"Trump hat allen Rassisten den Weg geebnet"
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Elizabeth Strout schreibt über das Leben in der amerikanischen Provinz. Aktuell beobachtet sie eine Spaltung der US-Gesellschaft. Einen Bürgerkrieg sieht sie zwar nicht kommen, wirft aber Donald Trump vor, einen "Krieg der Rassen" zu schüren.
Andrea Gerk: Von hier aus hat man das Gefühl, Amerika steht kurz vor einem Bürgerkrieg. Wie nehmen Sie das wahr?
Elizabeth Strout: Ich verstehe die Wahrnehmung, dass es so aussieht, als ob wir direkt in einen Bürgerkrieg hineinsteuern. Allerdings glaube ich nicht, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen wird. Aber man spürt das auch sogar hier im Bundesstaat Maine, also diese Ängste, diese Spaltung, das zieht sich durch alle Staaten in den USA.
Das ist eine ganz tiefe Spaltung und wir warten einfach nur auf diese Wahlen und hoffen ganz stark, dass dieser Präsident dann nicht mehr der gleiche sein wird. Aber diese große Angst und Unruhe, die sich anfühlt, als ob man direkt in einen Bürgerkrieg hineinsteuert, auch wenn ich glaube, dass es keinen geben wird, die spürt man überall.
"Es ist eine Art Rassenkrieg, den wir da erleben"
Gerk: Wer steht denn da eigentlich gegen wen? Es geht ja gar nicht um radikal Linke gegen radikal Rechte. Sind das Menschen, die Veränderungen wollen, die ein gleichberechtigtes Leben wollen gegen Nationalisten oder wie ist das?
Strout: Meiner Einschätzung zufolge ist das eine Art Rassenkrieg, den wir da erleben. Trump macht aus diesen Problemen einen Krieg der Rassen, das ist wirklich krass. Er hat allen Rassisten den Weg geebnet. Er hat es ihnen möglich gemacht, ganz klar und offen zu sagen, wie ihre Meinungen sind und ihren Rassismus frei zu äußern.
Wir leben in einer Zeit der rassischen Ungerechtigkeiten und dieses Thema wird von Trump benutzt, um seine Gefolgschaft zu halten. Wer immer dieser Leute auch sein mögen, sie sind für eine Ungleichheit der Rassen. Es geht immer mehr um Hautfarben. Und das hat sich seit Trumps Amtsübernahme noch gesteigert.
Strouts Bücher reflektieren aktuelle Probleme
Gerk: Viele Ihrer Bücher spielen ja in der Kleinstadt Crosby in Maine und Leser auf der ganzen Welt lieben Ihre mürrische Protagonistin Olive Kitteridge. Was würde die zu der derzeitigen Situation in den USA sagen?
Strout: Olive Kitteridge hat ein sehr anständiges Herz, egal wie mürrisch sie manchmal erscheinen mag. In meinem neuen Buch, "Die langen Abende", hat sie eine Haushaltshilfe aus Somalia erhält aber gleichzeitig auch Unterstützung von Betty – einer Trump-Anhängerin. Sie ist aber eindeutig nicht auf der Seite der Trump-Anhängerin, denn wenn sie mit dieser Betty im Auto fährt, hat sie immer ganz große Angst, gesehen zu werden, weil Betty einen Pro-Trump-Aufkleber hinten am Auto hat. Also ihr Herz ist eindeutig bei der somalischen Helferin. Sie ist auf ihre ganz eigene Art und und Weise fortschrittlich.
Gerk: Olives zweiter Mann, Jack, ist aber Republikaner. Ist heute so etwas überhaupt noch vorstellbar sind die Gräben durch Trump wirklich unüberbrückbar geworden?
Strout: Das ist eine sehr gute Frage. Auch, wenn ich Jack als Republikaner angelegt habe, ist er doch in meinem Verständnis jemand, der Trump nicht gewählt hätte. Er ist eher so etwas wie ein altmodischer Republikaner, wie es sie zwar noch gibt, aber wie sie mehr und mehr von diesen neuen Republikanern verdrängt werden. Er ist ein Konservativer der alten Schule und hätte deshalb nicht Trump gewählt. Jetzt sind halt diese anderen Republikaner an der Macht – für mich ist das sehr beängstigend.
"In Crosby hätten viele Black-Lives-Matter-Schilder im Vorgarten stehen"
Gerk: Wie würden denn die Leute in Crosby auf das reagieren, was in Portland oder in Kenosha passiert ist? Würden die vielleicht sogar so reagieren wie die McCloskeys, die jetzt auch beim Parteitag der Republikaner noch mal erklären durften, warum sie glauben, ihr Haus mit Waffen gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung verteidigen zu müssen?
Strout: Ich denke, dass viele in Crosby jetzt Black-Lives-Matter-Schilder in ihren Vorgärten stehen hätten. Denn dort sind alle irgendwie auf die eine oder auf die andere Art und Weise aktiv. Aber die Sorge um diese Städte oder was dort im Land überhaupt passiert, in Portland oder Kenosha oder wo auch immer, ist wirklich sehr, sehr groß. Wenn man sieht, wie friedliche Proteste spät abends oder nachts von Trump-Milizen aufgesucht werden, die dann versuchen, Unruhe zu sähen, wenn es sonst friedlich geblieben wäre.
Gerk: Wenn wir hier diese scheinbar normalen Leute hören, die Trump wählen, dann verstehen wir das gar nicht. Das kommt einem oft vor, als würden die in einer anderen Galaxie leben, aber für Sie hat das offenbar eine Logik, was sie da erzählen. Können Sie uns deren Denkweise erklären?
Strout: Vielleicht noch mal zurück zu Betty, die mit dem Trump-Aufkleber auf dem Auto. Ich habe mich so ein bisschen in ihr Leben hineingedacht und habe es dann als eine Serie von Enttäuschungen, die sie erlebt hat, gesehen. Eine schlechte Ehe, ein krankes Kind. Sie ist vom Leben sehr stark gebeutelt worden und hat einfach nicht mehr die Fähigkeit oder die Energie zu hoffen. Und darüber hinauszublicken, das ist mein wohlmeinendster Versuch, einen Trump-Anhänger zu verstehen.
Der Rassismus erreicht auch die Metropolen
Gerk: Sie kennen ja nun beides, das Leben in der Metropole New York, aber auch in der Provinz Maine. Gibt es einen großen Unterschied, was die Leute auf dem Land beschäftigt? Wovon die Städter vielleicht gar nichts mitbekommen?
Strout: Ich glaube, dass es einen sehr großen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt. New York City ist so voll mit verschiedensten Menschen aus aller Welt. Aber trotzdem habe ich Geschichten von Latinos gehört, die von Weißen sehr schlecht behandelt worden sind in letzter Zeit. Und das zeigt einfach, dass Trumps Tentakel inzwischen sogar so weit reichen. Das ist schon sehr erschreckend.
Was die Leute auf dem Land bewegt – da gibt es natürlich auch sehr unterschiedliche Menschen – aber, wenn man es mal so verallgemeinern möchte, kann man sagen, dass die Leute auf dem Land oft isolierter leben. In Maine sind zum Beispiel die Winter sehr hart, da muss man sich schon Mühe geben, um da durchzukommen. Vielleicht sind sie deshalb stärker auf sich selbst und ihr unmittelbares Umfeld konzentriert und weniger auf eine größere Gemeinschaft wie zum Beispiel in New York City.
Es gibt auch noch schöne Momente
Gerk: Wir haben hier aber auch zum Beispiel von Korrespondenten gehört, dass sich auch New York sehr rasant verändert. Wie erleben Sie das, wenn Sie in der Stadt sind?
Strout: Das Virus hat viele aus der Stadt gejagt. Aber diejenigen, die geblieben sind – meine Tochter zum Beispiel – erzählen auch, dass es sich sehr schön entwickelt hat. Und das Tolle an New York ist, dass es diese Zufallstreffen mit fremden Leuten oder mit Nachbarn gibt. Da passiert es schon mal, dass man ins Gespräch kommt und eine Weinflasche auf der Treppe teilt. Das ist durch die Pandemie wahrscheinlich noch verstärkt worden. Aber diese tollen Zufallstreffen, die hat es eigentlich in New York immer gegeben und die wird es auch weiterhin geben.
Schriftsteller sollten auf ihre eigene Art und Weise protestieren
Gerk: Es gibt ja die "Writers Against Trump"-Initiative, die von Schriftstellern wie Paul Auster und Siri Hustvedt initiiert wurde. Auf der Seite sagt Siri Hustvedt: "Words matter" – es kommt auf jedes Wort an. Was können Künstler, Schriftsteller dazu beitragen, dass die Gesellschaft vielleicht weniger gespalten ist?
Strout: Ich weiß auch nicht genau, was Schriftsteller oder Künstler da machen können. Ich unterstütze diese Bewegung aber auf jeden Fall, und bin absolut der Meinung, dass Worte wichtig sind. Aber was genau Schriftsteller oder Künstler machen könnten?
Nun ja, sich vielleicht auf ihre eigene Art und Weise positionieren, das nach vorne zu treiben, zu protestieren, Menschen darauf aufmerksam machen, wie die Lage ist, wie die Situation ist. Vor allem auch angesichts der unzuverlässigen Medien heutzutage. Aber was sie wohl wahrscheinlich am besten machen können, ist, menschliche Erfahrung wahrhaftig zu schildern und auch in diesen Zeiten damit nicht aufzuhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.