Elena Percivaldi: "Der Himmelsatlas. Eine astronomische Reise in antiken Karten"
Aus dem Italienischen von Simone Blass
White Star Verlag, Mailand 2019
208 Seiten, 39,95 Euro
Wie sich unsere Vorfahren in Sternbildern verloren
11:10 Minuten
Seit jeher haben Menschen versucht, das Firmament zu verstehen und zu ergründen. Wie - das zeigt Elena Percivaldi mit ihrer versammelten Himmelsatlanten aus der Antike. Ein opulentes Buch, wichtig und schön.
Die Blütezeit der europäischen Kartografie begann im 16. Jahrhundert. Im Zeitalter der Weltentdeckung stieg die Nachfrage nach genauen Karten, und auch der Sternenhimmel wurde mehr und mehr dargestellt. Schließlich war die Kenntnis der Lage der Gestirne wichtig für die Seefahrt. Der Humanismus entdeckte zudem die Schriften der antiken Geografen neu – so die des Claudius Ptolemäus, der bereits 48 Sternbilder beschrieben hatte.
Elena Percivaldi stellt Meisterwerke aus dieser Epoche vor. So den Himmelsatlas des Mathematikers und Astronomen Peter Apian von 1540, der noch auf dem geozentrischen Weltbild des Ptolemäus basiert. Das Astronomicum Caesareum war ein grafisches Wunderwerk, das neben einer Fülle von kolorierten Stichen zahlreiche Volvellen bot: übereinandergelegte und bewegliche Papierscheiben, mit denen man die Abstände zwischen der Erde und anderen Planeten darstellen oder auch Planetenkonstellationen vorhersagen konnte. Mit Hilfe drehbarer Scheiben ließ sich für jeden Tag des Jahres die Position des Mondes bestimmen.
Wunderschön und kenntnisreich
Oft ganzseitig im Großformat und in hoher Qualität zeigt Elena Percivaldi die grafisch schönsten und interessantesten Blätter verschiedener Himmelsatlanten. Die Autorin liefert dazu kurze und kenntnisreiche Bildlegenden, die den notwendigen Zusammenhang erläutern oder auf besondere Einzelheiten der Darstellung verweisen. Dazu kommen biografische Skizzen der Kartografen, die deren Werk wissenschaftshistorisch einordnen.
Neben dem aktuellen Wissensstand legten die Himmelskartografen viel Wert auf die Schönheit ihrer Darstellung. Mitunter überstrahlte diese die Wissenschaft, so beim Atlas des Andreas Cellarius, eines niederländischen Kartografen aus dem 17. Jahrhundert. Er ließ spektakuläre Bildtafeln stechen, die dann koloriert wurden. Sie zeigen überbordend im Detail die klassischen Sternzeichen und die, die für die Sternenkonstellationen auf der Südhalbkugel vereinbart wurden, oder auch wie sich die Planeten im heliozentrischen System um die Sonne drehen – dazu ein Porträt von Nikolaus Kopernikus, wie er mit einem Zirkel die Erde vermisst.
Die Wissenschaft triumphiert
Im 19. Jahrhundert endete das Zeitalter der Sternenatlanten mit der Darstellung mythologisch geprägter Sternbilder. Die Wissenschaft triumphierte, je präziser und genauer die Teleskope wurden, desto präziser und genauer wurden Sternenkarten und -listen, und desto mehr verschwand der Zauber.
"Der Himmelsatlas" ist ein außergewöhnliches Buch: Es zeigt die Vermessung des Himmels, dokumentiert dabei die Geschichte der astronomischen Wissenschaft vom 16. bis ins 19. Jahrhundert und erzählt gleichzeitig von einer Sehnsucht, die sich in den farbenfrohen, aufwendigen Stichen der damaligen Zeit widerspiegelt: zu erfahren, was sich am Nachthimmel, jenseits aller unserer Erfahrungen abspielt.