Elektro-Nerds aus dem wilden Osten

Von Gerd Brendel |
Ein Phlegmatiker und ein Choleriker: Einst machten sich Gernot Bronsert und Sebastina Szary aus Brandenburg auf, die Clubs zu erobern. Mittlerweile gehört das Duo zu einem der erfolgreichsten Labels für elektronische Tanzmusik. Auch persönlich ergänzen sich die Beiden geradezu wunderbar.
"So, hab jetzt mal ne Highhat schnell aufgenommen und nehm die ganz schnell dazwischen."

Gernot Bronsert und Sebastian Szary bei der Arbeit. 12 Stockwerke tiefer fährt die Straßenbahn über den Alexanderplatz. Hier oben im Modeselektor Studio entsteht ein neuer Track.

"Das ist die Handclap, das ist die Snare .. und dann steckt man diese Teile hier rein und keiner weiß. was passiert. Man verändert den Schaltkreis so sehr, dass im Prinzip schrottige Daten bei rauskommen, aber es kann toll klingen."

Szary dreht an den Knöpfen seines Drum-Computers und freut sich wie ein kleiner Junge. Mit seinem Drei-Tage-Bart und dem schwarzen Brusthaar unter dem orangenen Overall könnte er auch als italienischer Schnulzensänger durchgehen. Sein Freund und musikalischer Partner Gernot passt schon eher ins Bild des Elektro-Nerds, der irgendwann mal einen Hamburger zu viel gegessen hat. In Basecape und Trainingshose steht er vor einer Landschaft aus Mischpult und Rechnern.

"Also, wir haben ne ganze Menge schrottiger kleiner Geräte und hoffen, dass dabei was Gutes rauskommt."

Seit zehn Jahren machen die beiden das - seit sie in einem Jugendclub anfingen, gemeinsam Musik zu basteln. Der Name der Zwei-Mann-Band "modeselektor" stammt von einer Funktion an einem der schrottigen kleinen Geräte, die die beiden damals benutzten. Es waren die wilden Jahre kurz nach dem Fall der Mauer. Auch zuhause in Rüdersdorf und Woltersdorf am Rande Ost-Berlins blieb nichts, wie es war:

"Als die Mauer fiel, war ich 11, und ich saß da in dieser Kirche an diesem Klavier und wollte nicht hin, und musste aber, und da klingelte dieses Telefon und der Herr Gehrike sagte ja ja jaja .. legte auf und verließ den Raum ohne ein Wort."

Kantor Gehrike kam nie wieder, und der kleine Gernot erlebte die Freiheit des Westens als Befreiung vom ungeliebten Klavierunterricht. Ein paar Tage später erlebte Sebastian die Freiheit der kapitalistischen Warenwelt West-Berlins:

"Klar, man hat sich dieses Begrüßungsgeld geholt! Und der Typ, muss man dazu sagen, hat noch nen Hunni gefunden aufm Boden… inner Sparkasse, und für dieses Geld, ich hab mir dafür Schallplatten gekauft. Es waren so Hiphop-Sampler, und ich konnte sie dann endlich auf meinem extrem schlechten RFT Plattenspieler scratchen."

"Wir haben son Schlupfloch entdeckt, hey Moment, jetzt können wir ja richtig viel Blödsinn machen! Aber wir waren nie solche Kaputtmacher, die jetzt losgehen und in nem leeren Haus die Scheiben einschlagen .. sondern wir haben da Parties drin gemacht,wir haben da Techno-Parties gemacht."

Nebenher machte Gernot Bronsert Abitur und studierte Sozialpädagogik. Sebastian Szary ging in Rüdersdorf in die Lehre beim Zementwerk vor Ort und wurde Betonfertig-Bauer und

"Eisenbieger..hört sich richtig cool an ?"

Aber

"mich hat die Musik mehr interessiert als der Beruf, und irgendwann war klar, da muss sich was ändern. Und da bin in den Jugend-Club gegangen nach Köpenick, hab dort angefangen, ein Studio zu leiten für Kids, Schwerpunkt Hiphop, und irgendwann kam dann Gernot, im Zuge seines Sozialpädagogik-Studiums, ich hab nämlich dort mein Jahrespraktikum in diesem Studio gemacht, da haben wir angefangen, Musik zu machen. Wenn der Jugendclub um acht die Schotten schloss, haben wir uns ins Studio zurückgezogen und Modeselektor angefangen. Bis morgens viere, fünfe und dann sind wir mit der ersten S-Bahn wieder in die Stadt."

Wie ein altes Ehepaar werfen sich die beiden Musiker die Bälle zu. Seit damals sind sie unzertrennlich. Daran hat sich auch nichts geändert, als die beiden fast zeitgleich vor vier Jahren Väter wurden.

"'Ich hab en Sohn und Szary hat ne kleine Tochter, und die sind auch schon einander versprochen.""

Aber bis zur Hochzeit ihrer Kinder wird es noch viele "Modeselektor"-Tracks geben, und viele gemeinsame Touren durch die Clubs der Welt.

"Szarys gute Seite ist, dass er ne totale Ruhe hat. Die nicht so gute Seite ist, dass man halt immer auf ihn warten muss, besonders wenn mal viel reist. Ich hab dann irgendwann aufgehört zu warten, er kommt dann irgendwann. Ich bin mehr der cholerische Typ, Szary ist mehr der phlegmatische Typ. Wir könnten Stunden quatschen."

Aber Gernot drängt zur Eile. Der nächste Auftritt von "Modeselektor" ist in ein paar Stunden: Ein Gig in der Redaktion einer Musikzeitschrift.

In dem Berliner Hinterhaus-Büro drängeln sich knapp 100 Leute und tanzen. Fast so wie damals im Jugendclub in Köpenick. Nur dass heute Abend noch ein paar Hunderttausend zusätzlich den Auftritt der beiden live im Internet miterleben. Was hatten Sebastian und Gernot auf die Frage nach einer Altersgrenze für DJs geantwortet?

""Das schlimme ist, wir fühlen uns ja nicht alt .. wir fühlen uns ja wie 18-Jährige..."'"
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