Elfriede Jelinek: "Wut"
Inszenierung an den Münchner Kammerspielen
Regie: Nicolas Stemann
Vielstimmiger Chor der Wütenden
Die Anschläge auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" waren der Anlass für Elfriede Jelineks neues Stück "Wut". In Nicolas Stemans Inszenierung an den Münchner Kammerspielen wird daraus ein Strudel aus Bildern und Einfällen, inklusive posender Propheten.
Auch Elfriede Jelinek ist wütend. Auf die Welt. Oder besser: über den Zustand, in den die Menschheit die Welt gebracht hat. Jelinek bekennt sich zu dieser Wut in ihrem neuen Stück. Ihre Stimme ist damit eine von vielen, herauszuhören aus einem vielstimmigen Chor der Wütenden, den sie zu Papier gebracht hat, um so ihrem Sprachfuror einmal mehr freien Lauf zu lassen.
Diese Fähigkeit, negative Energien in kreative Kraft umzuwandeln, unterscheidet Jelinek von den destruktiv wütenden islamistischen Terroristen, deren Anschläge auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" und eine jüdischen Supermarkt in Paris Anfang 2015 unmittelbarer Schreibanlass für das neue Stück waren. Und es unterscheidet sie von den Wutbürgern der PEGIDA, die ihre Aggression auf die Straße tragen.
Die Wutbürger durch den Jelinekschen Sprachwolf gedreht
Jelinek lässt sie nun alle zu Wort kommen, dreht ihnen aber nicht das Wort im Munde herum, sondern nimmt es ihnen vielmehr aus dem Mund heraus, um es durch den Jelinekschen Sprachwolf zu drehen, ein Drehen und Wenden ist das, das die wütenden Worte von allen Seiten betrachtet, bis ihre ganzen Entsetzlichkeit und Erbärmlichkeit sichtbar wird.
Jelinek-Kenner und -Könner Nicolas Stemann lässt in den Jelinekschen Sprach- und Gedankenstrom eigene Assoziationen einfließen, der Autorin darin verwandt, dass auch er sich nicht von seiner Wut überfluten, sondern ihr produktiven Ausfluss lässt, ohne sie freilich in allzu geordnete Bahnen zu lenken, die ihr die Kraft nähmen.
Die Bühne ist eine Art Kunstlabor unter tiefhängenden Scheinwerfern, mit Leinwänden für Live-Videobilder, Live-Musikern an ihren Instrumenten (Klavier und Keyboards, Schlagzeug sowie Stemann selbst an der Gitarre), Lesetischchen, Polstersesseln und Getränkeecke.
Der knapp vierstündige Abend beginnt alles andere als furios, beinahe verhalten, mit aus dem Textbuch gelesenen, vom siebenköpfigen Ensemble chorisch vorgetragenen Passagen. Aber das ist nur die Ruhe vor der Sturmflut. Aus ruhigem Flow entwickelt sich bald ein ziemlicher Sog, der den Zuschauer im Laufe des fast vierstündigen Abends hineinzieht in eine Strudel aus Bildern (von Clowns mit Kalaschnikows bis zur geschlachteten Friedenstaube) und Spielszenen, etwa wenn Stemann Jelineks Redefluss dialogisch aufbricht und Julia Riedler und Daniel Lommatzsch (sie in Bomberjacke, er im Unterhemd) fremdenfeindliche Floskeln absondern.
In der Fülle der Einfälle geht manches auch unter, säuft regelrecht ab. Insgesamt aber erweist sich Stemann als souveräner Surfer auf der keineswegs glatten Textfläche, die wie immer bei Jelinek jede Menge Untiefen aufweist, in denen die meisten Regisseure Baden gehen würden.
Hey, der Mo fehlt!
In einer der stärksten von vielen starken Szenen versammelt Stemann eine Runde von Göttern und Propheten auf der Bühne. Da verwandeln sich die Darsteller in Karikaturen (unter anderem von Jesus, Buddha oder Zeus) und unterhalten sich über ihre tollsten Tricks – über Wasser laufen zum Beispiel. Bis sie feststellen: Hey, einer fehlt! Klar, der Mo! Sprich: Mohammed. Der darf ja nicht auftreten. Denn bei Mohammed-Karikaturen ist bekanntlich Schluss mit lustig. Zumindest für islamistische Fundamentalisten.
Womit sie mindestens eines mit PEGIDA-Anhängern gemein haben: Sie verstehen keinen Spaß. Nicolas Stemann und die kalauer-begeisterte Elfriede Jelinek dagegen haben großen Sinn für Humor, auch wenn er bei ihnen oft bitter ist. Dennoch: Humor – das ist auch eine Möglichkeit, sich von seiner ohnmächtigen Wut zu befreien, ehe sie sich gewaltsam entlädt. Nicolas Stemann führt es eindrucksvoll vor.