"Sehr stark in Menschen eingefühlt"
07:09 Minuten
Elfriede Lohse-Wächtler entscheidet sich bewusst, Künstlerin zu werden. Sie gehört zum Freundeskreis von Otto Dix und Conrad Felixmüller. Ende der 20er-Jahre kommt sie in die Psychiatrie und zeichnet auch dort. Etliche dieser Arbeiten gehören nun der Heidelberger Sammlung Prinzhorn.
Eine Sensation für die Sammlung Prinzhorn auf dem Gelände der Heidelberger Psychiatrie: Über 200 Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken von Elfriede Lohse-Wächtler (1899-1940) werden Teil des Museums, das den Nachlass angekauft hat.
"Die meisten Männer und Frauen, die bei uns vertreten sind, hatten keine künstlerische Ausbildung", sagt Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn.
"Bei Elfriede Lohse-Wächtler ist das ganz anders, sie ist eine ausgebildete Künstlerin, die erst später psychisch auffällig wurde und dann in die Psychiatrie auch noch ein sehr beeindruckendes Werk geschaffen hat."
Schonungslose Auseinandersetzung
Lohse-Wächtler sei im Umkreis von Otto Dix, Otto Griebel und Conrad Felixmüller in Dresden künstlerisch großgeworden. Wie diese verschrieb sie sich dem Verismus, einer besonderen Art der Neuen Sachlichkeit, die sich schonungslos mit dem Gesehenen auseinandersetzt.
1921 heiratet die Künstlerin den Maler und Opernsänger Kurt Lohse, mit dem sie 1922 nach Görlitz und 1925 nach Hamburg geht. Die Ehe ist von Streit und Betrug geprägt. 1929 erleidet Lohse-Wächtler einen Nervenzusammenbruch und wird in die Hamburger Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingewiesen.
"Sie war sehr stark an menschlicher Physiognomie interessiert", sagt Röske. "Sie hat sich sehr stark in Menschen eingefühlt und sehr beeindruckende Porträts geschaffen."
In der Psychiatrie setzt sie das fort. "Das Besondere ist, dass diese Porträts immer etwas Unvollendetes haben, immer etwas Angefangenes", sagt der Kunsthistoriker.
"Sie vertieft sich sehr stark in genaue Studien der Gesichter, zeichnet akribisch Falten nach und das eingeschriebene Leid dieser Gesichter."
Im Gegensatz zu Dix habe sie ihren Figuren jedoch mehr Wärme und Sympathie entgegengebracht und nicht so stark karikiert.
Erst zwangssterilisiert, dann ermordet
1932 führen psychische Probleme zu ihrer Aufnahme in die Landesanstalt Arnsdorf bei Dresden. 1935 ließ sich ihr Mann scheiden - mit der Begründung, sie sei unheilbar geisteskrank. "Das liefert sie tatsächlich den Ärzten ihrer Zeit aus", sagt Röske. Ende 1935 wird Lohse-Wächtler zwangssterilisiert.
"Danach entstehen nur noch recht harmlose Postkarten und Postkartenentwürfe – nicht mehr die sehr intensiven Auseinandersetzungen mit ihrer Mitwelt."
Für die Nationalsozialisten galt Lohse-Wächtlers künstlerisches Werk als "entartet". Im Juli 1940 wurde die Künstlerin im Rahmen der nationalsozialistischen "Euthanasie-Aktion T4" in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet.