"Trauer ist eine großartige Sache"
Auf dem Album "Soil" verhandelt der Sänger Serpentwithfeet die Liebe zu einem Mann und auch das Ende dieser Beziehung. Er wollte sich diesem Gefühl stellen, denn Trauer bedeute, dass man in einen Menschen verliebt war, so der US-amerikanische Sänger.
Im ersten Song des Debüts "Soil" singt Serpentwithfeet: "Love says, you are not too much, love says, you will always be enough". Das hat etwas sehr Tröstliches, das macht Mut – und steht damit programmatisch für den Rest der Platte. Aber wen meint Josiah Wise alias Serpentwithfeet mit dem Du in dem Song? Einen Liebhaber? Sich selbst?
Serpentwithfeet: Ich wende mich an einen Liebhaber, ich will ihn daran erinnern, dass es nicht darum geht, so zu tun, als ob man einen Plan hätte. Wir fühlen uns erwachsen, wenn wir unsere Rechnungen rechtzeitig bezahlen, unsere Studienkredite abstottern, eine Karriere verfolgen. Und damit geht auch einher, dass wir unsere Defizite, unsere innere Zerrissenheit verschweigen. Mit dem Lied wollte ich diesem Mann sagen, dass wir alle immer wieder durcheinander sein werden, frustriert, müde; kurzum: von unseren Gefühlen überwältigt. Das hört nicht auf mit dem Erwachsenwerden. Und ja, das Lied soll Trost spenden. Der Song soll sagen, dass diese Gefühle vollkommen okay sind.
Christoph Reimann: Stimmt es denn, dass es auf dem Album vorwiegend um eine Beziehung geht?
Serpentwithfeet: Ja, ich denke schon.
Reimann: Einen großen Teil nimmt dabei die Trauer ein. Im Song "Fragrance" geht es darum, noch einmal den Geruch eines alten Liebhabers riechen zu dürfen. Was war die Motivation für Ihr Album – aus etwas Traurigem etwas Schönes machen?
"Trauer ist eine großartige Sache"
Serpentwithfeet: Ich wollte die Trauer mal von einer anderen Seite angehen. Das war auch für mein eigenes Wohlbefinden nötig. Trauer ist eine großartige Sache. Und das Beste ist, sich ihr zu stellen. Wenn ich jemandem hinterhertrauere, ist es das Beste, mich ganz und gar darauf zu konzentrieren. Darüber zu reden, an diese Person zu denken.
Den Leuten wird immerzu gesagt, sie sollen endlich drüber hinwegkommen. Aber das kann sehr ungesund enden, wenn man nicht richtig getrauert hat. Deshalb beschäftige ich mich auf diesem Album so sehr mit Traurigkeit, verbinden wollte ich das aber mit Freude. Denn es ist doch so schön, jemanden zu vermissen. Das bedeutet doch, dass du jemanden geliebt hast. Es ist ein großes Geschenk sagen zu können, dass man in einen Menschen verliebt war. Auf diesem Album wollte ich eine neue Sprache entwickeln, um Trauer zu verarbeiten.
Reimann: Trauer kann auch die Kreativität beflügeln. Denken Sie extra an traurige Sachen, wenn Sie Songs schreiben?
Serpentwithfeet: Ich trauere jeden Tag. Denn der Tag heute bedeutet doch nur, dass der gestrige Tag vergangen ist. Aber ich habe gestern eben auch etwas gelernt, das ich heute noch mit mir herumtrage. Genauso geht es mir mit Liebhabern, die nicht mehr teil meines Lebens sind.
"Ich will nicht, dass die Leute herumspekulieren"
Reimann: Was ich sehr interessant finde, ist, dass Sie in Ihren Songs immer wieder betonen, dass Sie von Männern singen, von Liebhabern und Exfreunden. Viele LGBTI-Musiker*innen sind nicht so direkt. Sam Smith zum Beispiel singt immer von einem "Du". Das könnte jeder sein, damit verprellt man niemanden. Haben Sie sich bewusst für diese sehr direkte Ansprache entschieden, oder kommt das einfach aus Ihnen heraus?
Serpentwithfeet: Eine absolut bewusste Entscheidung. Auch in meinem Alltagsleben mache ich sehr deutlich, dass ich ein homosexueller schwarzer Mann bin, der auf andere schwarze homosexuelle Männer steht. Ich will nicht, dass die Leute herumspekulieren. Ich bin schwul, und das taucht auch in meinen Songs auf.
Reimann: Für schwule schwarze Männer gibt es in der Popgeschichte nicht besonders viele Vorbilder. Mit Musikern wie Ihnen, Dev Hynes von Blood Orange, Starchild & The New Romantic, Nakhane und anderen wächst gerade eine neue, queere Generation heran. Macht es der Mangel an Vorbildern einfach für Sie, Ihre eigene Stimme zu finden – oder schwerer?
Liebesbeziehungen mit biblischen Worten beschreiben
Serpentwithfeet: Nun, es gab zum Beispiel Sylvester. Ich weiß nicht, welche Pronomen Sylvester für sich reklamiert hat. Und neben Sylvester. Abgesehen vom Schwulsein geht es mir um schwarze Flamboyanz, also: schwarze Extravaganz. Und da gibt es eine lange Geschichte: Little Richards, Prince, Sylvester … Mir geht es also nicht so sehr um ein schwules Role Model. Was mich inspiriert, sind schwarze Menschen, die einen mit ihrer Art umgehauen haben: Patti LaBelle – einfach schon ihre Frisur, ihr Style. Sie ist einfach so eine gewaltige Erscheinung. Aus der Art und Weise, wie sich schwarze Menschen präsentiert haben, kann ich schon eine Menge für mich rausziehen.
Reimann: Mit dem Songtitel "Cherubim" beziehen Sie sich auf die gleichnamigen Engel aus der Bibel. Ihr Vorname ist Josiah, das ist ein biblischer Name.
Serpentwithfeet: Aber ich nenne mich jetzt Serpent, also sollten wir den Namen nicht verwenden.
Reimann: Okay. Worauf ich hinaus möchte: Sie sangen im Maryland State Boychoir. Welche Rolle spielte oder spielt Religion in Ihrem Leben?
Serpentwithfeet: Nun, die Sprache … Mir gefällt es, meine Liebesbeziehungen mit biblischen Worten zu beschreiben. Ich weiß nicht, ob ich zu dem Thema mehr sagen kann. Aber die Kirche hat sicher eine besondere Sprache der Liebe hervorgebracht.
Reimann: Haben Sie sich als junger Schwuler nie von der Kirche unterdrückt gefühlt?
Serpentwithfeet: Nein. Und das ist auch nicht meine Sicht auf die Dinge. Ich beschäftige mich lieber mit den Momenten, in denen ich ich sein kann. Nicht so gerne rede ich über Momente, von denen Leute annehmen, ich wäre unterdrückt worden.
"Ich liebe mich selbst wie eine Religion"
Reimann: Sie haben Baltimore verlassen, um in Philadelphia Musik zu studieren. Was konnten Sie daraus für Ihre Arbeit als Serpentwithfeet mitnehmen?
Serpentwithfeet: Ich habe damals einfach total viele Songs gelernt. Stücke von Schumann und Bellini. Wenn man sich den ganzen Tag mit Musik beschäftigt, lernt man ständig etwas Neues, vieles wird dadurch selbstverständlicher.
Reimann: Stimmt es, dass Sie erst in New York wirklich frei fühlen konnten. So steht es nämlich im Presseanschreiben.
Serpentwithfeet: Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde.
Reimann: Was haben Sie dann in New York gefunden?
Serpentwithfeet: Ich habe eine neue Sprache entwickelt. Ich habe angefangen, anders über mich zu sprechen. Ich habe neue Wege gefunden, mich selbst zu lieben, mich selbst in den Mittelpunkt meiner eigenen Erzählung zu stellen.
Reimann: Und sind Sie noch religiös?
Serpentwithfeet: Ich liebe mich selbst wie eine Religion.
Reimann: Glauben Sie an einen Gott?
Serpentwithfeet: Ich glaube an mich selbst.