Verkehrswende geht anders
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Es könnte so schön sein: von München nach Zürich schneller als mit dem Flugzeug und dazu mit weniger Abgasen. Doch verlässlich pünktlich ist die Allgäuer Bahntrasse nicht gerade. Schon eine verspätete S-Bahn kann sie ausbremsen.
Zwischen München und Zürich stinkt es. Und zwar nach Diesel. In Zeiten, in denen woanders die Bahn elektrisch fast geräusch- und geruchlos von Stadt zu Stadt gleitet, hört man ihn hier kilometerweit: den Eurocity zwischen den zwei wichtigen Metropolen am Alpenrand. Sieben Waggons, gezogen von zwei bullernden Dieselloks aus den 70er-Jahren. Höchstgeschwindigkeit: 140 km/h. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dieser Strecke: 90 km/h. Aber nur noch bis Dezember. Dann wird aus dem Dieselinferno ein Elektrozirpen.
"Der elektrische Zugverkehr hat viele Vorteile", sagt der Sprecher für die Bauprojekte der Deutschen Bahn in Bayern, Franz Lindemair. "Er ist viel sauberer. Es braucht keinen Dieselantrieb, keine Abgase mehr, keine Umweltverschmutzung. Wir sind also auf diese Weise Teil der Klimabemühungen der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem macht er die Züge sowohl in der absoluten Geschwindigkeit als auch bei der Anfahrt schneller."
Viele Brücken mussten umgebaut werden
Der Eurocity von München nach Zürich kommt deshalb bald deutlich schneller an. In den vergangenen zwei Jahren hat die Deutsche Bahn für die 150 Kilometer zwischen Geltendorf bei München und Lindau am Bodensee über 3500 Oberleitungsmasten aufgestellt, die künftig die Züge mit der notwendigen Energie versorgen.
Aber damit allein war es nicht getan. Franz Lindemair steht am Bahnhof Memmingen und zeigt auf eine neue Fußgängerbrücke über die Gleise:
"Hier gibt es einen Steg, an anderer Stelle sind es Straßenbrücken. Die sind gebaut worden, als die Züge noch etwas niedriger waren, beziehungsweise weniger Profil nach oben brauchten. Jetzt mit der Oberleitung und dem Stromabnehmer, den die Zügen künftig auf dem Dach haben, braucht man mehr Platz nach oben. Also mussten diese Bauwerke angehoben oder zum Teil ganz neu gebaut werden. Und zum Teil mussten auch die Gleise unter den Brücken abgesenkt werden."
Die Elektro-Zukunft ist schneller als die Diesel-Vergangenheit
Und so haben sie es nun fristgerecht geschafft, mit relativ wenigen Ausbaumaßnahmen und insgesamt einer halben Milliarde Euro den Eurocity München-Zürich schneller zu machen.
"Der Eurocity ist ein Schweizer Zug, Schweizer Bundesbahnen SBB. Er hat eine Neigetechnik, kann sich also ein bisschen wie ein Motorradfahrer in die Kurve legen. Hier im Allgäu kann er 160 km/h Höchstgeschwindigkeit fahren."
Man muss sagen: ‚Nur‘ 160 km/h, wegen der Kurven im hügeligen Voralpenland. Aber dafür in einem schicken windschnittigen Triebzug, entworfen vom italienischen Designer Giorgio Giugiaro, der auch schon für den Look der ersten Generation des VW Golf verantwortlich war. Der Schienenflitzer ist nicht nur viel leiser als die aktuellen zwei Dieselloks, sondern bietet auch WLAN.
Die Bahn als Alternative zum Flugzeug
Durch die saftigen Wiesen mit dem Allgäuer Braunvieh werden künftig nicht nur Urlaubsreisende mit viel Zeit und Sinn für Eisenbahnromantik, sondern auch Geschäftsreisende düsen. Denn, so die Kalkulation, ab einer Fahrzeit von unter vier Stunden macht die Bahn dem Flugzeug Konkurrenz, erläutert Werner Ebert von den Schweizer Bundesbahnen.
"Wenn man die gesamte Reisezeit betrachtet, ist man in diesem Radius eigentlich schneller, als mit dem Flugzeug. Man hat Anreisezeiten zum Flughafen. Meistens sind die Flughäfen auch außerhalb der Stadt. Man hat gewisse Wartezeiten beim Check-in. München ist genau in diesem Radius. Wir haben heute eine Reisezeit von über viereinhalb Stunden. Neu werden wir auf eine Reisezeit von vier Stunden kommen und in einem weiteren Schritt auf dreieinhalb. Das ist natürlich eine prädestinierte Linie, um hier als Bahn zwischen den zwei Metropolen Zürich und München das Kernverkehrsmittel zu werden."
In der Schweiz fährt man gerne Bahn – und auch gern mal zum Shopping oder zum Oktoberfest nach München. Das Projekt ist also von großem Interesse für die Eidgenossenschaft, die deshalb 50 Millionen als Darlehen dazu gab, um möglichst bald ihren schnellen Elektrozug auf die Strecke zu schicken.
Die S-Bahn bremst aus
Doch es gibt da ein kleines Manko: In der Schweiz kommt man gerne pünktlich ans Ziel. Und diese Pünktlichkeit ist auf deutscher Seite gleich mehrfach in Gefahr. Christian Moritz von der Fahrgastorganisation macht die erste Ursache für Verspätungen aus: die Münchner S-Bahn, mit denen sich die Züge ins Allgäu die ersten 35 Kilometer die zwei Gleise teilen.
"Wenn die S-Bahn nach Geltendorf verspätet unterwegs ist, kommt auch ein nachfolgender Zug – sei es ein Regionalexpress, eine Regionalbahn oder auch ein Eurocity – hinter die S-Bahn und kann nicht ausweichen."
Aus der Nutzerperspektive hört sich das dann so an wie bei Jorge Alonso Pazos, der jeden Tag 80 Kilometer von Mindelheim nach München auf der Strecke pendelt, auf der auch der Eurocity unterwegs ist: "Die S-Bahn hat immer Vorrang vor einem Pendlerzug. Das heißt, wenn wir Pech haben und wir oder die S-Bahn fünf Minuten zu spät rauskommen, tingeln wir hinter der S-Bahn bis nach Geltendorf. Und die hält alle fünf Minuten."
Schon eine Verspätung bringt alles durcheinander
Die Lösung auf diesem Nadelöhr durch den Münchner Speckgürtel wäre ein drittes Gleis, um langsame S-Bahnen zu überholen. Doch das kommt wohl frühestens in zehn Jahren. Bis dahin wird auch der schnelle Schweizer Flitzer öfter mal seine Bremsen benutzen müssen. Doch das ist der Anfang eines riesigen Rattenschwanzes: Denn die nächsten 110 Kilometer sind jetzt zwar elektrifiziert und beschleunigt, aber weiterhin nur eingleisig.
"Die Verspätungen sind für die eingleisige Strecke eine Katastrophe, weil diese Verspätungen den Fahrplan komplett durcheinander bringen", sagt Christian Moritz von Pro Bahn. Denn der Zug aus der Gegenrichtung müsse dann an einem Bahnhof so lange warten, bis der verspätete Zug aus München komme und die Strecke dann frei werde.
"Mit einer Verspätung morgens kann man einen ganzen Tag abhaken. Die Verspätung, die pflanzt sich durch den Fahrplan bis zum Abend fort."
Uninteressant für den Güterverkehr
Franz Lindemair von der Deutschen Bahn findet diese Kritik unberechtigt. Schließlich gebe es alle zehn Kilometer einen Kreuzungsbahnhof, auf dem die Züge sich begegnen könnten. Er sieht die Sache eher grundsätzlich: Aus Sicht der Nachfrage sei ein zweites Gleis gar nicht nötig, da für die elektrifizierte Strecke kein großer Verkehrszuwachs geplant sei.
Und nur wenn es diesen Zuwachs gibt – vor allem mehr Güterzüge –, dann finanziert der Bund, dem die Bahn gehört, auch ein zweites Gleis, heißt es sinngemäß aus dem Verkehrsministerium in Berlin. Doch da die Strecke von München nach Lindau teilweise sehr steil ist, würden internationale Güterzüge weiterhin einen Bogen um das Allgäu machen.
Doch was, wenn plötzlich viel mehr Menschen auf den Zug umsteigen würden? So viel, dass viel mehr Züge fahren müssten? "Südlich, parallel dazu verläuft eine zweite Strecke durch das Allgäu über Kempten, die auch nach Lindau führt, und deswegen werden auch viele Verkehre weiterhin auf dieser Strecke stattfinden."
Das Problem: Diese zweigleisige Strecke südlich ist noch kurviger, noch langsamer und eine Elektrifizierung steht noch nicht einmal im aktuellen Bundesverkehrswegeplan, wo alle künftigen Verkehrsprojekte aufgeführt sind. Günter Räder, Lokalpolitiker der Grünen im Ostallgäu, ist sauer. Weil künftig die Hälfte der Pendelnden aus Richtung Kempten nach München in den Elektrozug aus Lindau umsteigen müssen.
Ausgebaut wird die Bundesstraße
Es wird also kaum schneller, dafür unbequemer für das bahnfahrende Südallgäu an der alten Dieselstrecke. Gebaut wird stattdessen daneben auf der Bundesstraße B12 Kempten-Buchloe. Die soll vierspurig werden.
Doch warum macht man den Bahnverkehr nicht elektrisch und schneller? Gerade im Allgäu, wo der Wochenendverkehr die Straßen und Parkplätze verstopft? Im Bundesministerium des bayerischen Verkehrsministers Andreas Scheuer von der CSU antwortet man schriftlich: Es bedürfe auch hier einer entsprechenden Nachfrage von Personen- und Güterverkehr.
"Wir setzen weiterhin auf eine Verkehrspolitik von vor 20, vor 25 Jahren, bei der das Auto völlig priorisiert wird und die anderen Verkehre nicht zum Zuge kommen. Gerade die Elektrifizierung dieser Bahnstrecke wäre ein großer, wichtiger Schritt, um für die Vernetzung der Verkehrsinfrastruktur zu sorgen", sagt Günter Räder von den Grünen.