Elena Ferrante: "Frantumaglia" und "Frau im Dunkeln"

Der unbekannte Weltstar erzählt von seiner Herkunft

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Cover: "Elena Ferrante: Frantumaglia" und Blick auf Poggioreale, Stadtteil von Neapel
Elena Ferrante erzählt in "Frantumaglia" auch von ihrer neapolitanischen Herkunft. © Suhrkamp / imago / Salvatore Laporte
Von Maike Albath |
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Der Hype um Elena Ferrante geht in die nächste Runde: "Frantumaglia" ist ein faszinierender neuer Essayband mit Briefen, Aufsätzen und Interviews der anonymen Erfolgsautorin. Der Roman "Frau im Dunkeln" erscheint in neuer Übersetzung.
Das Wechselspiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist unerschöpflich, und ähnlich vielfältig sind auch die Selbstentwürfe desjenigen, der in einem Buch in der ersten Person spricht. Über die Figur des Verfassers lässt sich eine zusätzliche Ebene einziehen - eine Wirklichkeit zweiten oder dritten Grades, denn was besagt schon ein Name?
Spannender als bei Elena Ferrante, die unter Pseudonym veröffentlicht und über ihre bürgerliche Identität unbeirrbar schweigt, lässt sich diese Konstellation nicht gestalten. Auch deshalb ist die Lektüre ihres neuen Essaybandes äußerst faszinierend.
Neben zahlreichen Interviews enthält die Sammlung, von der in Italien bereits 2003 eine erste, schmalere Ausgabe erschienen war, zwischen 1991 und 2016 entstandene Briefe und Essays – das Ergebnis ist eine schillernde Mischung aus Werkstattbericht und Poetik.

Ein Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion

Es gehe, antwortet die Schriftstellerin an einer Stelle auf die Frage nach ihrer Anonymität, schließlich darum "die Figuren nicht nur glaubwürdig wirken zu lassen, sondern echt". Ihre eigene Identität liege allein und "ohne Zurückhaltung" in ihren Büchern. Ein anderes Mal erläutert sie, dass man beim Schreiben "teilweise ein anderer" werde.

Man kann diese Denkformeln auch auf die Autorin selbst anwenden: Elena Ferrante ist eine "echte" Figur. Dazu passt der Titel des Bandes, der wie im Original "Frantumaglia" lautet. Es handle sich um einen dialektal inspirierten Begriff ihrer Mutter, erklärt sie den Redakteurinnen einer Zeitschrift, der einen Zustand der inneren Zertrümmerung kennzeichne. Sie leide unter "Frantumaglia", bekundete ihre Mutter, wenn sie von seelischer Anspannung überfallen wurde. Das Zerteilte und Zertrümmerte ist auch Elena Ferrante zu eigen.

Ambivalente Erfahrung von Mutterschaft

Das große Thema sind die Bedingungen der Fiktion und die Notwendigkeit, diese Sphäre zu schützen. Elena Ferrante wäre aber nicht Elena Ferrante, wenn sie nicht dauernd Fährten auslegen würde. Eine der interessantesten ist die der Puppe. Das Motiv ist bereits in ihrem dritten Roman "Die Frau im Dunkeln" (2006) zentral.
Im ersten Teil der Neapel-Tetralogie "Meine geniale Freundin" begründet dann eine Puppe den Pakt zwischen den Freundinnen Lila und Lenù. Wer Ferrante-Exegese betreiben will, kann die gerade erschienene Neuausgabe von "Die Frau im Dunkeln" zur Hand nehmen, das Buch, an das sie sich am schmerzhaftesten gebunden fühle, wie Ferrante in "Frantumaglia" verrät.

Ambivalente Erfahrung von Mutterschaft

Tatsächlich spitzt sich die Geschichte mit bedrängender Zwangsläufigkeit zu, denn im Grunde gleitet die Ich-Erzählerin, eine knapp 50-jährige Professorin, Mutter zweier erwachsener Töchter, in einen Zustand der "Frantumaglia" hinein.
Während sie über die ambivalente Erfahrung von Mutterschaft nachdenkt und den Wechsel zwischen Angst, Stolz, übergriffigem Schutz und harscher Kritik an den eigenen Kindern schildert, stiehlt sie aus einem Impuls heraus einem Mädchen am Strand deren Puppe.
Der schöpferische Prozess, so könnte man mit Blick auf die Essays folgern, ist auch eine Art Geburt. Und sei es die einer Autorin, die "ich" sagt.

Elena Ferrante: "Frantumaglia. Mein geschriebenes Leben"
Aus dem Italienischen übersetzt von Julika Brandestini und Petra Kaiser
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
505 Seiten, 24 Euro

Elena Ferrante: "Frau im Dunkeln"
Aus dem Italienischen übersetzt von Anja Nattefort
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
188 Seiten, 22 Euro

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