Partituren aus Schaltplänen und Quellcodes
Das Einstein Projekt sucht neue Formen elektronischer Musik. Und zwar solche, die langfristig Bestand haben und von allen Musikinteressierten genutzt werden können. Wirklich bewährt hat sich bisher nur der Synthesizer.
Dominik Hildebrand verbindet seine Finger mit kleinen Sensoren. Kabel liegen über seinem Handrücken. Vor ihm steht ein Computer. Dominik ist Student an UdK, der Universität der Künste in Berlin. Er beschäftigt sich mit elektronischer Musik. Mit neuer elektronischer Musik und mit neuen elektronischen Musikinstrumenten. Sein Instrument heißt so wie es aussieht: „the finger!“
"Ich ziehe gerade mein Instrument an. Und zwar habe ich da verschiedenen Sensoren an meinen Händen, Beschleunigungssensoren, die merken, wie schnell ich mich in verschiedenen Achsen mit meiner Hand bewege, und dann noch ein Exoskelett für den Finger, dessen Glieder aus Potentiometer bestehen, also aus Drehregler bestehen, so wie das bei Stereoanlagen ist. Das heißt, wenn ich meinen Finger knicke, dann ist das wie wenn man an der Stereoanlage an einem Knopf dreht."
Neue Formen digitaler und elektronischer Musik – das ist das Thema der Fachklasse von Alberto de Campo, er ist Professor für Generative Kunst an der UdK in Berlin.
"Es gibt derzeit schon unglaublich viel verschiedene Musik auf der ganzen Welt, es gibt noch viel mehr Musik, die theoretisch möglich ist. Und als Künstler interessiert man sich auch mehr dafür, wie die Musik sein könnte, als wie sie derzeit schon ist."
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Technischen Universität plant Alberto De Campo zusammen mit seinem Kollegen Stefan Weinzierl von der TU Berlin neue elektronische Musikinstrumente zu entwickeln.
"Es basiert einfach auf der Beobachtung, dass seit 100 Jahren keine Musikinstrument mehr entwickelt wurde, dass sich tatsächlich im Konzertalltag etabliert hätte."
Nun ist es nicht so, dass es keine elektronischen Instrumente gibt. Aber es gibt nicht viele, die sich langfristig bewährt und durchgesetzt haben. Eine Ausnahme ist sicher der Synthesizer, der Rock und Pop Geschichte geschrieben hat. Seine Vorgänger sind die Hammond-Orgel und das Trautonium, letzteres entwickelten Friedrich Trautwein und der Komponist Paul Hindemith im Jahr 1930. Heute, keine 100 Jahre später, steht es bereits im Museum, obwohl es in den 50er-Jahren durch die Kompositionen des Berliner Musiker Oscar Sala berühmt wurde. Sala schrieb die Filmmusik für verschiedene Alfred Hitchcock Filme auf dem Trautonium, darunter für den Klassiker "Die Vögel" in dem auch die Vogelschreie elektronische Kompositionen sind.
Die beiden Professoren beabsichtigen nun – das perfekte, rundum spielbare und ewig beständige Musikinstrument zu entwerfen, das Musikern und Komponisten neue ungeahnte Chancen gibt. Ein ehrgeizig Ziel. Ja, sagt Alberto de Campo.
"Wir haben in dem Zusammenhang ganz viele verschiedene Instrumente gebaut, die zum Teil auf Gamepads referieren wie man sie für Spielstationen verwendet. Eine Serie davon hießt ´All you need is gloves`, Datenhandschuhe in Anspielung auf Cyberhandschuhe, die lange Zeit der Traum von virtuellen Realität gewesen sind. Der Inbegriff, dass man Daten anfassen kann und damit virtuelle Realitäten steuern kann."
Programmiersprache die Grundlage der Komposition
Wie Bewegungen zu Klängen werden, ist dabei Aufgabe der Informatiker. Sie sorgen mit einer Mischung von Software und Sensorik für die Übersetzung in ein akustisches Erlebnis. Das funktioniert ähnlich wie im Computerspielbereich Bewegungen in Spielaktionen übertragen werden, sagt Stefan Weinzierl. Partituren aus Schaltplänen und Quellcode, die Programmiersprache ist die Grundlage für die Komposition. Interessant sind für die Wissenschaftler aber auch die physischen Ausdrucksmöglichkeiten, die elektronische Instrumente dem Interpreten und dem Zuschauer und Zuhörer bieten.
Bei "The Finger" – dem Instrument, das Dominik Hildebrand spielt, lassen sich diese gut beobachten. Je nachdem wie expressiv der Student seine Arme und Hände bewegt, ändert sich auch der Klang.
"Man muss wirklich auch üben und lernen, dass sich im Gedächtnis einprägt, an welcher Stelle die Sachen klingen. Ähnlich wie beim Klavier, dass man weiß, wenn man die Taste drückt, dann kommt der Ton raus, ist es auch hier. Eher im dreidimensionalen Raum, weil ich nichts physisch angreife, sondern nur meine Hände habe. Aber man prägt sich dann bestimmte Bewegungsabläufe und Muster ein und lernt darüber dann."
An der Universität Barcelona wurde kürzlich der "Reactable" gebaut – seinem Namen entsprechend ein großer, runder Tisch. Er ist aus Glas und leuchtet. Bewegt man die spacigen Kugeln und Würfel, die auf ihm liegen, erklingen elektronische Töne. Hier können gleich mehrere Interpreten zusammen spielen. Wer dabei gerade mit wem interagiert wird zusätzlich über Lichtsignale angezeigt. Der "Reactable" ist ein gutes Vorbild, meint Stefan Weinzierl. Denn das Publikum kann auch visuell dem Spiel der Musiker folgen.
"Wir haben an Instrumente für Performer nicht in erster Linie für Komponisten gedacht. Man kann ja im Prinzip jedes Körperteil mit einem Sensor ausstatten der die Bewegung aufzeichnet und diese Bewegung unmittelbar in Klang übersetzen."
Tanzende Musiker? Warum nicht? Schließlich lässt sich jedes Körperteil mit einem Sensor verbinden und in Töne übersetzen, sagt der Wissenschaftler. In jedem Fall ist aber weiterhin Fingerfertigkeit gefragt – nur wenn der Künstler sein Instrument präzise steuert, wird er zum Virtuosen. In dem Punkt unterscheiden sich klassische und elektronische Musikinstrumente nicht. Unabhängig davon wie sie in Zukunft aussehen werden, wer zu den Besten gehören will, wird weiter üben müssen.