Urfinnisch und unangepasst
Tenor fällt allein schon durch sein Äußeres auf. Mit seinem Mix aus Jazz, Funk und Techno passt er in keine Schublade. Trotz internationaler Karriere ist Tenor urfinnisch geblieben – und liebt das Pilze sammeln.
Dicke Hornbrille und weißer Andy-Warhol-Schopf - der Musiker Jimi Tenor fällt allein schon durch sein Äußeres auf. Mit seinem Mix aus Jazz, Funk und Techno passt er in keine Schublade. Trotz internationaler Karriere ist Tenor urfinnisch geblieben - und liebt das Pilzesammeln.
Jimi Tenor: "Wir müssen wenigstens einen Steinpilz finden! Aber der Mensch hat ja so einen Jagdinstinkt. Wenn er irgendwas entdeckt, was auch nur entfernt nach Essen aussieht, dann erkennt er das von Weitem, und zoomt dann drauf ..."
Ein Waldstück am Stadtrand von Helsinki: Kiefern, Birken, Flechten. Mittendrin und unverkennbar: Jimi Tenor. Stapft durch das Unterholz, auf der Suche nach Pilzen. Trägt rosa Shorts, Ringel-Shirt, und in der Hand einen geflochtenen Korb. Die dicke Brille und die Warhol-bleichen Haare sind noch genauso, wie sie schon in den 90er-Jahren waren, als die englische Presse den Finnen als Techno-Gott feierte.
Seither hat Tenor in New York gelebt, in Berlin und Barcelona. Aber seine Musik und er selbst sind immer finnisch geblieben: technisch, praktisch, mit einem nationalromantischen Unterton - und immer schön schräg. Tenor tritt gern in selbst genähten Glitter-Outfits auf. Oder gleich auf einem Pferd, auf dessen Rücken er dann Stücke über alte finnische Waldgottheiten vorträgt. Der Sound dazu kommt oft aus Instrumenten, die Tenor zum Beispiel aus einem ostdeutschen Fahrraddynamo und einem Walkman made in Hongkong zusammengebastelt - oder im Wald gefunden hat:
"Ich mache zum Beispiel Flöten aus Eberesche. Das ist ein heiliger Baum, deshalb muss ich das Holz auch heimlich organisieren ... Das Mundstück kommt vom Apfelbaum. Ich mache auch Balafone, eine Art Xylophon. Meine eigene Variante habe ich Halkofon getauft, die besteht aus selbst gehackten Holzscheiten. Ein primitives Instrument, klingt aber super."
Auch im Alltag ist der Elektro-Kauz vor allem: ein Finne mit Hang zum einfachen Leben, der seine Inspiration in der Natur sucht:
"Oft kommt einem beim Pilzesuchen eine Musik-Idee. Melodien ... Oder ein neuer Rhythmus ... Es gibt ja sonst nichts zu tun - es ist ja nicht gerade eine große Herausforderung, Pilze anzugucken!"
Im Moment aber doch keine leichte Aufgabe. Nicht nur, weil sein altes Nokia-Handy immer wieder klingelt: Der Sommer war zu trocken für Pilze. Dafür gibt es Heidelbeeren - auch gut, denn aus denen bäckt Tenor Brot. Experimente macht er eben nicht nur in der Musik, sondern auch in der Küche. Er koche jeden Tag, erzählt er. Am liebsten japanische Pickles. Endlich. Jimi Tenor hat den ersten Pilz gefunden: ein "Semmelgelber Stacheling", wie er sofort erkennt. Die Erde pinselt er mit dem Aufsatz seines Pilzmessers sorgfältig ab. Legt den Pilz in den Korb und stapft weiter.
Pilze sammeln und Brot backen sind für ihn ebenso Teil der finnischen Lebensart wie die Sauna:
"Die Sauna ist unsere Religion. Sie ist viel wirklicher als die Kirche, wer glaubt da schon dran! Und wir haben keine Regeln wie die Deutschen. Oh Gott, Sauna in Deutschland, schrecklich! Als ich in Kreuzberg in einer war, habe ich in zehn Minuten bestimmt 20 Regeln gebrochen. Offenbar muss Sauna dort ein Event sein. Hier sitzt man einfach nur. Mehr braucht man nicht."
Tenor spielt unzählige Instrumente
Außer der Musik natürlich. Tenor spielt unzählige Instrumente, und seine Werk passt in kaum eine Schublade. Ein Mix aus Elektro, 60er- und 70er-Jahre-Jazz, Psychedelic Soul, African Funk oder Easy-Listening-Kitsch. Oft klingen abstruse Texte mit, verfremdete Stimmen, schnarrende Falsett-Einlagen. Tenor hat schon mit einem polnischen Orchester zusammengespielt und Stücke so illustrer Komponisten wie Erik Satie oder Pierre Boulez re-komponiert. In letzter Zeit klingt der Einfluss von Afro- und Latino-Sound in seiner Arbeit mit:
"Musik ist so was, ich hatte nie eine andere Idee, was ich machen könnte. Ich hab schon oft überlegt, warum geht das immer weiter? Es ist wohl so ein inneres Feuer, ich muss einfach."
Und eines verbindet seine Musik von Techno bis Big Band dann doch: die Fähigkeit, gegenläufige Elemente aus High und Low ohne musikalischen Klassendünkel zu verknüpfen, sich unkonventionelle Zitate aus verschiedensten Stilen herauszupicken - wie es auch auf seinem gerade erschienen Album zu hören ist.
"Die Platte ist eine Art Zusammenfassung aus den letzten zehn Jahren. Vielleicht ein etwas seltsames Album, mystisch irgendwie. Hör es dir einfach an …"
"Seltsam-Sein", das war schon Tenors Markenzeichen, als er in den 80er-Jahren mit der Band Shamans versuchte, seinen Landsleuten Industrial näherzubringen. Das Hardrock-geprägte Finnland konnte mit seinem experimentellen Rock aber nicht viel anfangen.
Also suchte Tenor sein Glück erst einmal in New York. Tüftelte an billigen Synthesizern und jobbte als Touristenfotograf auf dem Empire State Building. Vor allem aber lernte er die Soul-Musikerin Nicole Willis kennen - seine künftige Ehefrau und der Grund, warum er wieder in Finnland lebt:
"Wir sind vor allem nach Finnland zurück, weil meine Frau, die ja aus Brooklyn kommt, hierher wollte. Vor allem wegen unserer Kinder. Sie hat dem amerikanischen Bildungssystem nicht getraut ..."
Jetzt macht Nicole Willis in Finnland Musik, mit ihrer Band "The Soul Investigators" und immer wieder auch mit ihrem Mann. Die Familie wohnt in einem dreistöckigen Mehrfamilienhaus mit verwaschener Fassade in Kontula, nur ein paar Radminuten vom Wald entfernt.
Vor allem aber liegt Kontula auch nah am Flughafen - das ist wichtig, um schnell bei Gigs in Zürich, London oder New York zu sein - auch wenn der große Hype um ihn abgeebbt ist. Denn um den Massengeschmack schert er sich ebenso wenig wie seine Fans, die immer wieder gespannt sind, wie schräg - und doch ernsthaft - das nächste Werk klingt.