechtigkeit" bei der SPD. Also Wörter, die prototypisch mit politischen Richtungen verbunden seien.
Darum sei es laut Felder für Journalistinnen und Journalisten auch sehr wichtig, sich die Existenz dieser Hochwertwörter bewusst zu machen: "Dann könnten Sie als Journalisten den jeweiligen Politikern noch einmal auf den Zahn fühlen und fragen, ob beispielsweise das Konzept "Generationengerechtigkeit" wirklich kompatibel ist mit einer Politik, die eine Verschuldung in der Kommune favorisiert. Sie können also über die Wirkung der Wörter dezidierter und gezielter die Schwachstellen der Politiker eruieren."
Bei Fahnenwörtern sei es hingegen wichtig zu verstehen, dass sie sehr mit Emotionen verknüpft seien. Dies würde dazu führen, dass bei der Verwendung dieser Begriffe eine unbefangene Rezeption kaum möglich sei. Wenn einem dies bewusst sei, könne man das in Interviews berücksichtigen und sie anders führen.

Begriffe wie "die Mitte" werden ausgehöhlt

Ein Problem, mit dem Parteien gerade kämpften, sei an dem Begriff "bürgerliche Mitte" zu erkennen. Durch den inflationären Gebrauch der "Mitte" trete eine gewisse Entleerung ein, weshalb nun versucht werde, dieses Wort zu präzisieren. Die Alternative sei, einen neuen Ausdruck zu finden, was den Nachteil habe, dass die Wählerinnen erst einmal erkennen müssten, dass Begriff X für den alten Begriff Y stünde. Darum sei es viel einfacher, ein Attribut wie "bürgerlich", das erstmal neutral oder gar positiv konnotiert sei, vor das entleerte Wort "Mitte" zu stellen und es so zu präzisieren.
Rund um die Thüringen-Wahl ist Felder außerdem eine vermeintliche Homogenisierung der Gesellschaft durch das Wort "Wählerwille" aufgefallen. Die komplexe und vielschichtige Situation mit den Prozentzahlen im Thüringer Landtag sei allen bekannt und trotzdem sprächen die politischen Lager von einem "eindeutigen Wählerwillen". Die einen sagten es sei eindeutig, dass Bodo Ramelow die Wahl gewonnen habe, die anderen sprächen von einer eindeutigen Abwahl Ramelows. Dadurch würde eine Singularisierung der Bürger vorgenommen, in der die Komplexität nicht angemessen zum Ausdruck kommt. Dies sei vergleichbar mit Theresa May, die nach dem 49 zu 51 Prozent-Ergebnis der Brexit-Wahl davon sprach dem Wählerwillen zu folgen. Eine solche Homogenisierung sei problematisch.
Man solle außerdem niemals in Worten nach Wahrheit suchen, da sie immer in einem anderen Kontext verwendet werden könnten: "Nehmen Sie doch mal das Wort Volk. Bertolt Brecht hat 1935, aus dem Exil, gesagt, man sollte nicht Volk sagen, sondern Bevölkerung. 1989 war ‘Wir sind das Volk’ dann eine Art Leitsatz für den Sturz der DDR-Regierung. 2013/14/15 hat die AfD ‘Wir sind das Volk’ für sich okkupiert. Wir kommen nicht weiter, wenn wir es am Wort selber objektivieren wollen. Wir müssen schauen, in welchen Kontexten die Wörter oder die Slogans verwendet werden. Das ist ganz normal – und kritisch miteinander umgehen und um die Wahrheit ringen."
(hte)
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