Bläst Deutschland jetzt zur Aufholjagd?
29:38 Minuten
Erst eine Quote für Elektroautos in China weckte die großen deutschen Autobauer aus ihrem Dornröschenschlaf in Sachen E-Mobilität. Plötzlich werden Milliarden investiert. Doch schaffen VW, Mercedes & Co. noch den Anschluss an die internationale Konkurrenz?
Volksfeststimmung im Industriegebiet. Musik dröhnt aus den Boxen, Kinder toben im Bällebad, während die Eltern für eine Probefahrt anstehen. Es ist eine kurze Fahrt, einmal um die hellgraue Fabrikhalle, keine zwei Minuten dauert sie. Die Besucher sind trotzdem begeistert:
- "Macht Spaß, macht Spaß. Draufdrücken, muss man aufpassen, dass man nicht geblitzt wird."
- "Es war beeindruckend, ist halt Elektrofahrzeug, es gibt eigentlich nichts, was dem nahe kommt."
- "Gute Beschleunigung, starke Lenkung, knackiges Fahrgefühl, ja, so war's. Fahr natürlich lieber Porsche, aber so als Ausgleich schadet es nicht."
- "Es war beeindruckend, ist halt Elektrofahrzeug, es gibt eigentlich nichts, was dem nahe kommt."
- "Gute Beschleunigung, starke Lenkung, knackiges Fahrgefühl, ja, so war's. Fahr natürlich lieber Porsche, aber so als Ausgleich schadet es nicht."
Aus dem gesamten Bundesgebiet sind die Besucher nach Aachen gekommen, aus München, Stuttgart und Hamburg, und viele haben schon bestellt, was sie heute erstmals testen können: den "e.GO Life", ein kleines, batteriebetriebenes Fahrzeug, entwickelt auf dem benachbarten Campus der Universität. Im Herbst soll die Produktion anlaufen.
- "Ich habe schon einen bestellt und angezahlt. Und ich brauche es nur für den Stadtverkehr. Und damit ist es perfekt für mich."
- "Wir brauchen auch den für die Großstadt, für Köln. Da sollen ja auch Fahrverbote kommen. Die Tochter würde ihn benutzen, wenn wir eine Dieselsperrung in München bekommen. Dann benutzt sie ihn für Stadtfahrten, und ich im Umkreis für Einkaufsfahrten und sonstige kleine Erledigungen."
- "Wir brauchen auch den für die Großstadt, für Köln. Da sollen ja auch Fahrverbote kommen. Die Tochter würde ihn benutzen, wenn wir eine Dieselsperrung in München bekommen. Dann benutzt sie ihn für Stadtfahrten, und ich im Umkreis für Einkaufsfahrten und sonstige kleine Erledigungen."
"Endlich findet in NRW wieder Autoproduktion statt"
Die Besucher drängen jetzt in die leere Fabrikhalle. In der Mitte eine improvisierte Bühne. Günter Schuh zögert einen Moment, er sucht den Aufgang, dann nimmt er Anlauf und hüpft lässig aufs Podium:
"Wow, ich bin überwältigt, dass Sie alle hier sind. Und es ist für uns eine Begeisterung, eine Überwältigung, dass sie sich alle angemeldet haben. Herzlich willkommen zur e.GO-Fabrikeinweihung."
2300 Menschen drängen sich in der Fabrikhalle, viel mehr als Schuh erwartet hatte. Aber schließlich ist es ja auch nicht ganz alltäglich, was hier passiert. Ein neuer Autokonzern wird aus der Taufe gehoben. Ein historischer Moment, sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet:
"Es findet wieder Automobilproduktion in NRW statt. Der letzte Ministerpräsident, der das machen konnte, war vor 55 Jahren der, der bei der Eröffnung des Opel-Werks in Bochum dabei war. Ich wünsch euch erfolgreichere Zeit als die Opel-Zeit in Bochum. Aber so oft passiert das nicht, dass in einem Land industrielle Produktion, Automobilproduktion, wieder möglich wird."
Ob Aachen in Zukunft in einem Atemzug mit Stuttgart, München und Wolfsburg als führende Autostadt genannt wird, weiß natürlich auch Aachens Oberbürgermeister Marcel Philip nicht. Aber auch für ihn ist das heute eine Zäsur:
"Wir stehen hier an einer Stelle, wo Bildröhren produziert wurden, von Philips. Die braucht niemand mehr. Und die Phase, in der die Jobs abgebaut wurden, die hat eine Zeit eingeläutet, in der wir den Eindruck hatten, Produktion wird aus Deutschland mittelfristig nur noch abwandern. Die Vision, dass wir neue Produktion schaffen können, hatte niemand."
Bis der Ingenieur und Hochschullehrer Günter Schuh kam. Ein lässiger Typ mit jugendlichem Elan und ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Mit 2,03 Meter schon äußerlich eine auffällige Erscheinung. Anthrazitfarbener Anzug, weißes Hemd, offener Kragen, so steht er auf der Bühne – und erklärt dem erlesenen Publikum ganz nebenbei, dass keiner so gut Elektroautos bauen kann wie er und sein Team. Nicht Volkswagen, nicht Mercedes, nicht BMW und auch nicht die Chinesen:
"Dieses Konzept, wie wir das entwickelt haben, hat noch keiner auf der Welt. Ich war gerade neun Tage in China, hab mir da angeguckt, was es da so gibt. Wir haben ein wirklich überlegenes Konzept gefunden, mit dem man ein grundsolides, ein qualitativ hochwertiges Auto produzieren kann, was aber gleichzeitig aber viel, viel günstiger gebaut werden kann als normale Autos."
2022 will e.Go 100.000 Autos produzieren
Der deutsche Elon Musk, so wird Günter Schuh in Fachkreisen genannt, halb spöttisch, halb bewundernd. Wie der Tesla-Gründer Musk tüftelt er seit vielen Jahren an dem Auto der Zukunft. Doch anders als der Amerikaner Musk hat der Aachener Uni-Professor kein teures Luxusauto im Kopf, sondern ein kleines, erschwingliches Auto für alle. Nicht mehr als 16.000 Euro soll es kosten. Zum Vergleich: Die billigsten Elektroautos von VW kosten über 30.000 Euro. Von den Premiumherstellern BMW und Mercedes ganz zu schweigen.
"Wir haben nur das neu entwickelt, was man wirklich braucht. Ich bin ja ein absoluter BMW-Bewunderer. Wissen Sie, was der Lampensatz in der Entwicklung und in den Werkzeugen für den neuen 5er-BMW kostet? 23 Millionen Euro. Dafür können wir quasi das komplette Auto entwickeln."
Die Produktion soll in den nächsten vier Jahren schrittweise hochgefahren werden, von 5000 Autos im nächsten Jahr auf 100.000 im Jahr 2022. Neben kleinen und mittleren Elektroautos für die Stadt sollen dann auch Elektrobusse in Aachen vom Band laufen.
"Das, was wir hier machen, nämlich den Einstieg in alle möglichen Segmente deshalb zu schaffen auf elektromotorischer Basis, weil sie bezahlbar ist, schon in den anfangs kleinen Stückzahlen, das könnte die Welt verändern. Und dann hätten wir etwas dazu beigetragen."
20.000 Elektrotransporter für die Deutsche Post
Schuh ist ein Idealist, aber kein Spinner. Dass er billige Elektrofahrzeuge bauen kann, das hat er schon unter Beweis gestellt. Ein paar Kilometer entfernt kann man das begutachten. In einer alten Industriehalle in Aachen. Da rollen gelbe Elektrotransporter vom Band, 20.000 Stück pro Jahr. Bestellt von der deutschen Post, die ihre Paket- und Briefzusteller in den Städten mit einem Elektrofahrzeug ausrüsten wollte, aber niemanden fand, der die produzieren konnte und wollte. Die großen Autohersteller winkten ab: kein Interesse.
"Das war der Aufhänger, so hat man mir von Postseite berichtet, warum man auf uns zugekommen ist. Und gesagt: Genau das ist es, was ich brauche, ein elektrisches Nutzfahrzeug, das genau auf meine Bedarfe zugeschnitten ist. Könnt ihr das machen? Und die Antwort war: ja, sehr gerne. Und so ist das losgegangen."
Sagt Achim Kampka, gemeinsam mit seinem Mentor Günther Schuh hat er den Streetscooter, so heißt der Elektrotransporter, entwickelt.
"Wir haben auch festgestellt – durch viele Anfragen von Dritten, außerhalb der Post –, dass es den Bedarf eben auch für Städte, Hausmeisterservice, für Handwerker etc. gibt, die alle diesen Fahrzeugtyp haben wollen. Und da wird er entsprechend häufig auch eingesetzt. Insofern mache ich mir da keine Sorgen, dass wir nicht Wachstumspotential hätten."
Dabei hatte Kampka eigentlich nie daran gedacht, Autohersteller zu werden, genauso wenig wie sein Weggefährte Günter Schuh. Beide sahen sich eher als Entwickler, als Konstrukteure. Bauen sollten die Fahrzeuge die, die etwas davon verstehen: die großen Autokonzerne. Nur, die interessierten sich nicht für die Pläne der Ingenieure aus Aachen. Nicht für den Streetscooter und nicht für den e.GO.
"Die haben so signalisiert: Jugend forscht. Dafür war ich aber zu alt und zulange im Geschäft, dass ich Jugend forscht über mich ergehen lassen würde. Und dann habe ich gesagt: Kommt, die paar Millionen, die wir brauchen, um testbare Prototypen zu bauen, die kratzen wir jetzt auch noch zusammen."
e.Go macht den Großen Beine
47 Millionen Euro an Startkapital hat Schuh eingesammelt und will nun der etablierten Konkurrenz zeigen, wie man billige Elektroautos baut. Und zwar in großer Stückzahl. VW und BMW, Mercedes und Opel haben da bislang wenig vorzuweisen, sagt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer:
"Bislang ist das Angebot überschaubar. BMW macht den i3, der im Preis hoch ist und von seiner Reichweite ebenfalls nicht das, was man so immer brauchen kann. Dann gibt es bei Mercedes den Smart mit langen Wartezeiten im Verkauf. Bei VW den Golf, auch fast ausverkauft. Man hat klein geplant, mit wenig geplant. Man wollte das Elektroauto nicht, deshalb hat man es links liegen lassen."
Und deshalb ist die vielbeschworene Mobilitätswende bislang auch nicht in Gang gekommen. Vor zehn Jahren hatte die damalige Große Koalition ein hehres Ziel ausgerufen: Eine Million Elektroautos sollten im Jahr 2020 auf deutschen Straßen unterwegs sein, bislang sind es gerade mal 50 000, hat das Statistische Bundesamt festgestellt. Oliver Krischer von den Grünen kreidet das der Einfallslosigkeit der Autokonzerne an und der Untätigkeit der Bundesregierung:
"Ich glaube, krasser kann man nicht scheitern. Die Elektromobilität wird früher oder später von allein kommen. Das Problem ist nur, dass wir jetzt hinterherlaufen und andere den Vorsprung haben – nicht nur bei der Batterie, sondern auch bei den Fahrzeugen. Und damit hat diese Bundesregierung nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch dem Standort Deutschland und der führenden Industrie in diesem Land eigentlich einen Bärendienst erwiesen."
"Halbherzige Förderprogramme", kritisieren die Grünen
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht das ganz anders. Trotz der enttäuschenden Bilanz will er an den Zielen festhalten. Und verweist auf die Förderprogramme, die die Große Koalition in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht habe:
"Natürlich ist das eine große Herausforderung. Aber wir haben seit 2016 eine Milliarde allein in diesen Bereich gegeben, um die Elektromobilität interessanter zu machen. Und ich hoffe, dass auch die Anbieter schnell Produkte auf den Markt bringen, die nicht nur technisch interessant sind, sondern auch für die Bürger erschwinglich sind. Mit einer guten Infrastruktur dazu."
Den Grünen-Abgeordneten Oliver Krischer überzeugt das nicht, er nennt das Förderprogramm der Bundesregierung halbherzig. Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ist skeptisch. Andere Länder gingen da entschlossener voran, sagt er:
"Das Gegenbeispiel könnte China sein, dort werden in dem Jahr gut ein Millionen Elektroautos verkauft. Mit steigender Tendenz, denn dort sind Vorgaben gemacht worden. Ähnliches gilt in Norwegen. Das ist das Musterland. Und in Deutschland ist es so, dass der Kraftstoff Diesel weiter steuerlich subventioniert wird. Ein Liter Diesel kostet 18 Cent weniger Steuer als Benzin. Damit stirbt die Elektromobilität weg. Also, man hat sich eigentlich selbst ein Bein gestellt."
Allzu lang haben die deutschen Hersteller auf Benzin und Diesel gesetzt. Und so die erste Stufe der Elektrifizierung komplett verschlafen, den Hybrid-Motor. Und auch bei der Entwicklung des E-Autos hinken sie hinterher. Doch inzwischen scheint ein Umdenken einzusetzen bei den großen deutschen Autokonzernen.
"Ich denke, der Boom für die Elektromobilität ist gestartet, und der ist auch nicht mehr aufhaltbar", sagt Jochen Herrmann, bei Daimler verantwortlich für den Bereich Elektromobilität. Zehn Milliarden Euro will der Autokonzern in den nächsten Jahren investieren, in die Entwicklung von E-Autos und in neue Mobilitätsstrategien.
"Mit Start 2019 kommt unser großer Rollout, wir werden bis 2022 zehn Elektromodelle haben. Wir gehen bis 2025 mit einem Anteil von 15 bis 25 Prozent aus."
In China gibt es bereits eine Quote für E-Autos
Das liegt allerdings weniger an der großzügigen Förderpolitik der Bundesregierung, sondern eher an den Auflagen in China, dem wichtigsten Absatzmarkt der deutschen Autoindustrie. Angesichts der schlechten Luft in den chinesischen Großstädten hat die Regierung in Peking eine Quote für Elektroautos eingeführt. Jetzt müssen auch die deutschen Hersteller liefern:
"In China ist eine Zukunft ohne Elektroautos für die deutschen Autobauer nicht mehr vorstellbar. Deshalb braucht man in China das Elektroauto."
Mittlerweile macht auch die Europäische Kommission Druck. Ab 2022 gelten verschärfte Grenzwerte für Kohlendioxid, dann dürfen die neuzugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers im Schnitt nur noch 95 Gramm pro Kilometer ausstoßen, statt bislang 130 Milligramm. Für die Autokonzerne wirken diese Grenzwerte wie eine Elektroquote, sagt der Autoexperte Dudenhöffer.
"Nach unserer Einschätzung müsste VW ab 2022 in Europa 350.000 Elektroautos auf die Straße bringen, um Strafzahlungen zu vermeiden. Bei BMW, Mercedes sind es um die 100.000. Verstärkt wird es ab dem Jahr 2025, dann werden die Grenzwerte noch mal verschärft. Und dann kommt man ohne großes Angebot an Elektroautos gar nicht mehr zu Rande. Sonst müsste man enorme Strafzahlungen leisten."
Plötzlich will VW in großem Stil Elektroautos bauen
Die gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden. "Center for future mobility" steht über dem Hauptportal. Hier erforscht und erprobt Volkswagen die Mobilität der Zukunft.
Die Betriebsferien im Sommer nutzt der Konzern für nötige Reparaturen an den Montagebändern. Und für die Vorbereitung des größten Umbaus, den der Konzern seit Jahrzehnten erlebt hat. VW will jetzt in großem Stil Elektroautos bauen. VW-Sprecher Carsten Krebs:
"Normalerweise geht es um normale Instandhaltung: Nach 15, 16 Jahren muss die Schuppe erneuert werden. Aber natürlich haben wir alle im Fokus, dass wir hier in Zukunft andere Fahrzeuge fertigen. Und natürlich führt das dazu, dass die Operation jetzt passieren muss. Weil wir dann ab 2020 Fahrzeuge der I.D.-Familie fertigen."
I.D., so heißt das neue Elektroauto, das VW demnächst in Dresden bauen will. Es soll den Elektro-Golf ablösen, der hier seit 2017 produziert wird. Aber der war ohnehin nur eine Verlegenheitslösung, technisch unausgereift, mit gravierenden Nachteilen. Die Batterie war zu klein, Leistung und Reichweite daher gering. Jetzt haben die VW-Ingenieure die Pläne nochmal komplett überarbeitet, und ein richtiges Elektroauto konstruiert, erklärt VW-Ingenieur Marco Weiß:
"Kernstück eines Elektrofahrzeugs ist die Batterie. Damit steht und fällt die Reichweite und die Leistung. Deshalb haben wir die Batterie so ausgelegt, wie sie optimal ausgelegt sind. Das ist wie ein großer Schokoladenriegel. Und dann haben wir das ganze Auto in der Geometrie drumrum gebaut, Fahrer wird Stück höher sitzen, dadurch wird der Innenraum größer. Wir werden Außenmaße eines Golfs haben und die Innenmaße eines Passats."
Klotzen statt kleckern, heißt deshalb jetzt die Devise. 34 Milliarden Euro will Volkswagen in den nächsten vier Jahren investieren. Ein gigantischer Umbau steht an.
Zentrum der Elektromobilität soll neben der Gläsernen Manufaktur in Dresden vor allem das Werk Mosel bei Zwickau sein. Dort werden derzeit noch Golf und Passat mit Verbrennungsmotor gebaut, 2019 sollen dort die ersten Elektroautos vom Band laufen.
"Wir werden in Zwickau das komplette Werk ausräumen, wir bauen da momentan drei Fahrzeuge, Passat und Golf und Golf Variant. Und anstatt der drei Verbrennungsfahrzeuge werden wir nur noch Elektroautos nach Zwickau bringen. Und diese Fahrzeuge werden ab 2019 in Zwickau gebaut. Und dann stückweise nach oben gefahren. Und insgesamt werden wir 2021 fertig sein und 330.000 Fahrzeuge in Zwickau bauen."
Ein ambitioniertes Ziel. Denn während die neue Produktion aufgebaut wird, soll die alte noch weiterlaufen.
Mit E-Mobilität verändert sich auch die Beschäftigtenstruktur
"Wir werden in den nächsten zwei Jahren die Fabrik von innen nach außen krempeln und von außen wieder nach innen. Es bleibt also wirklich kein Stein auf dem andern."
Jens Rothe ist Betriebsratschef von VW Sachsen, 48 Jahre alt, seit 27 Jahren im Werk Zwickau. Ein lockerer Typ, weiße Tennisschuhe, Jeans, grünes Polohemd. Er kennt den Betrieb in- und auswendig und hält die Neuausrichtung in Zwickau für anspruchsvoll, aber richtig. Die Zukunft des Werkes sei damit dauerhaft gesichert, glaubt er, deshalb stehe auch die Belegschaft hinter den Plänen:
"Am meisten freut sich natürlich die Mannschaft, dass sie für die Marke, für den Konzern den Eisbrecher machen darf und der erste Standort ist, der für den VW-Konzern in das Thema E-Mobilität einsteigt."
Jens Rothe ist klar, dass das kein Selbstläufer wird. Die 8.000 Beschäftigten müssen geschult, in die Geheimnisse der Hochvolttechnik eingeführt werden. Das größte Qualifizierungsprogramm in der Geschichte des VW-Konzerns läuft an, sagt VW-Sprecher Krebs:
"Diese Transformation der Automobilindustrie führt halt dazu, dass im Bereich der Produktion tendenziell weniger Mitarbeiter nötig sind im Bereich der Elektromobilität. Andererseits aber im Bereich Elektrik, Software, IT wir deutlich mehr Leute brauchen. Und insofern ist das gar nicht so einfach, was jetzt da per saldo am Ende rauskommt. Wir vermuten, dass wir hier eher ein Plus haben werden. Aber es wird vielleicht andere Bereiche, andere Werke geben, wo das anders ist."
Auch Betriebsratschef Rothe glaubt, dass die Beschäftigung stabil bleiben wird. Im Übrigen hat der Betriebsrat vor zwei Jahren einen Zukunftspakt abgeschlossen. Kernpunkt: Es wird bis 2025 keine betriebsbedingten Kündigungen geben.
Was danach kommt, ist ungewiss. Das gilt für das Werk in Zwickau, noch mehr aber für Standorte wie das Motorenwerk in Chemnitz:
"Chemnitz macht die kleinen Benzinmotoren, die sind ja im Moment am gefragtesten von allen. Aber auch wir beschäftigen uns schon, wie können Alternativen für unseren Standort Chemnitz aussehen, damit man sich rechtzeitig auf diesen Prozess vorbereiten kann und gegensteuern kann."
30 bis 50 Prozent der herkömmlichen Arbeitsplätze könnten wegfallen
Die Zentrale der Industriegewerkschaft Metall in Frankfurt am Main, ein Büroturm aus rotem Backstein, einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt. Gewerkschaftschef Jörg Hofmann hat einige der mächtigsten Betriebsräte um sich versammelt, Norbert Osterloh von VW, Peter Cammerer von BMW und Hartwig Geisel von Bosch. Das Thema: Wie wirkt sich der Ausbau der Elektromobilität auf die Beschäftigung in den Autofabriken aus?
"Wir rechnen mit über 100.000, die wir allein im Bereich Antriebsstrang in den nächsten Jahren auf eine neue Tätigkeit vorbereiten müssen."
Das ist, in einem Satz zusammengefasst, das Ergebnis der Studie, die das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation im Auftrag der IG Metall erarbeitet hat. 30 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze in der Motoren- und Antriebstechnik könnten in den kommenden zehn Jahren wegfallen, wenn die Autokonzerne verstärkt auf Elektroautos setzen, haben die Forscher berechnet. Der Grund: Elektroautos sind viel einfacher konstruiert, haben viel weniger Teile, deshalb braucht man für die Produktion weniger Beschäftigte. Und je schneller sich das Elektroauto durchsetzt, desto mehr Jobs sind gefährdet, sagt Florian Hermann, einer der Autoren der Studie. Trotzdem sollte man bei der Elektromobilität nicht auf die Bremse treten, sagt er.
"Wir sollten den Trend annehmen und attraktive Lösungen entwickeln und marktfähig machen. Weil wir sehen, dass andere Nationen viel Gas geben und tolle Lösungen entwickeln und auf dem Markt platzieren. Sodass wir es uns als Vorreiterland in der Automobiltechnik es uns nicht nehmen lassen sollten, hier gleichzuziehen oder wieder einen Vorsprung zu generieren."
Das Fraunhofer Institut hat mehrere Szenarien berechnet. Der Extremfall: Bis 2030 steigt die Elektroquote auf 80 Prozent, was die Forscher allerdings für eher unwahrscheinlich halten. Dann wäre jeder zweite Arbeitsplatz in Gefahr. Die milde Variante: Nur 25 Prozent der Autos werden in 12 Jahren mit Strom betrieben, dann könnten 30 Prozent der Arbeitsplätze verloren gehen. Nicht berücksichtigt haben die Gutachter allerdings, dass mit dem Ausbau der Elektromobilität auch neue Jobs entstehen können, etwa für neue Ladestationen oder neue Dienstleistungen. Das könnte die Bilanz verbessern. Es gibt aber auch noch weitere Risiken:
"Ich glaube, man muss an der Stelle noch kritisch darauf hinweisen, dass natürlich zukünftig dort produziert werden wird, wo die Absatzmärkte sind. Genau diesen Trend muss man beobachten: Wo baut man Produktionskapazitäten auf?"
Noch gibt es gutes Geld für gute Arbeit
Das Werk des Autozulieferers Bosch in Homburg. Oliver Simon arbeitet seit 38 Jahren hier, in dritter Generation, wie er stolz erzählt. Schon sein Vater hat hier gearbeitet, und sein Sohn ist auch schon seit 12 Jahren dabei.
"Dieses Werk ist tarifgebunden, das heißt, hier verdienen sie noch für gute Arbeit gutes Geld. Vernünftige Arbeitsplätze, wo man mit dem Geld auch über den Monat leben kann. Und wir reden nicht von Jobs, die Mindestlohn sind und wo man nicht weiß, ob es für den Monat reicht."
4500 Menschen arbeiten bei Bosch. Noch, muss man allerdings sagen. Die Zukunft ist mehr als ungewiss, denn das Werk im Homburg hängt ganz am Diesel. Hier werden Injektoren und Einspritzpumpen für Dieselmotoren gebaut. Derzeit läuft das Geschäft noch gut, wegen eines Großauftrags aus China. Wenn der ausläuft, sieht es düster aus, fürchtet auch Mario Fontana. Er ist seit 1989 bei Bosch:
"Das gärt in der Mannschaft schon, das wird immer stärker jetzt. Die Angst, dass es diesen Standort irgendwann so nicht mehr gibt, unser Homburger Werk. Wenn wir keine alternativen Produkte bekommen, wir haben nur Diesel, was sollen wir machen."
Mario Fontana macht sich auch um seine eigene Zukunft Sorgen:
"Es ist schwierig, hier im Saarland eine vergleichbare Arbeit mit dem Lohngefüge zu finden. Das ist schwierig. Ich wüsste nicht, wo man dann hier noch unterkommen könnte. Ich bin 54, wer nimmt einen da noch."
Fontana hat wie auch Betriebsratschef Oliver Simon den Niedergang von Kohle und Stahl an der Saar erlebt, tausende Jobs gingen verloren. Es blieb die Autoindustrie als großer Hoffnungsträger. Neben dem Hersteller Ford sind es vor allem Zulieferer wie Bosch, Schäffler und Continental, die der saarländischen Wirtschaft Halt geben. Jetzt droht auch diese Säule wegzubrechen:
"Der Untergang des Verbrennungsmotors, 40.000 Arbeitsplätze hängen davon ab, von dieser Verbrennungstechnologie. Und es kann nicht wahr sein, dass diese Region schon wieder ausblutet, die Arbeitsplätze verloren gehen, Finanzmittel abfließen und wir keine Perspektive mehr hier haben."
Im Saarland droht schon wieder ein Strukturwandel
Auch die saarländische Landesregierung ist alarmiert. Der erneute Verlust von tausenden Jobs wäre eine Katastrophe für die einst so stolze Industrieregion. Aber wie kann der Strukturwandel gelingen, wo sollen neue Jobs herkommen? Fragen, die auch die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger umtreiben.
"Die entscheidende Frage wird sein, werden wir genug Zeit haben, um den Wandel mitgestalten zu können. Wandel braucht immer Zeit, und Wandel braucht immer auch verlässliche Rahmenbedingungen. Beides sehe ich im Moment noch nicht hinreichend gegeben an. Denn wir wollen dort, wo jetzt Arbeitsplätze wegzubrechen drohen, natürlich Ersatz schaffen."
Das aber geht nicht von heute auf morgen. Deshalb plädiert Rehlinger dafür, die Diesel-Technologie nicht vorschnell abzuschreiben. Gerade das Saarland braucht den Diesel noch eine Zeitlang, um den Übergang zu schaffen. Genauso wie der Autozulieferer Bosch. Neben dem Werk in Homburg hängen auch die Standorte Schweinfurt und Bamberg allein am Diesel, bundesweit insgesamt 20 000 Arbeitsplätze. Bosch-Arbeitsdirektor Christoph Kübel:
"Wir werden einen Transformationsprozess haben. Unsere Zielsetzung ist, dass ohne harte Einschnitte zu machen. Zielsetzung ist, sozialverträgliche Lösungen zu finden, innovative Zielsetzungen zu finden."
Klare Rahmenbedingungen bei zulassungsfähigen Antrieben
Der Diesel als Brückentechnologie, die ins elektromobile Zeitalter führt. Das ist eine Perspektive, die auch die Bundesregierung sieht. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ist da skeptischer.
"Nach meiner Einschätzung ist die Brücke kaputt, eingerissen worden durch die Betrügereien, die gemacht worden sind von allen, nicht nur von VW. Alle haben geschummelt, deshalb sind wir jetzt im Dilemma mit den Fahrverboten, mit denen wir leben müssen. Und der schlechten Luft in den Städten. Einige, wie Volvo, haben ja schon angekündigt, nichts mehr in den Diesel zu investieren, auch Toyota. Man ist dabei auszusteigen. Nur die Deutschen halten noch eine kleine Dieselflagge hoch."
Das hält auch Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft in Stuttgart für die falsche Strategie. Statt weiter auf den Verbrennungsmotor zu setzen, empfiehlt er einen baldigen Ausstieg:
"Wir brauchen eine klare Zeitschiene, wann welche Antriebe nur noch akzeptiert werden bei den Neuzulassungen. Dann entsteht Druck auf die Automobilindustrie. Das ist nicht zwangsläufig negativ, es gibt auch Sicherheit den Herstellern und Zulieferern, in welche Technologien sie investieren müssen."
Zurück in Aachen, bei der e.Go Werkseinweihung. Firmengründer Günter Schuh macht einen abgekämpften, aber glücklichen Eindruck. Nur sein Hochzeitstag sei schöner gewesen, sagt er. In wenigen Wochen sollen hier die ersten Elektroautos vom Band rollen. Kaum einer hatte ihm das zugetraut. Und auch jetzt gibt es viele, die bezweifeln, ob sich das Aachener Start-Up auf Dauer gegen die Großen der Branche, gegen VW, BMW oder Mercedes wird behaupten können. Doch ein Überzeugungstäter wie Günther Schuh lässt sich davon nicht beeindrucken:
"Das ist so ein sensationelles Gefühl, ich kann das nur jedem wünschen, das gibt so viel Energie, dass wir die nächsten Etappen hoffentlich auch gut hinkriegen."