Eine Kultkneipe wird zur Zentrale der Barmherzigkeit
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Der Elbschlosskeller in Hamburg war schon immer ein besonderer Ort. Da der Kneipenbetrieb wegen der Coronakrise pausieren muss, hat die Kellercrew umdisponiert. Inzwischen ist der Laden zum Kristallisationspunkt der Kiezsolidarität geworden.
Hinterm Tresen im Elbschlosskeller steht Barmann Philipp. So wie vor Corona. Aber normalerweise trägt er keinen Mundschutz, normalerweise sieht die Souterrain-Spelunke ganz anders aus. "Ist alles ein bisschen dreckiger, ein bisschen wilder. Dunkler auch", sagt er über die normalen Zeiten. "Und hier ist 24/7 Party!"
Diese Partys sind erstmal vorbei. Denn wie alle anderen Läden musste auch der Elbschlosskeller wegen der Coronakrise schließen. Zumindest als Ort, an dem viel Bier und Korn fließen.
Anlaufstelle für Obdachlose und Arme
Schnell wurde umdisponiert und die Kneipe zur Anlaufstelle für Obdachlose und Geringverdiener, von denen viele den Elbschlosskeller bisher als Ort kannten, an dem es immer noch einen und noch einen Absacker gibt. "Hinterm Tresen haben wir unsere beiden Töpfe stehen, wo unsere Suppe oder das andere Essen drin ist, was wir jeden Tag ausgeben. Links daneben steht ein Kanister mit Tee. Da links neben steht unsere Kaffeemaschine", schildert der Barmann. "Auf dem Tresen wird die Suppe zubereitet, zwei Stücken Brot, ein Löffel mit in die Schale, und morgens werden auf dem Tresen Brote geschmiert. Die werden dann verpackt und dann machen wir so Lunchpakete fertig."
Auf den vier Tischen lagern jetzt Kartons mit Süßigkeiten, Brot und Brötchen, Desinfektionsmittel. Dahinter stapeln sich schon nach Größen sortierte Jacken, Hosen, Pullover und Schlafsäcke. Obdachlose und Menschen, bei denen das Geld für einen Supermarkteinkauf nicht reicht, können kommen und werden versorgt.
20 Freiwillige unterstützen das Projekt. Eine von ihnen ist Djamila, die heute zum ersten Mal dabei ist. "Ich habe das im Internet verfolgt und fand das einfach megagut und hab gedacht: Ich arbeite sowieso gerade nicht, also kann ich auch was Sinnvolles tun." Ihren Job heute kennt sie noch nicht, sagt sie: "Wahrscheinlich Brötchen schmieren!"
Eine Kneipe, die schon immer besonders war
Geführt wird der Elbschlosskellers von Daniel Schmidt und seiner Frau. Daniel hat die Kneipe von seinen Eltern übernommen. Nach der coronabedingten Schließung war ihm und seinem Team schnell klar, dass sie etwas tun wollen, um weiter für die da zu sein, die die Krise besonders hart trifft. "Wir haben einfach gehandelt", sagt Daniel.
"Das ist hier ein Laden, der seit Generationen geführt wird, und wir haben immer schon geholfen und unterstützt", ergänzt der Betreiber. "Wir haben 24 Stunden geöffnet und haben dementsprechend viele Kunden, die halt wohnungslos sind oder – in Anführungsstrichen – auf die schiefe Bahn geraten sind. Dementsprechend betanken die sich hier auch stärker als der Otto Normalverbraucher und schlafen hier auch mal ein paar Tage. Mein Frau und ich, wir haben das Ding vor acht Jahren übernommen, wir haben hier teilweise Meldeadressen beziehungsweise die postalische Adresse für die angenommen, damit die Post hierher kam, haben denen mal einen Zehner zugesteckt, wenn die geknackt haben oder nichts zu essen hatten, und mal einen warmen Kakao geholt."
Der 35-Jährige – großes Tattoo am Hals, kurzgeschorene Haare – steht auf dem Bürgersteig vor dem Elbschlosskeller. Meistens hat er in diesen Tagen das Handy am Ohr. Koordiniert, wohin die vielen Essens-, aber auch Kleiderspenden gepackt werden sollen, teilt Dienste ein, lädt Waren aus den Autos derer, die helfen wollen.
"Jetzt gerade aktuell laden wir Lebensmittel hier ab, die wir von einem Edeka-Markt gespendet bekommen haben", sagt er. "Schnell verderbliche Sachen. Dementsprechend müssen die schnell gekühlt werden. Das passiert jetzt."
Spenden von Supermärkten
Auch die Discounter Penny und Rewe beliefern jetzt den Elbschlosskeller mit Waren, bei denen das Haltbarkeitsdatum bald abläuft. Und die Hamburger Stadtreinigung hat schon in den ersten Tagen nach der Verwandlung der Kiezkneipe nicht nur drei Extra-Mülltonnen aufgestellt. Wie Patrick Wischhöfer, neongelbe Jacke, einen Pappkarton unterm Arm, erzählt, unterstützen seine Kollegen von der Stadtreinigung und er das Projekt auch mit Sammlungen unter den Mitarbeitern: "Als wir gehört haben, dass Schuhe fehlen, haben wir Schuhe hergebracht. Und wenn jemand was in die Firma mitbringt, liefern wir das schnell ab."
Wischhöfer fährt fort: "Heute haben wir Schokoladen mitgebracht. Und ein paar Leute haben noch Teller und Messer gefunden, also Einwegbesteck. Ist ja eigentlich verpönt. Aber in der Situation hier bleibt einem ja nichts anders übrig."
Jeden Morgen zwischen 10 und 12 Uhr können die Spenden abgeliefert werden. Gleich danach startet die Essensausgabe. Gekocht werden die Mahlzeiten von Marcus Tuschy. Sein Restaurant, das "Hidden Kitchen" auf dem Kiez, ist gerade auch geschlossen. Er hat Zeit und Spaß am Projekt. "Am Anfang, muss ich auch sagen, war die Stimmung noch ein bisschen bedrückender", berichtet Tuschny. "Jetzt, wo man Kraft gesammelt hat, positive Energie, merkt man auch, dass die Leute mehr lächeln. Dadurch, dass wir zusammenhalten. Und Solidarität ist auch so ein Ding, das macht glücklich!"
Warteschlange bis zur Reeperbahn
Schon kurz vor 12 Uhr zieht sich die Warteschlange bis zur Reeperbahn. Vor dem Eingang ein Stuhl für Türsteher Axel. Der bullige Typ wacht über die Einhaltung der Vorschriften. Alle halten Abstand, beachten die in Neonorange aufs Pflaster gesprühten Striche.
Einer der Wartenden ist Peppi, der sich einen zerfledderten Mundschutz vors Gesicht schiebt. "Ich bin froh, dass der Elbschlosskeller und noch manch andere Leute endlich zusammen rocken. Und dass der Kiez endlich mal eine Gemeinschaft ist!"
Sogar die polizeibekannte und bei vielen gefürchtete Rockergang der "Hells Angels" helfe mit in der Not, erzählt Peppi: "Die fahren vorbei, da fliegt mal ein Fünfer raus oder was zu essen, was Gutes. Ich finde es traurig, dass es diese Zeit braucht, aber ich bin glücklich, dass es so ist, wie es ist."
Vor Corona konnten sich viele, die anstehen, ihre Mahlzeiten durchs Schnorren verdienen. Jetzt, in den fast menschenleeren Straßen, geht das nicht mehr.
Um kurz vor 14 Uhr sind die beiden großen Suppentöpfe leer, die letzten Gäste bekommen geschmierte Stullen und heißen Tee. Und in Einzelfällen auch Alkohol, erzählt Daniel Schmidt, der Chef des "Elbschlosskellers". "Da gucken wir natürlich: Wer und wieviel, und was wir rausgeben. Aber es gibt halt viele Leute, die auf der Straße leben und Alkoholiker sind. Und du kannst nicht verlangen, dass die von heute auf morgen ein Problem in den Griff bekommen, was jahrzehntelang nicht geklappt hat. Sonst wären sie nicht da, wo sie sind. Dementsprechend geht’s teilweise darum, auch Pegel zu halten, damit die eben nicht abklappen!"
Segen vom Kiezpfarrer
Wie groß die Unterstützung für das Corona-Projekt im Elbschlosskeller ist, wird zehn Minuten später klar. Vor der Tür steht Karl Schulz. Ein älterer Herr, der mit seinem schwarzen Hut und dem weinroten Schal so gar nicht zur Kneipentruppe im Elbschlosskeller passt.
"Ich wohne und arbeite hier. Ich bin der Kiezpfarrer. St. Joseph, Große Freiheit", erklärt Schulz. Er platziert noch einen Aufkleber mit römischen Ziffern über dem Eingang. Ähnlich den Kreideziffern der Sternsinger. "Segne dieses Haus und alle Menschen, die ein und aus gehen und hier arbeiten!"
"Gerade dieses Haus, der 'Elbschlosskeller', die kümmern sich in einer hervorragenden Art und Weise", sagt Schulz. "Und da gehe ich hin. Und heute hab ich die Kneipe gesegnet. Und damit auch alle, die hier ein und ausgehen."
"Dankeschön!"
Neben dem Pfarrer stehen Kneipier Daniel, Türsteher Axel und die anderen. Etwas verdattert, aber gerührt.
– "Also, haut rein!"
– "Voll geil! Vielen Dank!"
– "Ich hab selten Gänsehaut, aber das passt!"
– "Voll geil! Vielen Dank!"
– "Ich hab selten Gänsehaut, aber das passt!"