Warum werden öffentliche Bauten teurer als geplant?
Ob Stuttgart 21, BER oder Elbphilharmonie - große öffentliche Bauvorhaben haben werden eigentlich immer teurer als ursprünglich veranschlagt. Das ist kein Zufall, sondern folgt einem bestimmten Kalkül, meint der Architekturkritiker Gerhard Matzig.
Wenn am Freitag die Plaza der Hamburger Elbphilharmonie feierlich eröffnet wird, ist das auch der versöhnliche Abschluss einer neuneinhalbjährigen Bauzeit voller Querelen um Verzögerungen und explodierende Kosten.
Für Gerhard Matzig, Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung", ist das nichts Ungewöhnliches: "Dass Politiker als Bauherren feststellen, etwas wird doch teurer und wird etwas länger dauern, das kommt mir inzwischen zu oft vor."
Aus Angst vor den "Wutbürgern" werden die Kosten kleingeredet
Schuld daran sei nicht, dass sich Baukosten schlecht kalkulieren ließen, sondern dass die Politiker die Kosten nicht ehrlich benennen würden, kritisiert Matzig: "Weil man Angst hat, der Bürger geht da nicht mit."
Der Architekturkritiker plädiert dennoch für mehr Transparenz. "Ich glaube, da wäre es einfacher für die Zukunft, von Anfang an zu sagen, wo stecken die Risiken eines Bauwerks, was wird es wirklich kosten, und dann die Demokratie darüber befinden lassen."
Inzwischen lieben die Hamburger die Elbphilharmonie
Ungewöhnliche Bauvorhaben hätten es allerdings beiden Bürgern schon immer schwer gehabt, räumt Matzig ein. So wären zum Beispiel zahlreiche kluge und gebildete Zeitgenossen gegen den Bau des Eiffelturms auf die Barrikaden gegangen.
"Manchmal brauchen Bauwerke eine gewisse Zeit, um akzeptiert und schließlich auch geliebt zu werden", so der Architekturkritiker. Das sei auch bei der Elbphilharmonie der Fall: "Vor zehn Jahren - die meisten Hamburger haben das nicht gemocht. Jetzt, glaube ich, wird das Bauwerk angenommen und geliebt."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: … auf dieses Haus, was ja bekanntlich nicht von Anfang an so gewesen ist. Doch wir wissen, derlei Bauten kosten Geld, oft sehr viel mehr Geld, und das sorgt für Unmut in der Stadtgesellschaft, weil die Bürger eben auch oft nicht von Anfang an erfahren, dass so ein Bau eben auch manchmal unkalkulierbar sein kann. Als zum ersten Mal klar wurde, dass die Elbphilharmonie viel teurer wurde, da sah das der damalige Erste Bürgermeister von Hamburg Ole von Beust noch ganz locker.
O-Ton Ole von Beust: Wenn Sie sagen, ich mach das nicht auf einem Eins-A-Niveau, sondern auf einem Drei-B-Niveau, können Sie es billiger bauen, aber es ist nicht mehr das Highlight, das Sie brauchen, um internationale Künstler und Konzerte für die Hamburger, für die Region und auch für die Menschen in ganz Deutschland anbieten zu können. Das lebt von Erstklassigkeit.
von Billerbeck: Das lebt von Erstklassigkeit, sagte Ole von Beust 2006, damals Erster Bürgermeister von Hamburg. Man muss aber auch sagen, die CDU hat damals allein regiert und die nächste Wahl war zwei Jahre entfernt. Anlass für uns, jetzt darüber zu reden, ob wir schlicht mehr Mut brauchen, groß und auch schön zu bauen – und das mit Gerhard Matzig, er ist der Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung" und jetzt in München am Telefon. Schönen guten Morgen!
Gerhard Matzig: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Herr Matzig, wie oft kommt das vor, dass in der Politik jemand sagt, ja, das wird teurer, aber wir wollen einen Eins-A-Bau haben und so was dauert und so was kostet?
Matzig: Also, dass Politiker als Bauherren feststellen, etwas wird doch teurer und wird etwas länger dauern, das kommt inzwischen mir zu oft vor. Ich glaube, da wäre der Bauherr gut beraten, wenn er sich von Anfang an mehr ehrlich machen würde. Grundsätzlich finde ich es aber schön, wenn so herausragende Wahrzeichen realisiert werden wie jetzt in Hamburg die Elbphilharmonie.
von Billerbeck: Was von uns bleibt, das ist Kunst, wenn wir alle selber nicht mehr am Leben sind, und spektakuläre Bauten, die Pyramiden, die Maya-Tempel, das Kolosseum, der Pariser Eiffelturm. Aber wie ist das heute? Sind Politiker zu kleinmütig zu sagen … Sie haben ja mal geschrieben, es mangele an öffentliche Bauherren, das seien meist Bauherrchen. Hat sich da was getan?
Matzig: Ich glaube, dass es schon ein Defizit an mutigen und auch visionären Bauherren gibt. Es gibt weniger ein Defizit an fantastischen Architekten, die etwas realisieren wollen, aber die Bauherren sind inzwischen in dieser Klemme. Selbst wenn sie etwas Ungewöhnliches realisieren wollen, dann haben sie inzwischen einfach sehr große Angst vor der Öffentlichkeit. Und dadurch kommt es ja auch zu diesem Lügengewebe, die Bauten, dass die … Ich … Sie haben in der Anmoderation glaube ich gesagt, dort hieß es, Bauten seien oft unkalkulierbar. Das glaube ich nicht, man kann eigentlich jedes Bauwerk kalkulieren. Es ist nur so, dass diese Baukosten oft nicht ehrlich benannt werden auf der Bauherrenseite, weil man eben Angst hat, der Bürger geht da nicht mit. Ich glaube, da wäre es einfacher für die Zukunft, von Anfang an zu sagen, wo stecken die Risiken eines Bauwerks, was wird es wirklich kosten, und dann die Demokratie darüber befinden lassen. Dann ist wiederum die interessante Frage: Ist die Gesellschaft noch willens, sich solche Bauwerke zu leisten? Das ist dann die spannendere Frage.
von Billerbeck: Ja, genau. Ich habe in einem Text auch von Ihnen gelesen, wir leiden an einer wutbürgerlichen Nein-danke-Gesellschaft. Sind die Menschen einfach zu wenig gebildet, was Bauhistorie angeht, dass sie immer so schnell auf die Barrikaden gehen und gar nicht kapieren, was wir eigentlich tun, wenn wir uns solche herausragenden Bauten leisten und schenken ja auch?
Matzig: Ja, ich möchte jetzt das Publikum gar nicht beschimpfen. So eine Art natürliche Bauignoranz gab es immer schon. Als der Eiffelturm realisiert wurde, gab es auch große, wichtige, intellektuelle, kluge und gebildete Menschen, die vollkommen dagegen auf die Barrikaden gegangen sind. Manchmal brauchen Bauwerke eine gewisse Zeit, um akzeptiert und schließlich auch geliebt zu werden, übrigens auch im Fall der Elbphilharmonie. Vor zehn Jahren, die meisten Hamburger haben das nicht gemocht, jetzt glaube ich wird das Bauwerk angenommen und geliebt. Das ist ein wunderbarer Vorgang. Also, es gibt immer so für das Ungewöhnliche erst mal keine große demokratische Mehrheit, da braucht man starke Menschen dahinter, die dann so etwas dennoch realisieren.
von Billerbeck: Und ist die Idee, für die Ewigkeit zu bauen, eigentlich noch etwas, was zur heutigen Gesellschaft passt?
Matzig: Im Prinzip ja. Also, vielleicht ersetzen wir den Begriff der Ewigkeit durch Nachhaltigkeit, das ist natürlich ein hervorragender Gedanke unserer Zeit, Bauwerke zu realisieren, die sehr, sehr, sehr lange da einfach stehen können und für identifikatorische Kraft sorgen können. Man möchte nicht ständig eine Stadt neu erfinden, man möchte auch nicht ständig neue Wahrzeichen haben. Man möchte durchaus, dass Städte sich auszeichnen durch gewachsene Strukturen und eben auch durch Bauwerke, die über Jahrzehnte von etwas künden. Die Oper in Sidney zum Beispiel, der Kreml in Moskau, das Olympiastadion in München, aus ganz unterschiedlichen Zeiten sind das Bauwerke und wenn die stark sind, dann können die sich auch über Jahrzehnte, auch über Jahrhunderte behaupten. Und in einem Zeitalter der Nachhaltigkeit ist das eigentlich ein sehr zeitgemäßer Gedanke.
von Billerbeck: Gerhard Matzig war das, der Architekturkritiker der "Süddeutschen Zeitung". Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.