Elsa Koester: "Couscous mit Zimt"
Frankfurter Verlagsanstalt 2020
448 Seiten, 24 Euro
Die unglaubliche Sehnsucht nach Heimat
09:43 Minuten
In ihrem Debütroman erzählt Elsa Koester von drei Frauen, deren Erinnerungen mit der Kolonialgeschichte von Tunesien verbunden sind. "Wenn es in der Gesellschaft große Gewalt gibt, zeigt sich das auch in den Familien", sagt die Berliner Journalistin.
Andrea Gerk: Drei außergewöhnliche Frauen aus verschiedenen Generationen: Lisa, Marie und Lucile. Das sind die Hauptfiguren aus Elsa Koesters Debütroman "Couscous mit Zimt". Ein Familien- und Frauenroman, aber vor allem auch ein sehr politisches Buch, das ein Stück französischer Kolonialgeschichte in die Gegenwart holt.
Die erste Figur, die im Roman erzählt, ist die Großmutter Lucile. Sie schimpft darüber, wie schrecklich es ist, als Frau Kinder zu bekommen. Und das hat sie ihre Tochter Marie, erfährt man bald, auch ständig spüren lassen. Beide sind sogenannte Pieds-Noirs ...
Elsa Koester: Das heißt übersetzt auf Deutsch "Schwarzfüße" – so werden Französinnen und Franzosen genannt, die Kolonialfamilien waren. Also die in Algerien, Marokko oder Tunesien gelebt haben und nach der Unabhängigkeit oder nach der Befreiung nach Frankreich zurückkehren mussten. Das ist in Frankreich ein etwas abfällig benutzter Begriff.
Man weiß nicht genau, wo er herkommt, es gibt zwei Erklärungsstränge. Der eine sagt: Weil die französischen Soldaten bei der Eroberung der Kolonien schwarze Stiefel trugen. Eine andere sagt: Das kommt von der Ernte und von den Trauben, die mit den Füßen gemantscht wurden. Und in unserer Familie wurde gesagt: Das kommt, weil wir uns dort die Füße verbrannt haben.
Mit Fremdheit umgehen
Andrea Gerk: Sie sagen "in unserer Familie" – das heißt, Sie haben auch diese Wurzeln?
Elsa Koester: Genau. Der Roman ist autobiografisch inspiriert. Meine Mutter ist in Tunesien aufgewachsen und mit 14 Jahren nach Frankreich gegangen. Es wird so gesagt "zurückgegangen", aber sehr viele – das thematisiere ich in dem Buch – sind gar nicht "zurückgekommen", sondern in Tunesien groß geworden. Die haben sich total fremd gefühlt in Frankreich, waren aber jetzt natürlich einfach Französinnen und mussten mit dieser Identität und dieser Fremdheit umgehen.
Andrea Gerk: Die Enkelin Lisa, die sich sehr stark politisch engagiert, hat auch etwas von Ihnen?
Elsa Koester: Die hat sicher auch etwas von mir. Ich habe autobiografisch angefangen und bin schnell an Grenzen gestoßen bei der Recherche: Wie war es nun wirklich? Es gab unterschiedliche Versionen in der Familie. Bestimmte Dinge konnte ich nicht rausfinden, und ich habe dann gemerkt, das muss ich vielleicht auch nicht. Das Wichtige ist, was sich erzählt wird und wie man sich erinnert, wie Erinnerung immer schon Fiktion ist, wie man die Beziehung sieht, die eigene Interpretation der Dinge.
Abgehärtet durch Geschichte
Andrea Gerk: Lucile, die Großmutter, geht irgendwann zurück nach Frankreich, wird uralt, lebt am Ende nur noch im Bett und liest die ganze Zeit. Sie ist zwar stark und faszinierend, aber auch irgendwie sehr böse zu ihren Töchtern. Kommt das auch aus dieser Kolonialismusgeschichte? Warum ist diese Frau so verbittert und böse?
Elsa Koester: Es war mir wichtig, in dem Roman wirklich zu zeigen, wie gesellschaftliche Entwicklungen und Brüche mit Familiengeschichten, mit Beziehungen verwoben sind. Wenn es in der Gesellschaft große Gewalt gibt – und die Kolonialgeschichte war in vielerlei Hinsicht eine Geschichte der Gewalt und der Unterdrückung –, dann zeigt sich das natürlich in den Beziehungen untereinander.
Eine Frau, die ein hartes Schicksal tragen musste – selbst als Kolonialherrin war es schwierig, die Familie nach Frankreich zurückzuholen und das Leben neu aufzubauen – die gibt es natürlich weiter. Und Menschen, die sich abhärten müssen durch ihre Geschichte, die sind auch hart – auch zu ihren Kindern. Es war mir wichtig zu zeigen, wie das politische Leben und das individuelle Leben und die Psyche sich gegenseitig bedingen und wie das ineinanderfließt.
Ein vererbtes Gefühl
Andrea Gerk: Sie zeigen auch, dass diese Frau nie wieder heimisch geworden ist in Frankreich. Tunesien bleibt der Sehnsuchtsort für diese "Heimkehrer".
Elsa Koester: Genau, und ich glaube, das vererbt sich. Das war auch meine Motivation, das Buch zu schreiben. Als ich nach langen Jahren das erste Mal wieder am Mittelmeer war und das Licht gesehen habe – die Gerüche, da habe ich eine unglaubliche Sehnsucht nach Heimat dort gespürt. Gleichzeitig war ich völlig verwirrt, weil ich habe da nie gelebt, und fand es auch ein illegitimes Gefühl, denn Französinnen und Franzosen haben sich diese Heimat illegitim angeeignet.
Diese Auseinandersetzung, die sehr widersprüchlich ist, war mir wichtig. Ich glaube, dass es in Deutschland eine vergleichbare Geschichte mit den Vertriebenen gibt. Das kennen viele Leute hier von ihren Großeltern, die erzählen, sie haben Sehnsucht nach ihrer Heimat und darüber möchte man nicht sprechen. Die Sehnsucht ist die eine Sache, aber natürlich steht außer Frage, dass irgendein Anspruch noch besteht.