Planungschaos und explodierende Kosten
Berlin hat den BER, Hamburg seine Elbphilharmonie. Die ist inzwischen mit 789 Millionen Euro zehn Mal so teuer wie geplant. Aber: Es gibt immerhin einen Eröffnungstermin.
Ein Traum aus Stahl und Glas, direkt am Wasser auf einem historischen Hafenspeicher, ein neuer Anziehungspunkt für Musikbegeisterte - das soll die Elbphilharmonie einmal werden. Und die Anfangseuphorie, wie auch die Naivität, mit der dieses Projekt umgesetzt wurde, waren schon beim Start des Projekts riesengroß.
Nicht nur beim damals regierenden Ersten Bürgermeister Ole von Beust. Er war wild entschlossen, das Projekt durchzuziehen:
"Ich glaube, das ist eine Sache, die vielen Hamburgern am Herzen liegt und ich möchte diese Philharmonie auf jeden Fall!"
Genauso entschlossen zeigte sich auch der damalige Projektleiter Hartmut Wegener. Und verkündete im Frühjahr 2005 einen ambitionierten Zeitplan:
"Im Frühjahr 2009 werden wir dann – wenn alles planmäßig läuft – ein neues, wunderschönes Wahrzeichen für Hamburg haben."
Die Baukosten haben sich verzehnfacht
Wenn alles planmäßig läuft – diese Einschränkung machte Hartmut Wegener dann doch. Aber wie soll etwas planmäßig laufen, für das es gar keine Pläne gibt? Auf der Suche nach den Gründen für die Verzehnfachung der Baukosten, von 77 auf 789 Millionen Euro, fällt vor allem die Planlosigkeit auf, mit der das Projekt gestartet wurde.
Zweifelsohne hatten die Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron einen imposanten Entwurf vorgelegt. Nur durchgeplant, vor allem durchgerechnet war das Projekt zu Beginn der Bauarbeiten noch lange nicht. Trotzdem wurde im Frühjahr 2007 die Grundsteinlegung gefeiert. Die Hamburger Politik lauschte Pierre de Meurons Vortrag. Ergriffen, fast besoffen:
"Die Architektur des Raumes entwickelt sich dann konsequent aus der Logik aus akustischer und visueller Wahrnehmung der Musik. Und diese Logik führt zu einem neuen Ergebnis! Die Ränge reichen höher in den Gesamtraum hinein. Ränge, Wände, Decken bilden eine räumliche Einheit …"
… aber auch die stiegen höher und höher in den Hamburger Himmel. Norbert Hackbusch von der Linkspartei erinnert sich:
Keine Gegenstimme in der Bürgerschaft
"Es gab damals in Hamburg ein euphorisches Gefühl. Ein Gefühl, das wir alles Mögliche erreichen können. Das führte unter anderem dazu, dass in der Hamburger Bürgerschaft es keine Gegenstimme gab. Und das Fehlen von Opposition ist, glaube ich, einer der wichtigsten Webfehler dieses Projekts."
Auch Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler ist überzeugt: die Schwierigkeiten des Projekts wurden im allgemeinen Jubel schlicht ausgeblendet:
"Das erstaunt schon in so einer nüchternen Kaufmannsstadt wie Hamburg, dass da nicht jemand mal gesagt hat: 'Leute! Bisschen länger mal nachdenken, bisschen länger kalkulieren! Dann müssen wir hinterher nicht draufzahlen!'"
Ole von Beust, der das Projekt angeschoben hatte, wollte sich mit kühlen Kalkulationen lieber nicht aufhalten. Der größte Fehler des Projekts, so Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler, war das vertraglich festgezurrte Dreiecksverhältnis zwischen den Erbauern des Konzerthauses: zwischen den Architekten, der städtischen Realisierungsgesellschaft und dem Baukonzern Hochtief.
"Man hat drei Seiten gehabt, die an dem Projekt gearbeitet haben. Bei einem derart komplexen Projekt, was auch bautechnisch, bauphysikalisch Neuland war und ist, ist das eine ganz verhängnisvolle Konstellation."
Olaf Scholz persönlich löste das Problem
Dieses Problem löste erst Ole von Beusts Nachfolger im Bürgermeisteramt. Olaf Scholz persönlich setzte sich mit Hochtief-Chef Marcelino Fernandez an einen Tisch und handelte im Sommer 2013 einen beispiellosen, neuen Vertrag zwischen der Stadt und der Baufirma aus: für einen letzten Aufschlag von 200 Millionen Euro wurden Hochtief nun alle zukünftigen Kostenrisiken aufgebürdet, es wurden Strafzahlungen vereinbart, falls das Konzerthaus nicht rechtzeitig fertig werden würde.
"Wir haben umfassende Garantien bekommen, was die Qualität, was die Zeiträume betrifft, was den Preis betrifft. Für uns ist sichergestellt, dass Risiken, wie sie in der Vergangenheit in dem Bauvorhaben immer wieder neu entstanden sind, nicht mehr auftreten können."
Und bis zur endgültigen Abnahme der Elbphilharmonie hält die Stadt die letzte Rate von 86 Millionen Euro zurück. Der Neuvertrag war teuer erkauft und hat doch sein Ziel erreicht: Alle Zeitpläne wurden seit seinem Abschluss eingehalten. Heute steht fest: am 11. Januar 2017 wird Thomas Hengelbrock, der Dirigent des Elbphilharmonie-Orchesters, zum ersten Mal seinen Taktstock heben.