Eliot Weinberger: Neulich in Amerika
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld und Peter Torberg
Berenberg Verlag, Berlin 2020
272 Seiten, 16 Euro
Die Sprache der Demagogen
05:36 Minuten
Der Essayist Eliot Weinberger demontiert in seinem neusten Buch brillant sowohl die Bush- als auch die Trump-Jahre. Deren "Phrasensumpf" legt Weinberger pointiert trocken.
Eliot Weinberger ist einer der letzten Heroen der amerikanischen Linken. Einer, der sich fast dinosaurierhaft im Realitätsraum der Tagespresse bewegt und an dem, was dort geschrieben steht und gesagt wird, noch kritisch Maß nimmt. Ein Intellektueller, der seit Jahrzehnten auf dem schmalen Grat zwischen nationaler Verfallschronik und lyrischem Kosmopolitismus wandelt. Ein Selbstdenker, der seinen deutschen Lesern Einblicke in die Seele eines Grenzgängers verschafft – und auch in die Seele des politischen Körpers der USA. Denn Weinberger versteht sich unter anderem auf Ornithologie, chinesische Schriftzeichen, Nacktmulle oder aztekische Rituale, aber eben auch auf George W. Bush und Donald Trump, von deren Amtszeiten die aktuellen Essays handeln.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Rhetorisch bedient sich Weinberger eines Stilmittels, das auch den ersten Sätzen dieser Kritik zugrunde liegt. Steter Tropfen höhlt den Stein: Die Anapher lässt mehre Sätze oder Absätze hintereinander mit der gleichen Wortstellung beginnen, setzt sich dadurch liedhaft im Gedächtnis fest und verleiht dem Geschriebenen eine insistierende Evidenz.
Ein längeres Stück macht daraus schon im Titel Programm: "Die Republikaner: ein Prosagedicht." Die einzelnen Absätze, die im Jahr 2004 verfasst wurden, handeln vom politischen Personal der Bush-Ära. Sie werden rituell eingeleitet mit einer ironischen Behauptung über die Republikaner, zu deren Explizierung der Text einlädt. "Die Republikaner mögen Hunde", heißt es zum Beispiel. Oder: "Die Republikaner haben einen Sinn für Geschichte." Oder: "Die Republikaner bekämpfen den Terrorismus." Danach wird dann erläutert, was es mit der republikanischen Hundeliebe im konkreten Fall auf sich hat: "Trent Lott, Senator aus Mississippi, wurde zum Einsatz von Kampfhunden bei der Folter irakischer Gefangener befragt. Er erwiderte: ‚Es ist nichts dabei, einen Hund auf jemanden loszulassen, außer er frisst ihn auf.’"
Hohe Form der Collagekunst
Lesen sich die Aperçus zu den aktiven Republikanern der ersten Bush-Amtszeit noch bissig und teilweise drollig, vergeht einem mit der Lektüre von "Was ich hörte vom Irak" endgültig die gute Lästerlaune. Mit der Redewendung "hörte ich" leitet Weinberger nahezu jeden Absatz seiner Irak-Chronik ein. Das ist deswegen erwähnenswert, da es sich hier eben nicht um empörte Leitartikel handelt, sondern um eine hohe Form der Collagekunst, wie sie Karl Kraus für den deutschen Sprachraum perfektioniert hat.
Kraus war angetreten, den Phrasensumpf der kriegsfreudigen Tagespresse vor 1914 trockenzulegen. Ähnliches unternimmt Weinberger für das politische Amerika des neuen Jahrtausends unter Aussparung der Obama-Jahre, die unter Trump und seinem kindischen "OBAMAGATE" wie ausgelöscht scheinen. Die gleichmütige Zusammenstellung von Politikerverlautbarungen zum Besitz von Massenvernichtungswaffen des Irak bis hin zu Paul Wolfowitz’ Geständnis, diese als Legitimation für den Einmarsch erfunden zu haben, bedarf keiner weiteren Pointen.
Die Trump-Jahre: Eine Achterbahnfahrt
Der zweite Teil des Buchs ist der Trump-Administration gewidmet. Und es ist erschütternd, noch einmal mit dem ganzen rhetorischen, moralischen und pragmatischen Desaster dieser Amtszeit konfrontiert zu werden. Können einzelne Provokationen bis hinein in die internationale Corona-Berichterstattung noch Funken schlagen, weil Trump seinen Wählern etwa die Injektion von Bleichmittel empfiehlt, liest sich das als Collage wie eine Achterbahnfahrt. Am Anfang verspricht alles noch Aufregung, bald jedoch will man einfach nur noch aussteigen. Weinbergers Buch zählt jetzt schon zu den Klassikern einer politischen Kritik, die bei der Sprache der Demagogen ansetzt.