"DJ Culture" neu aufgelegt
DJs sind schon lange Stars der Musikszene mit enormen Plattenverkäufen und Top-Gagen. Eines der ersten Bücher über sie und ihre Kultur war die Dissertation von Journalist Ulf Poschardt. Sein Buch "DJ Culture. Discjockeys und Popkultur" ist jetzt neu erschienen.
Carsten Rochow: Ulf Poschardt ist heute stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtensenders N24.Wie kam er denn damals dazu ein Buch über DJ Kultur zu schreiben?
Kerstin Poppendiek: Ich behaupte jetzt einfach mal, weil er clever war. Ulf Poschardt hat Philosophie studiert, wollte promovieren, also musste ein Thema für die Doktorarbeit her. Und wenn mal sich Anfang der 1990er mal die DJ Szene ansieht, dann existierte da eine sehr lebendige Szene – Disco, Hip Hop, House, die Clubs und Discos boomten. DJs waren einer der wichtigsten Größen der Subkulturen damals. Es war auch nichts Ungewöhnliches mehr, dass DJs an der Spitze der Charts standen. Aber es war eben auch noch nicht Mainstream. Und da es tatsächlich kaum Literatur gab, die sich mit dem Thema DJs auseinandergesetzt hat – egal ob wissenschaftlich oder nicht – war es meiner Meinung nach clever von Ulf Poschardt, seine Doktorarbeit zu diesem Thema zu schreiben. Zumal deshalb auch klar war, dass diese Arbeit als Buch erscheinen würde. Und weil es eben auch weltweit kaum Literatur zu diesem Thema hab, wurde das Buch auch ins Englische, Französische und Japanische übersetzt – und gilt bis heute als eines der Werke zum Thema DJ-Kultur.
Rochow: Das ist ja doch ein ganz schöner Wälzer, ungefähr 550 Seiten. Wann beginnt denn bei Poschardt die Geschichte der DJs?
Poppendiek: Für ihn beginnt die Geschichte des DJs mit der Geschichte des Radios. Als 1906 der amerikanische Elektroingenieur Reginald A. Fessenden in der allerersten Radiosendung Handels "Largo" aufgelegt hat, das war für Poschardt die Geburtsstunde der DJs. Und damit beginnt auch zeitlich sein Buch. Was folgt ist eine detaillierte Beschreibung der Radiogeschichte. DJs, die anfänglich tatsächlich reine Plattenaufleger waren, dann aber recht schnell zu Stars, fast Ikonen – was natürlich auch daran lag, dass Radio das Medium war, Fernsehen gab es ja noch nicht. Dann geht es weiter mit der Erfindung der ersten Clubs während des zweiten Weltkrieges. DJs – Vernichter der Live-Musik. Denn damals haben komplette Live-Bands oder sogar Swing-Orchester bei Tanzveranstaltungen gespielt. Da war ein DJ natürlich billiger, und wenn er einmal die neuesten Platten hatte, konnte er natürlich auch schnell die jeweils angesagte Musik spielen. Einen Großteil des Buches nimmt die stilistische Abhandlung der DJ-Geschichte ein. Es gibt Kapitel zu Disco, Hip Hop, House. Und natürlich spielt auch Techno und die Rave-Szene eine Rolle.
Rochow: Das Buch ist vor 20 Jahren erschienen. Seit dem hat sich in Sachen DJs unheimlich viel getan. Was ist neu in und an diesem Buch?
"Für mich ist ein DJ eben nicht ein reiner Plattenaufleger"
Poppendiek: Ich würd sogar soweit gehen zu sagen, dass für mich gefühlt die DJ-Geschichte erst vor 20 Jahren so richtig angefangen hat. Für mich ist ein DJ eben nicht ein reiner Plattenaufleger, sondern jemand der eine musikalische Vision hat, der kreativ mit Musik umgeht – auch wenn er nicht´s Eigenes komponiert, aus vorhandener Musik und Samples neue Musik kreiert. Und natürlich kommen diese DJs zu Hauf in dem Buch vor – Von Kraftwerk über Grandmaster Flash bis Marrs und ihr Pump up the Volume. Die Ausgangssituation heute ist natürlich eine ganz andere.
Wenn Mitte der 90er DJs noch zu einer Art kulturrevolutionäre Avantgarde gehörten, ist es heute völlig normal, dass bei Pop-Konzerten DJs mit auf der Bühne stehen. Die offensichtlichsten Ergänzungen sind ein Essay von Tim Renner. Früher Musikjournalist und –produzent und Chef des Plattenlabels Universal. Heute Kulturstaatssekretär des Landes Berlin. Er schreibt über die Unfähigkeit der Politik DJ-Kultur tatsächlich als Kultur zu begreifen und dementsprechend ernst zu nehmen. Und gleichzeitig schreibt er über Todesopfer, die die DJ-Kultur gefordert hat, seien es DJ´s selbst, die gestoben sind – unter Umständen im Zusammenhang mit ihren Lebensumständen als DJ oder Menschen aus dem Publikum, wie 2010 als 21 Menschen bei der Love Parade in Duisburg starben.
Das ist nur ein kurzes Essay von drei Seiten und hat mich etwas ratlos zurückgelassen, weil ich weder eine echte Haltung noch einen kreative Aufarbeitung darin gefunden habe. Und dann ist das Nachwort von Westbam neu, der eine kurze DJ-Kultur-Geschichte der Neuzeit schreiben wollte. So jedenfalls der Titel seines Nachwortes. Er geht auf DJs wie Paul van Dyk ein, auf das amerikanische Unternehmen SFX, das die Rechte an Veranstaltungen wie Mayday oder Nature One gekauft hatte und er schreibt vom Fluch und Segen des Internets für DJs – denn wenn früher DJs mit raren Tracks beeindruckten, findet heute jeder alles im Netz. Und natürlich ist auch der Rest des Buches ergänzt und aktualisiert worden – geremixed – das merkt man aber nur, wenn Jahreszahlen dastehen, ansonsten ist das nicht hervorgehoben. Diese Aktualisieren sind übrigens von Heiko Hoffmann Chefredakteur vom Groove Magazin – ein Magazin für elektronische Musik und Clubkultur. 130 Seiten mehr.
Rochow: Wer sollte dieses Buch lesen? Oder wer glaubst Du, hätte Spaß daran?
Poppendiek: Ich finde, der Titel ist etwas irreführend. Denn wenn man DJ hört, dann denken viele doch sicher an Westbam, Paul van Dyk, David Guetta und Robin Schulz. Die alle spielen aber gar keine oder nur eine kleine Rolle in diesem Buch. Wer sich für Radiogeschichte, und die Geschichte der Radio-DJs und vor allem der Geschichte der Underground-Musikszene bis 1995 interessiert, der wird viel Spaß haben. Zwei Jahre hat Ulf Poschardt für dieses Buch recherchiert: war in Clubs weltweit hat Material gesammelt. Internet gab´s damals noch nicht bzw. es steckte noch in klitzekleinen Kinderschuhen. Dazu gibt es auch noch Theoriewissen wie Mixtechniken, DJ-Equipment und jede Menge DJ Namen und Anekdoten.
Am Anfang des Buches stand ja die Doktorarbeit – und das Buch ist voll von Zitaten, Quellenangaben und Fußnoten, was das Lesen manchmal etwas mühselig macht. Auch find ich die Sprache manchmal etwas zu akademisch und die immer wieder herangezogenen Zitate und Vergleiche zu und von Philosophen und Soziologen wie Ernst Bloch, Max Horkheimer und Friedrich Nietzsche anstrengend . Klar, die Doktorarbeit war eine wissenschaftliche Arbeit, aber für das Buch hätte man da ruhig noch mehr populärwissenschaftlich umschreiben können – dann würde das Lesen noch mehr Spaß machen. Und dieses Buch ist auch ein gutes Beispiel, wo sich ein E-Book lohnen würde, bei dem alle Musikbeispiele verlinkt sind und man sich immer gleich die jeweilige Musik anhören kann. Vielleicht gibt´s das ja zum nächsten Jubiläum.