Elmar Schenkel: "Unterwegs nach Xanadu. Begegnungen zwischen Ost und West"
S. Fischer Wissenschaft 2021
368 Seiten, 26 Euro
Ein Mosaik ostwestlicher Begegnungen
06:39 Minuten
Von Hesses "Siddharta" bis zu Tim und Struppi in der Mongolei: Elmar Schenkel legt ein materialreiches Panorama ostwestlicher Kulturtransfers vor und zeichnet deren Missverständnisse und Inspirationen nach. Die Form bleibt leider fragmentarisch.
Xanadu ist die westliche Bezeichnung für Shangdu, die 1369 zerstörte legendäre Sommerresidenz des Mongolen-Herrschers Kubla Khan. Seit S.T. Coleridges Gedicht Kubla Khan (1797) ist Xanadu die Chiffre einer Sehnsucht des Westens nach dem Anderen im Allgemeinen, dem Osten im Besonderen und nach Asien im Speziellen. Dieser Sehnsucht und den mit ihr verbundenen Projektionen, Vorurteilen, Begierden, aber auch Begegnungen, Inspirationen und Kulturtransfers geht Elmar Schenkel in "Unterwegs nach Xanadu" in drei großen Kapiteln nach: Indien – China – Japan.
Geprägt von Missverständnissen und Auslassungen
Die Fülle an Material, Geschichten, Anekdoten und handelnden Personen ist überbordend: Nietzsche, Schopenhauer, Rudolf Steiner, C.G. Jung und Hermann Hesse, die Beatles in Indien, Leibniz und China, Gandhis Briefe an Hitler, die Poststrukturalisten wahlweise in China oder in Japan, die Jesuiten in Peking, Tim und Struppi in der Mongolei, immer wieder auch die Nähe von Faschismus und Nationalismus zu den östlichen Kulturen oder dem, was man sich im Westen darunter gerade vorstellte: "Missverständnisse und Auslassungen, vorgefertigte Ansichten und Übertreibungen charakterisieren das Verhältnis der Kulturen untereinander", stellt Schenkel fest, da wurde "hineinprojiziert und hineingeträumt, verworfen, kritisiert, bewundert. Ein Traumreich tat sich auf, spätestens seit der Romantik."
Der immer wieder aufgerufene Bezug zur Romantik bleibt allerdings unscharf. Schenkel ist Anglist. Und die englische Kultur-, insbesondere Literaturgeschichte hat einen anderen, sehr viel weiter gefassten Romantik-Begriff als etwa die deutsche. So bleibt eine Behauptung, wie die, das frühe Bauhaus habe "romantische Wurzeln", ohne Erläuterung wie ein loser Faden in der Luft hängen. Das geschieht immer wieder. Schließlich handelt es sich nicht um einen durchkomponierten Text, der seine Thesen essayistisch entwickelt, sondern um eine Sammlung zahlreicher mehr oder weniger geschlossener Beobachtungen, als Mosaik zum Panorama arrangiert.
Fragmentarischer Essay oder anekdotisches Nachschlagewerk?
Nun gibt es, grob gesprochen, zwei Schulen kulturhistorischen Forschens: die eher analysierende und die eher sammelnde. Jede hat ihre literarische Form: essayistisch die eine, enzyklopädisch die andere. Und hier stößt Schenkel als Erzähler immer wieder an Grenzen: Stilistisch und in ihrem Geist dezidiert essayistisch angelegt, führt die Miniaturisierung der Kapitel zu einer eher enzyklopädischen Form, während Details wie die anekdotisch-essayistischen Überschriften und ein fehlendes Register es wiederum erschweren, das Buch enzyklopädisch zu lesen.
Dem Wunsch nach einer Überwindung des Fragmentarischen im Sinne einer essayistischen Gesamtschau ist denn wohl auch die überraschende Quintessenz geschuldet: "In den Begegnungen zwischen Indien und dem Westen sehen wir einen Fokus auf spirituelle Fragen … Bei der Darstellung zwischen China und dem Westen überwiegt das Interesse am Philosophieren … In Bezug auf Japan tritt ein ästhetisches Relief hervor: vom Japonismus bis zum Haiku." – Genau diese Art von schematisierenden Verallgemeinerungen hatte man sich während der Lektüre eigentlich gerade abgewöhnt.