Eleganz geht anders

In der seinerzeit geradezu sensationell kurzen Zeit von 55 Jahren bauten die Bürger von Barcelona, weder Klerus noch Obrigkeit, im 14. Jahrhundert die Basilika Santa Mariá del Mar. Die Kirche, bis heute eines der Schmuckstücke der katalanischen Gotik, war denn auch titelgebend für "Die Kathedrale des Meeres", den Debütroman des in Barcelona lebenden Anwalts Ildefonso Falcones, der in Spanien so oft verkauft wurde wie kein Buch zuvor und der auch in Deutschland das bislang erfolgreichste Buch des jungen Jahres ist.
Wieder einmal ein historischer Roman, aber ein Vergleich mit Ken Folletts "Die Säulen der Erde" oder gar Umberto Ecos fabelhaftem "Name der Rose" ist trügerisch.

Bei Follett stehen Kultur und Großtaten mittelalterlichen Kirchenbaus im Zentrum der Erzählung, garniert mir kernigen Charakteren. Bei Falcones ist der Kathedralenbau nur die Hintergrundmusik zu den schweren Schicksalsschlägen und famosen Taten seines Helden Arnau Estanyol, eines Hafenarbeiters und Gildeangehörigen der Bastaixos, der Hafenstauer, die die Quader für das Gotteshaus auf krummem Rücken zur Baustelle schleppen. Und der mitunter betuliche, streng lineare Erzählstil erinnert, wenn überhaupt, eher an den doch recht schmonzettigen "Medicus" als an die Raffinesse eines Eco.

Ein Folgeband mit einem Sohn wird es in diesem Fall allerdings wohl nicht geben, da Falcones nach knapp einem Drittel des Buches bereits den Heldenstab vom Vater an den Sprössling übergibt. Denn der Roman beginnt mit der Hochzeit des ehrbaren und vergleichsweise gut bestallten Bauern Bernat Estanyol, zu der sich unverhofft der Lehnsherr gesellt und sein Recht der ersten Nacht mit der Braut einfordert.

Infolge dessen flieht der quasi in Leibeigenschaft lebende Landwirt samt seinem kleinen Sohn in die Stadt Barcelona, weil Stadtluft frei macht - wer sich ein Jahr und einen Tag dort durchschlägt, ist der Fron des Feudalherren entronnen. Bernat stirbt auf halber Höhe des Romans, von nun übernimmt sein Sohn Arnaut die Geschicke der Familie, bringt es vom Steineschlepper zum Geldwechsler, macht ein Vermögen und wird für eine kriegerische Großtat geadelt. Und bewahrt sich dabei, von einer kleinen, wenn auch folgenschweren Weibergeschichte einmal abgesehen, seine vom Vater vermittelte Güte und den damit einhergehenden Edelmut.

Charakterschwächen, Brüche, vielleicht sogar die eine oder andere diabolische Seite kennen die Protagonisten dieses Buches nicht - sie sind, mit Verlaub gesagt, geradezu unerträglich gut. Mies darf nur die Konkurrenz sein, das und manch eine Redundanz, allerlei Wiedergekäutes also, mindern die Spannung doch erheblich.

Interessant wird der Roman immer dann, wenn historische Details eingestreut sind, zu katalanischem Stadt- und Landrecht im Mittelalter, politischen und feudalrechtlichen Gepflogenheiten, zu Alltagsleben und Brauchtum, bei denen sich Falcones auf die ungemein informative "Chronik" Pedros III., König von Katalonien und Aragon, bezieht. Aber auch diese Teile wirken eher aufgesetzt und nicht wie ein organischer Bestandteil der Erzählung. Eleganz geht anders.

Zum Schluss allerdings wird das Buch, dank Inquisition, richtig spannend. Man erkennt ein Anliegen des Autors, einen Grund, warum er diesen Roman geschrieben hat, und vielleicht auch eine Erklärung dafür, weshalb er zum Bestseller wurde. Hier wird er wahrhaftig zu einem Hohelied auf das freie Bürgertum, das für seine Rechte einsteht, in Barcelona und anderswo.

Rezensiert von Georg Schmidt

Ildefonso Falcones: Die Kathedrale des Meeres
Übersetzt von Lisa Grüneisen.
Scherz Verlag, Frankfurt am Main Dezember 2007
656 Seiten. 19,90 Euro