Ökologische Musterknaben unter Strom
Elektromobilität in Norwegen liegt im Trend, bis 2025 sollen alle neuzugelassenen Pkw emissionsfrei sein. Mit Umweltbewusstsein allein ist der Run auf Elektro-Autos aber nicht erklärt.
Eines muss man Christina Bu lassen, der Generalsekretärin des Verbandes der Elektrofahrzeuge: Höflich ist sie. Freitag-Nachmittag, Oslo, die norwegische Hauptstadt. Ihren Besuch zehn Minuten warten zu lassen: Das ist normalerweise nicht Christinas Art. Doch ihr Gesprächspartner gerade am Telefon war ein hohes Tier aus der Stadtverwaltung.
"Ich habe ganz schön viel zu tun. Allein die vielen Besuche: Gerade ist ein Gast aus China da, um sich über Elektro-Mobilität zu informieren. Das internationale Interesse ist enorm. Aber auch politisch passiert eine Menge, was unseren Verband direkt betrifft. Die Stadt Oslo hat vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, wonach jedes neue Wohnhochhaus Auto-Ladestationen für mindestens die Hälfte der Bewohner bereitstellen muss. Wir helfen der Stadt sicherzustellen, dass sich dafür ein Markt entwickeln kann."
Seit drei Jahren lenkt die brünette Powerfrau die Geschicke des Verbandes, einer Art norwegischer ADAC für Elektrofahrzeuge. Als Christina anfing, waren sie zu sechst. Heute sind sie 14 – darunter allein drei Kollegen, die an einer Hotline Fragen der 40.000 Mitglieder beantworten. Christina nippt an ihrem pechschwarzen Filterkaffee, ehe sie loslegt – über das grüne Wunder. Dass inzwischen mehr als 130.000 Elektroautos zwischen Oslo und dem Nordkap unterwegs sind; dass Norwegen mit seinen gerade einmal fünf Millionen Einwohnern in absoluten Zahlen weltweit der drittgrößte Markt für Elektroautos ist – nach China und den Vereinigten Staaten; dass sich das staatliche Anreizsystem bezahlt gemacht hat. Dazu muss man wissen: Wer in Norwegen ein Elektro-PKW kauft, muss weder 25 Prozent Mehrwertsteuer zahlen noch die Zulassungsgebühr. Mehr noch: Auch die Maut- und Parkgebühren fallen weg. Christina strahlt. Schöne, heile Elektro-Welt. Wenn da nicht die Kritik wäre – vorzugsweise von den Nachbarn aus Schweden.
Das "Norwegen-ist-reich-Argument"
"Ja, ja, das kenne ich schon. Ich nenne es immer das "Norwegen-ist-reich-Argument". Nach dem Motto: Ihr könnt euch eure Elektromobilität nur leisten, weil ihr so wohlhabend seid. Ehrlich gesagt: Das ist eine Milchmädchen-Rechnung. Ich erkläre es dir: Unsere PKW-Steuern sind viel höher als in Schweden und anderen Ländern. Je schwerer und umweltschädlicher dein Auto ist, desto höher die Kfz-Steuer. Der norwegische Staat nutzt das aus: Mit der hohen Steuer finanziert er die Ausnahmen für die Elektro-PKW. Wir haben ein Bonus-Malus-System. Daran könnten sich mehr Länder ein Beispiel nehmen. Aber mir ist klar, dass es in Schweden oder Deutschland politisch extrem schwierig ist zu fordern: Wir besteuern besonders dreckige Autos noch stärker."
Kein Regen mehr: Christina schaut erleichtert gen Himmel. Seit Tagen hat es in Oslo wie aus Kübeln gegossen. Schnellen Schrittes stapft sie los – vorbei an der Metrostation Tøyen, wo sich ein paar Alkis und Hipster in friedlicher Koexistenz üben - Richtung Ladestation. Zwar besitzt sie selbst kein Auto, ab und zu aber nutzt sie einen Dienstwagen.
"Die elektrischen Autos sind leicht zu erkennen. Sie haben ein besonderes Kennzeichen. Wenn es mit "EL" oder "EK" beginnt, weißt du: Das ist ein E-Wagen."
Christina bleibt vor der öffentlichen, kostenlosen Ladestation stehen. Rund tausend gibt es davon allein in Oslo. Eine halbe Stunde noch: Dann ist ihr Dienstwagen, ein Opel Ampera E, aufgeladen. Acht bis zehn Stunden dauert es, bis eine Batterie wieder voll ist. Fixer geht es an einer der Schnell-Ladestationen, doch die kosten etwas.
"Vor einem halben Jahr kam ich auf dem Weg zur Arbeit an einer Schnell-Ladestation vorbei. Und da stand diese ältere Dame, sie muss so um die 80 gewesen sein. Sie versuchte, das Kabel in die Steckdose zu klemmen, doch es klappte nicht. Also bin ich zu ihr hin. Es stellte sich heraus, dass sie gerade erst einen gebrauchten Nissan Leaf gekauft hatte – ihren ersten Elektrowagen überhaupt. Sie war ganz happy. Du hättest ihr Lächeln sehen sollen. So etwas erleben wir häufiger: Dass ganz normale Leute E-Autos kaufen."
"Electrification is clearly the future."
Selbstverständlich fährt der Umweltminister ein Elektro-Auto
Elektromobilität gehört die Zukunft – um einen griffigen Spruch ist Vidar Helgesen nie verlegen. Wie es sich für einen Umweltminister gehört, geht der Konservative mit gutem Beispiel voran.
"Ich fahre einen Elektro-Golf. Ich habe ihn schon gekauft, bevor ich Umweltminister wurde. Aus Umweltgründen und wegen der ganzen Vorzüge; dass du beispielsweise die öffentlichen Busspuren benutzen kannst. So ein E-Auto ist viel besser als ein konventionelles. Die Beschleunigung und Präzision sind einfach phänomenal. Es ist, als ob du einen Lichtschalter ein und aus schaltest."
Dienstag-Mittag, ein trüber Regentag. Helgesen hat gerade die neusten PKW-Zulassungszahlen bekommen. Er runzelt die Stirn: Über ein Drittel aller verkauften Autos waren im letzten Monat Elektro- oder Hybridmodelle: Das ist gut, könnte aber besser sein. Im Januar war es jeder zweite Wagen. Doch der Glatzkopf winkt ab: Solche Schwankungen sind normal. Alles im grünen Bereich. Wie zum Beweis lässt er eine dicke Broschüre auf seinen Schreibtisch fallen. Hier: Der "Nationale Transportplan". Helgesen fängt an zu blättern, bis er fündig wird – auf Seite 33. Da steht es schwarz auf weiß: Sein Ziel, bis 2025 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Es hat ihm viel Aufmerksamkeit beschert – und in Form eines "You rock guys" – Ihr seid die Größten – ein Twitter-Lob von Tesla-Gründer Elon Musk.
"Elektro-Autos gehört die Zukunft"
"Ganz ehrlich: Anfangs dachte ich: Na, ob ich den Mund da nicht etwas voll genommen habe. Das Ziel ist schon sehr ambitioniert. Aber meine Experten meinten nur: Nein, nein, es ist durchaus realistisch – vorausgesetzt wir bleiben unserer Linie treu. Wegen der europäischen Wettbewerbsregeln dürfen wir PKW mit Verbrennungsmotoren nicht einfach verbieten. Aber wir bekommen es auch so hin - mit unserem Anreizsystem und aufgrund des gestiegenen Umweltbewusstseins. Außerdem werden die Elektroautos immer besser. Ich glaube, langsam haben die PKW-Hersteller erkannt: Elektro-Autos gehört die Zukunft."
Helgesen schaut verstohlen auf seine Armbanduhr. Schon halb zwei. In gut einer Viertel Stunde trifft er sich mit Parteifreunden, um über die "Wolfsplage" zu beraten. Wenn es nach ihm ginge, sollten die Wölfe weiter unter Schutz stehen, selbst wenn sie Schafe reißen. Doch da ist er in der Minderheit. Norwegens Umweltminister lächelt: So schnell duckt sich jemand wie er nicht weg. Erst recht nicht, wenn ihm Umweltschützer bei der Elektromobilität Verlogenheit vorwerfen, nach dem Motto: Zu Hause einen auf grün machen, aber in rauen Mengen den CO2-Killer Erdöl exportierten: Wie soll das zusammenpassen?!
"Kein anderes Land tut so viel wie Norwegen, um zu zeigen, dass es möglich ist, den Transport zu elektrifizieren und dadurch die Nachfrage nach Erdöl zu drosseln. Letztes Jahr war eine hochrangige Volkswagen-Delegation bei uns. Ihre erste Frage war: Warum? Warum untergrabt ausgerechnet ihr als Erdöl-Produzent die Nachfrage nach Öl? Es ist doch euer Haupt-Rohstoff; eure Haupt-Einnahmequelle. Natürlich erscheint das auf den ersten Blick paradox. Doch mir und vielen anderen Norwegern ist spätestens seit der Erdölkrise der letzten Jahre klar: Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Wir können nicht bis in alle Ewigkeit vom Öl leben. In dreißig Jahren werden wir eine Gesellschaft sein, die nur noch wenige Schadstoffe produziert. Erreichen können wir das nur, wenn wir darauf verzichten, Erdöl und Erdgas zu verbrennen. Dieser Transformationsprozess hat längst begonnen.
Einen Transformationsprozess hat auch das Elektroauto Buddy durchlaufen - wenn auch nicht ganz freiwillig.
Buddy - Die norwegische Erfolgsgeschichte
Ein Elektro-Auto made in Norway: Vor gut zehn Jahren galt der Buddy noch als norwegische Erfolgsgeschichte. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Konkurrenz ist größer geworden, die Produktion im Hochpreisland Norwegen teurer und teurer. Zum Leidwesen von Øyvind Ursin Kavåg, einem der Väter des drei-sitzigen Stadtflitzers. Der 74jährige ist gerade im Norden der Hauptstadt unterwegs um ein paar Sachen zu erledigen.
"Da links waren früher Lagerhallen. Da stehen jetzt Wohnhäuser. Das ist typisch für Oslo: Es wird gebaut und gebaut. Und siehst du: Auf der anderen Straßenseite: Wo diese Wohnhäuser sind: Da stand früher unsere Auto-Fabrik. Wir mussten Platz machen für neue Wohnungen. Das passiert überall in Oslo."
Eine neue Auto-Fabrik gibt es nicht. Der letzte von insgesamt 3000 Buddys lief vor zwei Jahren vom Band. Øyvind hat seine Einkäufe erledigt. Erschöpft lässt er sich in der Firmenzentrale auf einen Stuhl fallen. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. An der Wand: Skizzen des ersten Buddy-Modells; in der Glasvitrine: Künden diverse Pokale wie der "zweite Preis bei der Wahl des Klimafreundlichsten Auto 2008" von besseren Zeiten. Ist ja nicht so, als ob er und Jan-Petter - sein Kompagnon - nicht alles versucht hätten, ihren Buddy zu retten. 500 Fahrzeuge hätten sie pro Jahr produzieren müssen, um profitabel bleiben zu können.
"Mit den Jahren wurde es immer schwieriger, diese Mindeststückzahl zu erreichen. Da kam einiges zusammen: Vor allem die hohen Lohn- und Produktionskosten machten uns zu schaffen – nicht nur in Norwegen. Jedes Mal, wenn wir neue Teile aus dem Ausland importierten, stellten wir fest: Schon wieder teurer geworden. Als Klein-Abnehmer erhältst du ja keinen Mengenrabatt. Deshalb mussten wir vor zwei Jahren die Produktion einstellen. Wir versuchen seitdem, Teile unserer alten Fabrik und die Produktionsrechte zu verkaufen – an Länder, die billiger produzieren können."
Norwegens ehemaliges Vorzeige-Elektro-Auto mag zwar keinen Zuwachs mehr bekommen: Noch aber sind die Lichter bei "Buddy Electric" nicht ausgegangen.
"Wir überleben. Irgendwie. Wenn etwas mit deinem Buddy ist, kannst du ihn in unserer Werkstatt reparieren lassen. Seit neustem verkaufen wir auch ein Elektro-Fahrrad: Unser Buddy Bike. Es ist ein richtiger Verkaufsschlager. Und: Wir haben jetzt eine Reihe von Elektro-Autos anderer Hersteller im Sortiment: Den Nissan Leaf. Volkswagen. Mitsubishi. Peugeot. Wir importieren sie und verkaufen sie dann."
Ein neuer Tag, eine andere Ecke von Norwegen. Stavanger, die Luftlinie gut dreihundert Kilometer südwestlich von Oslo entfernte Erdöl-Hauptstadt des Landes. Und auch hier: Probleme.
"Das Fahrgestell vom Auto ist verrostet. Ich habe Rune schon gesagt, dass ich dafür sorgen kann, dass der Motor weiter läuft. Aber gegen den Rost kann ich nichts machen. Leider. "
Irgendwie hat es Rune Hersvik schon kommen sehen. Dass sein weißer Elektro-Peugeot nach achtzehn Jahren und 150.000 Kilometern auf dem Tacho einmal den Geist aufgeben würde - und selbst Robort Christensen, sein Mechaniker, nichts mehr ausrichten kann.
"It’s more than four times around equator.”
"...wir könnten viel weiter sein"
Umgerechnet vier Mal hat Rune mit seinem Elektro-Peugeot den Äquator umrundet – und bei der Gelegenheit den einen oder anderen norwegischen Premierminister am Flughafen von Stavanger abgeholt. In Norwegen ist der Entwickler zweier großer Windparks bekannt als Öko-Pionier und jemand, der kein Blatt vorm Mund nimmt – besonders, wenn wieder einmal das Loblied auf den ökologischen Musterknaben Norwegen angestimmt wird.
"Wo du schon Norwegen als Vorreiter bei der Elektromobilität genannt hast: Der Anteil elektrischer Wagen bei den Privat-PKW beträgt immer noch nur drei Prozent. Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Auch die Sache mit den Hybrid-Autos: Also den Wagen, die sowohl Benzin als auch Strom verbrauchen. Darunter sind viele Hybrid-SUVs. Diese Hybrid-Geländewagen verbrauchen wegen ihres Gewichts oft mehr Benzin und pusten mehr Emissionen in die Luft als konventionelle Autos. Norwegen als Vorbild?! Ich weiß nicht. Unglücklicherweise tun die restlichen Länder noch weniger für die Elektromobilität. Deshalb: Ja, wir sind führend. Aber wir könnten viel weiter sein. "
Rune verabschiedet sich von Robort. Ein paar Monate wird sein Peugeot noch durchhalten, dann wird es sich wohl oder übel ein neues Elektro-Auto kaufen müssen. Es sei denn, er leiht sich eines von Robort. Schließlich wartet der ehemalige Erdölingenieur, der wie so viele seinen Job wegen der Erdölkrise verloren hat, nicht nur E-Wagen: Der 53jährige verleiht sie auch. Gut zwei Dutzend sind es, das günstigste Modell kostet umgerechnet 12 Euro am Tag, das teuerste fünfzig.
Keine zwanzig Minuten hat die Fahrt vom Technologiepark am Flughafen bis zu Robort nach Hause gedauert. Wenn Rushhour ist, kann es schon mal gut doppelt so lange dauern. Glücklich, wer ein Elektro-Auto besitzt. E-Wagen dürfen in der 130.000 Einwohner zählenden Hafenstadt die Busspur benutzen.
Das hat jetzt gerade noch gefehlt. Eigentlich wollte Robort in aller Ruhe in der Mittagspause sein Käse-Sandwich essen – und jetzt das. Er schaut auf sein Handy: Die Nummer kommt ihm bekannt vor: Wahrscheinlich ein Stammkunde: Da muss er ran.
"Ich versuche Sachen zu delegieren. Ich sage meinem Sohn oder meinen anderen drei Angestellten: So, macht ihr mal. Mein Traum ist, in Urlaub fahren zu können ohne ein einziges Mal den Computer einschalten zu müssen. Und wenn ich zurückkomme, ist alles schon erledigt. Herrlich. Nur: Ich weiß nicht, ob ich das jemals hinbekommen werde."