"Konsumkritik ist nach wie vor aktuell"
Konsumkritik ist heute so aktuell wie vor drei Jahrzehnten, meint der Politologe Elmar Altvater. Immer noch würden Produkte auf den Markt geworfen, die in ökologischer oder anderer Hinsicht bedenklich seien. Zudem gebe es heute mehr Ungleichheit als früher: Die so genannte Bürgerpflicht zum Konsum, mit der der Wirtschaftskrise entgegengewirkt werden solle, könnten viele Menschen mangels Geld nicht wahrnehmen.
Joachim Scholl: Gerade zur Weihnachtszeit erwischt uns diese Botschaft. Deutschland rauscht mächtig in die Rezession. Die Politik versucht zu reagieren mit Konjunkturprogrammen, Appellen wie vom Bundespräsidenten zu einer konstatierten Aktion bis hin zum Vorschlag, die Bürger mit Konsumgutscheinen in die Kaufhäuser zu locken. Hauptsache, kaufen. Konsum auf Teufel komm raus. Da hat man irgendwie ein ungutes Gefühl, wie etwa der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer vor einigen Tagen bei uns im Programm. Hören Sie mal.
Klaus Töpfer: "Das ist ja beeindruckend, man fragt ja gar nicht mehr, welchen Konsum braucht wer, sondern muss konsumieren. Das ist ja fast so etwas wie eine Bürgerpflicht zum Konsum. Als ich aufwuchs, war es noch ein sehr beherzigter Grundsatz, spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Das heißt, Sparen war das Positive. Heute wird man ja mit Angstsparen konfrontiert. Natürlich brauchen viele Menschen bei uns auch in der Bundesrepublik Deutschland Möglichkeiten, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, dort Chancen zu schaffen für diejenigen, die noch wirklich dringlich etwas brauchen für ihre Kinder, für sich selbst in der Ernährung, in der Bekleidung, in der Ausstattung ihrer Wohnungen. Das ist sicherlich richtig. Und das, nebenbei, verändert auch die Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung, das ist nicht nur ökologisch, sondern auch sozial notwendig."
Scholl: Exumweltminister Klaus Töpfer bei uns am vergangenen Dienstag im "Radiofeuilleton". Jetzt im Studio ist der Politologe Elmar Altvater. Guten Tag!
Elmar Altvater: Guten Tag!
Scholl: Ja, Herr Altvater, Bürgerpflicht zum Konsum. Selbst SPD-Linke wie Andrea Nahles, sprechen sich für Konsumgutscheine aus. Momentan scheint alle Kritik am Konsum, wie wir sie über Jahrzehnte von der Linken hörten und gelernt haben, ausgehebelt und perdu. Sehen Sie das auch so?
Altvater: Nicht ganz. Erstens, die Bürgerpflicht zum Konsum würden ja viele Menschen ganz gerne wahrnehmen, wenn sie denn könnten. Mit Hartz-IV-Einkommen kann man gar nicht viel konsumieren. Die fallen also aus. Wenn man nun einige Konsumgutscheine austeilen würde oder aber wenn man die zurückzuzahlende Pendlerpauschale dazu vorsieht, dass die Leute dann doch gefälligst konsumieren sollten, dann ist das eigentlich nur ein Aufschrei der Hilflosigkeit, weil man nicht in der Lage ist, gescheite Konjunkturprogramme aufzulegen.
Scholl: Sie haben in Ihren Arbeiten der 70er und 80er Jahre die Anfälligkeit in der Mechanik des kapitalistischen Marktsystems immer wieder betont. Kapitalismuskritik paarte sich damals mit Konsumkritik gegen den Warencharakter der Gesellschaft. Wie würden Sie diese Kritik unter den heutigen Bedingungen neu formulieren? Geht das überhaupt?
Altvater: Diese Kritik war damals richtig und sie ist auch heute richtig. Denn tatsächlich werden die Dinge, die wir produzieren, als Waren auf den Markt geworfen und müssen konsumiert werden, sodass tatsächlich so eine Art Konsumzwang besteht. Das Problem besteht nun aber darin, dass auch Waren auf den Markt geworfen werden, für die ein Konsumzwang ausgeübt wird, der außerordentlich nachteilig ist, sowohl für die Konsumenten, weil sie damit nicht glücklich werden, was sie denn da konsumieren, als auch für die Produzenten, weil sehr viel Unfug angestellt wird, sehr viel auch ökologisch sehr schädliche Produktion auf diese Weise auf den Markt kommt. Mit anderen Worten, wenn man denn die Konsumkritik mit der Kritik an der Produktionsweise verbindet, ist sie so aktuell, heute genauso wie vor 30, 40 Jahren.
Scholl: Nun haben Gelehrte wie Sie und auch die Experten vom Club of Rome, etwa die ökologische Bewegung, uns eigentlich doch zu ganz guten, kritischen Konsumenten erzogen, wenn man so will. Wir prüfen die Produkte, wir fördern Fair Trade. Wenn Firmen kleine Kinder für sich schuften lassen, dann schreit die Öffentlichkeit auf. Selbst McDonald's wirbt mit einem Ökobauer. Insofern hat die traditionelle Konsumkritik doch ganz gut gewirkt?
Altvater: Das ist vollkommen richtig. Man muss tatsächlich sagen, dass vieles, was 1968 gewissermaßen revolutionär gewesen ist, jedenfalls nicht so ganz in die Landschaft hineinpasste, inzwischen weit aufgegriffen wird und von vielen anderen Menschen auch vertreten wird, selbst von den Politikern. Insofern kann man sagen, hat es gewirkt.
Das große Problem besteht allerdings darin, erstens, dass die Ungleichheit der Konsummöglichkeiten heute viel mehr ausgeprägt ist als noch vor 30, 40 Jahren. Sowohl in der Welt insgesamt, die Ungleichheit ist angewachsen, das sagen alle UN-Organisationen, als auch in jeder einzelnen Gesellschaft, auch hierzulande, die Ungleichheit ist größer. Die einen können sich sehr viel leisten, die können auch genau hingucken, was sie denn da konsumieren und andere, die haben gar keine Gelegenheit dazu. Die gehen zu Aldi oder zu Lidl, zu den Discountern und holen sich das, was am billigsten ist. Das ist manchmal auch ökologisch in Ordnung, aber nicht immer.
Scholl: Konsumkritik in Zeiten der Rezession. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Politologe Elmar Altvater. Frühere Kampfbegriffe, Herr Altvater, waren so "Konsumrausch", von "Konsumterror" hat man gesprochen. Damit griff man auch das Wesen des Systems natürlich an. Ich meine, realistische Alternativen haben sich nie ergeben, die sozialistische Planwirtschaft war eine Wirtschaft des Mangels und hat die Menschen letzten Endes nur noch konsumorientierter gemacht. Was sagen Sie denn einem Menschen heute, der ganz wild auf den neuesten Flachbildfernseher ist? Ich meine, sind wir so tief im Konsumismus auch verstrickt, dass wir uns nur ganz schwer daraus lösen können?
Altvater: Ich würde demjenigen, die sich das leisten kann, durchaus nicht abraten, einen Flachbildschirm zu kaufen. Warum sollte ich das tun? Die sind ja auch sinnvoll zum Teil. Wir müssen uns davon verabschieden, dass jede Ware, weil sie Ware ist, schon für sich zu verteufeln ist, ein Negativum darstellt, etwas ist, was man möglichst bald abschaffen sollte. Es wäre natürlich sehr sinnvoll, wenn man genauer hinschaut, was für Produkte wir denn eigentlich herstellen, welchen Gebrauchswert sie haben. Das heißt auch, welche Bedürfnisse sie eigentlich befriedigen und welche Bedürfnisse sie gar nicht befriedigen können.
Uns wird ja weisgemacht, dass mit vielen Waren wir ganz glückliche Menschen werden können und was herauskommt, sind sehr häufig sehr unglückliche Konsumenten, gerade wenn sie sehr viel konsumieren. Dieser Zusammenhang, der zwischen Konsum und Glücksgefühlen und Bedürfnisbefriedigung, der existiert heute so wenig, wie er früher existiert hat, heute ist er vielleicht noch weniger hergestellt, weil viel mehr verdeckt wird durch die Propaganda, durch die Werbung, auch durch die Art und Weise, wie die Produkte gestaltet sind.
Scholl: Was denkt ein Kapitalismusforscher wie Sie, wenn er heute Nachrichten hört und die Dinge von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise hört? Was sind für Sie die entscheidenden Punkte? Wie würden Sie diese Lage beschreiben?
Altvater: Dass eine Finanzkrise ausgebrochen ist, hat mich nicht überrascht, hat viele andere auch nicht überrascht, denn man konnte sie voraussehen. Dass sie so tief und so wirksam ist, das war nicht zu prognostizieren. Und wann sie genau eintritt und wo sie ausgelöst wird, das war auch relativ schwer zu zeigen, obwohl jeder auch wusste, dass der amerikanische Hypothekensektor höchst krisenhaft ist und man sich deswegen auch wunderte, warum so viele Banken auch aus der Bundesrepublik Deutschland, zumal Landesbanken, die es gar nicht nötig hätten, da eingestiegen sind.
Da muss die Lust auf Rendite alle anderen Gedanken übertüncht haben und jede Rationalität aus dem System entfernt haben, jedenfalls gesamtwirtschaftliche Rationalität. Jeder einzelne Unternehmer wird für sich sagen, ja, ich wollte ja nur die höchste Rendite haben. Die anderen machen das ja genauso, ich bin dazu gezwungen, sonst laufen mir meine Aktionäre weg. Also tut er es so und fühlt sich dabei sehr rational. Das System insgesamt ist irrational. Und diese Kritik, die ist überhaupt nicht neu.
Da kann man sich auch gar nicht gut fühlen, wenn man sagt, ich habe Recht gehabt. Denn es bedeutet ja auch einiges und viel Elend für viele Menschen. In der Dritten Welt wird die Armut zunehmen, das kann man jetzt schon abschätzen. Und die UNO sagt es ja auch, bei uns wird auch die Armut zunehmen. Die Leute, die arbeitslos werden, leben nicht besser, nur deshalb, weil sie arbeitslos sind, auch weniger konsumieren können. Ganz im Gegenteil. Glücklich wird niemand damit, wenn man sagt, ja, ich habe es ja irgendwie schon gewusst und warum haben die nicht auf mich gehört.
Scholl: Nun spricht man auch in der Politik gern von den Chancen dieser Krise, das heißt, es könnte sich jetzt durch das neue kritische Bewusstsein der Zusammenhänge etwas verändern. Ist es nur politische Rhetorik in Ihren Ohren, oder gäbe es wirklich Chancen, einen besseren Kapitalismus zu schaffen?
Altvater: Einen besseren nicht, aber dass die Krise zum Untergang dieses Kapitalismus führt, wage ich auch zu bezweifeln. Es gibt ja die schöne These, oder vielleicht ist sie gar nicht schön, von dem Nationalökonomen Joseph Schumpeter, der von schöpferischer Zerstörung spricht. Die Krise ist zerstörerisch, aber gleichzeitig wird etwas Neues in dieser Krise geschaffen. Und auch bei Marx findet man die Aussage, dass die Krise wie ein Jungbrunnen wirkt. Nur fügt er hinzu, was ist das eigentlich für ein System, dass dieser heftigen Krisen und all des Elends bedarf, das in der Krise ausgelöst wird, um sich erneuern und stabilisieren zu können. Er hat das also systemkritisch interpretiert, ganz im Gegensatz zu Schumpeter.
Aber dennoch muss man daraus schon die Schlussfolgerung ziehen, dass die Krise nicht unbedingt das Ende dieses Kapitalismus bedeutet. Freilich haben wir es ja nicht nur mit einer Krise zu tun, nicht nur mit der Finanzkrise, nicht nur mit Konsumkrise. Wir haben es auch zu tun mit einer Nahrungsmittelkrise, zu wenig Konsum für viele Menschen, die können sich die Grundnahrungsmittel nicht leisten. Wir haben es mit der Klimakrise, mit einer Energiekrise zu tun und da sind schon ganz andere Folgen für die kapitalistische Entwicklung angelegt als in der bloßen Finanzkrise. In der Finanzkrise erleidet man Verluste. Aber in einer Klimakrise, in einer ökologischen Krise geht viel kaputt, gehen Arten zugrunde und die kommen nicht wieder.
Klaus Töpfer: "Das ist ja beeindruckend, man fragt ja gar nicht mehr, welchen Konsum braucht wer, sondern muss konsumieren. Das ist ja fast so etwas wie eine Bürgerpflicht zum Konsum. Als ich aufwuchs, war es noch ein sehr beherzigter Grundsatz, spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Das heißt, Sparen war das Positive. Heute wird man ja mit Angstsparen konfrontiert. Natürlich brauchen viele Menschen bei uns auch in der Bundesrepublik Deutschland Möglichkeiten, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, dort Chancen zu schaffen für diejenigen, die noch wirklich dringlich etwas brauchen für ihre Kinder, für sich selbst in der Ernährung, in der Bekleidung, in der Ausstattung ihrer Wohnungen. Das ist sicherlich richtig. Und das, nebenbei, verändert auch die Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung, das ist nicht nur ökologisch, sondern auch sozial notwendig."
Scholl: Exumweltminister Klaus Töpfer bei uns am vergangenen Dienstag im "Radiofeuilleton". Jetzt im Studio ist der Politologe Elmar Altvater. Guten Tag!
Elmar Altvater: Guten Tag!
Scholl: Ja, Herr Altvater, Bürgerpflicht zum Konsum. Selbst SPD-Linke wie Andrea Nahles, sprechen sich für Konsumgutscheine aus. Momentan scheint alle Kritik am Konsum, wie wir sie über Jahrzehnte von der Linken hörten und gelernt haben, ausgehebelt und perdu. Sehen Sie das auch so?
Altvater: Nicht ganz. Erstens, die Bürgerpflicht zum Konsum würden ja viele Menschen ganz gerne wahrnehmen, wenn sie denn könnten. Mit Hartz-IV-Einkommen kann man gar nicht viel konsumieren. Die fallen also aus. Wenn man nun einige Konsumgutscheine austeilen würde oder aber wenn man die zurückzuzahlende Pendlerpauschale dazu vorsieht, dass die Leute dann doch gefälligst konsumieren sollten, dann ist das eigentlich nur ein Aufschrei der Hilflosigkeit, weil man nicht in der Lage ist, gescheite Konjunkturprogramme aufzulegen.
Scholl: Sie haben in Ihren Arbeiten der 70er und 80er Jahre die Anfälligkeit in der Mechanik des kapitalistischen Marktsystems immer wieder betont. Kapitalismuskritik paarte sich damals mit Konsumkritik gegen den Warencharakter der Gesellschaft. Wie würden Sie diese Kritik unter den heutigen Bedingungen neu formulieren? Geht das überhaupt?
Altvater: Diese Kritik war damals richtig und sie ist auch heute richtig. Denn tatsächlich werden die Dinge, die wir produzieren, als Waren auf den Markt geworfen und müssen konsumiert werden, sodass tatsächlich so eine Art Konsumzwang besteht. Das Problem besteht nun aber darin, dass auch Waren auf den Markt geworfen werden, für die ein Konsumzwang ausgeübt wird, der außerordentlich nachteilig ist, sowohl für die Konsumenten, weil sie damit nicht glücklich werden, was sie denn da konsumieren, als auch für die Produzenten, weil sehr viel Unfug angestellt wird, sehr viel auch ökologisch sehr schädliche Produktion auf diese Weise auf den Markt kommt. Mit anderen Worten, wenn man denn die Konsumkritik mit der Kritik an der Produktionsweise verbindet, ist sie so aktuell, heute genauso wie vor 30, 40 Jahren.
Scholl: Nun haben Gelehrte wie Sie und auch die Experten vom Club of Rome, etwa die ökologische Bewegung, uns eigentlich doch zu ganz guten, kritischen Konsumenten erzogen, wenn man so will. Wir prüfen die Produkte, wir fördern Fair Trade. Wenn Firmen kleine Kinder für sich schuften lassen, dann schreit die Öffentlichkeit auf. Selbst McDonald's wirbt mit einem Ökobauer. Insofern hat die traditionelle Konsumkritik doch ganz gut gewirkt?
Altvater: Das ist vollkommen richtig. Man muss tatsächlich sagen, dass vieles, was 1968 gewissermaßen revolutionär gewesen ist, jedenfalls nicht so ganz in die Landschaft hineinpasste, inzwischen weit aufgegriffen wird und von vielen anderen Menschen auch vertreten wird, selbst von den Politikern. Insofern kann man sagen, hat es gewirkt.
Das große Problem besteht allerdings darin, erstens, dass die Ungleichheit der Konsummöglichkeiten heute viel mehr ausgeprägt ist als noch vor 30, 40 Jahren. Sowohl in der Welt insgesamt, die Ungleichheit ist angewachsen, das sagen alle UN-Organisationen, als auch in jeder einzelnen Gesellschaft, auch hierzulande, die Ungleichheit ist größer. Die einen können sich sehr viel leisten, die können auch genau hingucken, was sie denn da konsumieren und andere, die haben gar keine Gelegenheit dazu. Die gehen zu Aldi oder zu Lidl, zu den Discountern und holen sich das, was am billigsten ist. Das ist manchmal auch ökologisch in Ordnung, aber nicht immer.
Scholl: Konsumkritik in Zeiten der Rezession. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Politologe Elmar Altvater. Frühere Kampfbegriffe, Herr Altvater, waren so "Konsumrausch", von "Konsumterror" hat man gesprochen. Damit griff man auch das Wesen des Systems natürlich an. Ich meine, realistische Alternativen haben sich nie ergeben, die sozialistische Planwirtschaft war eine Wirtschaft des Mangels und hat die Menschen letzten Endes nur noch konsumorientierter gemacht. Was sagen Sie denn einem Menschen heute, der ganz wild auf den neuesten Flachbildfernseher ist? Ich meine, sind wir so tief im Konsumismus auch verstrickt, dass wir uns nur ganz schwer daraus lösen können?
Altvater: Ich würde demjenigen, die sich das leisten kann, durchaus nicht abraten, einen Flachbildschirm zu kaufen. Warum sollte ich das tun? Die sind ja auch sinnvoll zum Teil. Wir müssen uns davon verabschieden, dass jede Ware, weil sie Ware ist, schon für sich zu verteufeln ist, ein Negativum darstellt, etwas ist, was man möglichst bald abschaffen sollte. Es wäre natürlich sehr sinnvoll, wenn man genauer hinschaut, was für Produkte wir denn eigentlich herstellen, welchen Gebrauchswert sie haben. Das heißt auch, welche Bedürfnisse sie eigentlich befriedigen und welche Bedürfnisse sie gar nicht befriedigen können.
Uns wird ja weisgemacht, dass mit vielen Waren wir ganz glückliche Menschen werden können und was herauskommt, sind sehr häufig sehr unglückliche Konsumenten, gerade wenn sie sehr viel konsumieren. Dieser Zusammenhang, der zwischen Konsum und Glücksgefühlen und Bedürfnisbefriedigung, der existiert heute so wenig, wie er früher existiert hat, heute ist er vielleicht noch weniger hergestellt, weil viel mehr verdeckt wird durch die Propaganda, durch die Werbung, auch durch die Art und Weise, wie die Produkte gestaltet sind.
Scholl: Was denkt ein Kapitalismusforscher wie Sie, wenn er heute Nachrichten hört und die Dinge von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise hört? Was sind für Sie die entscheidenden Punkte? Wie würden Sie diese Lage beschreiben?
Altvater: Dass eine Finanzkrise ausgebrochen ist, hat mich nicht überrascht, hat viele andere auch nicht überrascht, denn man konnte sie voraussehen. Dass sie so tief und so wirksam ist, das war nicht zu prognostizieren. Und wann sie genau eintritt und wo sie ausgelöst wird, das war auch relativ schwer zu zeigen, obwohl jeder auch wusste, dass der amerikanische Hypothekensektor höchst krisenhaft ist und man sich deswegen auch wunderte, warum so viele Banken auch aus der Bundesrepublik Deutschland, zumal Landesbanken, die es gar nicht nötig hätten, da eingestiegen sind.
Da muss die Lust auf Rendite alle anderen Gedanken übertüncht haben und jede Rationalität aus dem System entfernt haben, jedenfalls gesamtwirtschaftliche Rationalität. Jeder einzelne Unternehmer wird für sich sagen, ja, ich wollte ja nur die höchste Rendite haben. Die anderen machen das ja genauso, ich bin dazu gezwungen, sonst laufen mir meine Aktionäre weg. Also tut er es so und fühlt sich dabei sehr rational. Das System insgesamt ist irrational. Und diese Kritik, die ist überhaupt nicht neu.
Da kann man sich auch gar nicht gut fühlen, wenn man sagt, ich habe Recht gehabt. Denn es bedeutet ja auch einiges und viel Elend für viele Menschen. In der Dritten Welt wird die Armut zunehmen, das kann man jetzt schon abschätzen. Und die UNO sagt es ja auch, bei uns wird auch die Armut zunehmen. Die Leute, die arbeitslos werden, leben nicht besser, nur deshalb, weil sie arbeitslos sind, auch weniger konsumieren können. Ganz im Gegenteil. Glücklich wird niemand damit, wenn man sagt, ja, ich habe es ja irgendwie schon gewusst und warum haben die nicht auf mich gehört.
Scholl: Nun spricht man auch in der Politik gern von den Chancen dieser Krise, das heißt, es könnte sich jetzt durch das neue kritische Bewusstsein der Zusammenhänge etwas verändern. Ist es nur politische Rhetorik in Ihren Ohren, oder gäbe es wirklich Chancen, einen besseren Kapitalismus zu schaffen?
Altvater: Einen besseren nicht, aber dass die Krise zum Untergang dieses Kapitalismus führt, wage ich auch zu bezweifeln. Es gibt ja die schöne These, oder vielleicht ist sie gar nicht schön, von dem Nationalökonomen Joseph Schumpeter, der von schöpferischer Zerstörung spricht. Die Krise ist zerstörerisch, aber gleichzeitig wird etwas Neues in dieser Krise geschaffen. Und auch bei Marx findet man die Aussage, dass die Krise wie ein Jungbrunnen wirkt. Nur fügt er hinzu, was ist das eigentlich für ein System, dass dieser heftigen Krisen und all des Elends bedarf, das in der Krise ausgelöst wird, um sich erneuern und stabilisieren zu können. Er hat das also systemkritisch interpretiert, ganz im Gegensatz zu Schumpeter.
Aber dennoch muss man daraus schon die Schlussfolgerung ziehen, dass die Krise nicht unbedingt das Ende dieses Kapitalismus bedeutet. Freilich haben wir es ja nicht nur mit einer Krise zu tun, nicht nur mit der Finanzkrise, nicht nur mit Konsumkrise. Wir haben es auch zu tun mit einer Nahrungsmittelkrise, zu wenig Konsum für viele Menschen, die können sich die Grundnahrungsmittel nicht leisten. Wir haben es mit der Klimakrise, mit einer Energiekrise zu tun und da sind schon ganz andere Folgen für die kapitalistische Entwicklung angelegt als in der bloßen Finanzkrise. In der Finanzkrise erleidet man Verluste. Aber in einer Klimakrise, in einer ökologischen Krise geht viel kaputt, gehen Arten zugrunde und die kommen nicht wieder.