Elke Schilling, Gründerin von "Silbernetz"

„Einsamkeit macht krank“

34:17 Minuten
Porträtaufnahme von Elke Schilling.
Elke Schilling hat mit 70 Jahren den Verein "Silbernetz" gegründet. © Wolfgang Schmidt
Moderation: Tim Wiese · 20.12.2021
Audio herunterladen
Mit 70 Jahren gründete Elke Schilling mit sieben Mitstreitern ein Kontaktnetzwerk für Senioren, das „Silbernetz“. Die Idee: einfach miteinander telefonieren, als Mittel gegen Einsamkeit. Gerade in Corona-Zeiten. Und erst recht in der Weihnachtszeit.
Seit März 2020 telefonieren 20 Festangestellte und 40 Freiwillige für das „Silbernetz“ mit älteren Menschen, die unter Einsamkeit leiden. Besonders während der Feiertage am Jahresende und in der Coronapandemie suchen viele alleinlebende Seniorinnen und Senioren das Gespräch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hotline.

Gegen viele Widerstände

Elke Schilling erkannte die Notwendigkeit, einsamen älteren Menschen ein anonymes Gesprächsangebot über eine Telefon-Hotline zu machen, nachdem es ihr nicht gelungen war, mit einem persönlichen Hilfsangebot zu einem einsamen Nachbarn durchzudringen.
Sie musste jedoch erst einige Widerstände überwinden, bevor das „Silbernetz“ mit seiner kostenfreien Nummer 0800 4 70 80 90 vom 24.12.2017 bis zum späten Abend des 1.1.2018 erstmals freigeschaltet werden konnte.

Einsamkeit im Alter lange tabuisiert

Einsamkeit im Alter sei lange Zeit ein Tabu-Thema gewesen, sagt Elke Schilling, die in Leipzig aufgewachsen ist, Mathematik studierte und in der DDR als Informatikerin und Statistikerin arbeitete. Nach der Wende war sie zunächst bei einem Versicherungsunternehmen, bevor sie zu Bündnis 90/ Die Grünen stieß und Staatssekretärin für Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt wurde.
Einsamkeit werde als Defizit betrachtet und über Defizite werde nicht gern gesprochen, so Schilling. Damit gerieten Themen wie Einsamkeit oder Alter ins Abseits: „Wir sind eine Leistungsgesellschaft. Ganz klar: Wer etwas leistet, ist etwas. Und an einer Stelle zu versagen, ist eben nichts. Und Einsamkeit heißt in der offiziellen Diskussion: ‚Ich bin nicht imstande, meine sozialen Kontakte zu bauen und zu pflegen.‘ Also ein Defizit. Über Defizite reden wir nicht gern. Und damit geraten solche Dinge ins Abseits, ins Schweigen.“

Einsamkeit verstärkt Krankheitsrisiken

Einsamkeit mache krank, betont Elke Schilling. „Einsamkeit ist negativer Stress im Gehirn, der kann unsere Gehirnfunktion beschädigen. Das kann Demenz verstärken, das kann Alzheimer verstärken, das verstärkt das Herzinfarktrisiko. Und selbst Krebs kann dort mit reinspielen. Es gibt viele Krankheitsrisiken, die durch Einsamkeit verstärkt werden können. Und wir können auch eher sterben.“

Ältere Menschen brauchen offene Angebote

Alte Menschen lebten „ein fragiles Leben“, sagt Elke Schilling. Aufgrund schlechter Erfahrungen hätten viele von ihnen Angst davor, getäuscht oder ausgeraubt zu werden. Sie würden von der Kriminalpolizei vor Trickbetrügern und Enkel-Anrufern gewarnt. Erst einmal müsse man Vertrauen aufbauen, bevor man Unterstützung geben könne.
Elke Schilling empfiehlt Menschen, die älteren Nachbarn ihre Unterstützung anbieten möchten, ihre Bereitschaft durch ein möglichst offenes Zeichen zu signalisieren: „Mich hat es im ersten Lockdown ganz liebevoll berührt, dass ich eines Morgens einen Zettel an meinem Briefkastenschlitz fand, wo mein jüngerer Nachbar mir seine Telefonnummer aufgeschrieben hat und draufgeschrieben hat: ‚Elke, wenn Du was brauchst, ruf‘ mich an.`
Und das ist so ein direktes Angebot, was ein Potenzial eröffnet. Ich denke, viele unserer alten Menschen, die da in ihren Wohnungen allein sitzen, würden sich über so einen Zettel unglaublich freuen. Das ist ein Angebot. Das kann ich annehmen, muss aber nicht.“
(ruk)
Mehr zum Thema