Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Kein & Aber, Zürich 2016
528 Seiten, 25,00 Euro
Gott ist wie Lego
In ihrem Roman "Der Geruch des Paradieses" spiegelt Elif Shafak die Verwirrung der Türkei zwischen westlich-säkularer Demokratie und östlich-islamisch geprägter Kultur.
Durch Peris Elternhaus zieht sich ein Riss: Während ihr Vater Mensur sich über Allah lustig macht und Kemal Atatürk verehrt ("ohne ihn würde es bei uns zugehen wie im Iran"), hat sich ihre Mutter Selma dem Kreis eines strengen Predigers angeschlossen, weigert sich, Männern die Hand zu geben, und schickt ihre Tochter nur in Sandalen zur Schule, da sie befürchtet, anderes Schuhwerk könnte mit Leim aus Schweineknochen gefertigt sein.
Inmitten dieser Spannungen versucht Peri, ihren eigenen Gott zu finden: "Ich glaube, dass Gott aus vielen Teilen besteht und ganz bunt ist. Ich kann mir einen friedlichen Gott zusammenbauen, der alle liebt. Oder einen wütenden, der alle bestraft. Oder gar keinen. Gott ist wie Lego."
Diese Suche nach Gott zieht sich wie ein roter Faden durch Peris Leben. Später, beim Studium in Oxford, freundet sie sich mit zwei ganz gegensätzlichen Charakteren an: mit der weltlichen Iranerin Shirin, die Religion verachtet, und der gläubigen Ägypterin Mona, die das Kopftuch trägt und jede Kritik an Allah als persönliche Beleidigung auffasst.
Die Sünderin, die Gläubige und die Verwirrte
"Die Sünderin", wird Shirin genannt, "die Gläubige" Mona, und dass die Türkin Peri als "die Verwirrte" in der Mitte steht, ist kein Zufall: In ihr spiegelt sich die Verwirrung der Türkei zwischen westlich-säkularer Demokratie und östlich-islamisch geprägter Kultur.
Die Verwirrung der modernen türkischen Gesellschaft thematisiert Shafak auch in der Rahmenhandlung, in der die inzwischen verheiratete Peri an einem Dinner der Istanbuler Oberschicht teilnimmt und manche Gäste sich der Demokratie gegenüber höchst skeptisch zeigen: Demokratie sei "reine Zeit- und Geldverschwendung", sie passe nicht zur islamischen Welt, besser wäre doch ein "kluger, starker Führer".
Shafak weiß, wovon sie schreibt, sie hat solche Gespräche erlebt: "Es gibt", erklärt sie in Interviews, "eine wachsende Zahl von gebildeten Menschen, die glauben, dass Demokratie zu westlich ist, dass wir ein eigenes Modell brauchen." Eine, wie sie meint, gefährliche Tendenz, denn: "Wer weiß, wo man endet, wenn man sich von der Demokratie abwendet?"
Fragen statt Antworten
Antworten gibt Shafak in ihrem Buch nicht – aber darum geht es ihr auch nicht. Wichtiger ist es ihr, Fragen zu stellen und unorthodoxe Wege zu beschreiten, wie Professor Azur, der in seinem Seminar in Oxford verschiedene Religionen und Glaubensrichtungen miteinander konfrontieren will. Hier hofft Peri, einen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden – aber tatsächlich lässt gerade ihre Unentschlossenheit sie schließlich einen schweren Fehler begehen.
Es ist ein Buch mit verschiedenen Ebenen, das die Schwierigkeiten der modernen Türkei gekonnt in eine Romanhandlung verwebt und dabei keine Seite und keine Meinung verurteilt. "Ich schreibe gern über das, was wir mit Make-up zu übertünchen versuchen", meint Elif Shafak. "Dann wasche ich dieses Make-up ab und zeige, was darunter liegt."