Else Buschheuer: "Hier noch wer zu retten"
Heyne Verlag, München 2019
272 Seiten, 20 Euro
"Kaputt zurück, das ist mein Leben"
06:58 Minuten
Else Buschheuer will helfen. Jedenfalls ist ihr das an sich aufgefallen. Warum das so ist und was da genau in ihr passiert, beschreibt sie in ihrem neuen Buch "Hier noch wer zu retten". Sie erzählt, wie Leiderfahrungen ihren Hilfereflex prägten.
Frank Meyer: Jetzt spielen wir hier ein bisschen Bäumchen-wechsel-dich auf der Bühne. Else Buschheuer kommt jetzt an meine Seite. Gibt es für Sie so ein Buch des Lebens, das Sie geprägt hat?
Else Buschheuer: Ich habe gerade überlegt. Ja, das wären für mich "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" wegen vieler Stellen, die immer wieder lesbar sind. Das ist auch so ein Buch, wenn ich das über die Jahre immer wieder lese, erstaunlicherweise streiche ich mir dieselben Stellen an. Sonst sind es ja immer unterschiedliche Stellen. Unter anderem gibt es da zum ersten Mal die Erwähnung eines Tourette-Syndroms, ohne dass der Name genannt wird. Also der Held des Buches geht hinter einem Mann her, und dieser Mann stolpert an einer bestimmten Stelle auf der Straße, und der hält, erschrickt und denkt, oh, da liegt was, da muss ich aufpassen, und dann kommt er an die Stelle, aber da liegt gar nichts. Da erschrickt der Held wieder und denkt, oh, der Mann hat sich ja jetzt lächerlich gemacht, er ist gestolpert, ohne dass da was liegt, und stolpert aus Sympathie für diesen Mann dort auch. Das finde ich toll! Das finde ich richtig gut!
Verliehenes kommt immer wieder kaputt zurück
Meyer: Beschrieben von Rainer Maria Rilke in diesem Buch.
Buschheuer: Helfersyndrom übrigens, typisches Helfersyndrom.
Meyer: Genau, darum geht es in Ihrem neuen Buch. Hier steht es schon. Um Sie kurz vorzustellen: "Ruf! Mich! An!", Titel mit drei Ausrufezeichen, das war ja, glaube ich, Ihr erster Roman, mit dem Sie bekannt geworden sind.
Buschheuer: Ja.
Meyer: "Masserberg" war ein anderer, "Zungenküsse mit Hyänen" war ein anderer Roman. Sie haben mehrere Tagebücher veröffentlicht. Jetzt eben dieses Buch "Hier noch wer zu retten: Über die Liebe, den Tod und das Helfen", und es geht, wie gesagt, um das Helfersyndrom. Wie hat sich das denn gezeigt bei Ihnen?
Buschheuer: Bin hin- und hergerissen zu antworten und dem Fotografen die Seite ohne den Pickel zu zeigen.
Meyer: Ich würde antworten vorziehen!
Buschheuer: Ich habe als Kind, wenn mir jemand sagte: "Oh, das ist aber schön", habe ich gesagt: "Willst du haben?" Und zwar alles, was ich geschenkt gekriegt habe. Also das ist ein Zug davon. Ich hänge an nichts offenbar, was mir oft nachgetragen wurde von Menschen, die mir was schenkten, das ich dann weiterverschenkte. Ein anderes Indiz für Helfersyndrom, wenn Sie das bei sich feststellen, ich besitze ein Fahrrad, und das verleihe ich ab und zu spontan, und dann kriege ich es kaputt zurück, dann lasse ich es reparieren, und dann verleihe ich es wieder spontan, und dann kriege ich es kaputt zurück. Das ist mein Leben.
Meyer: Sie haben auch schon eine Schulung vor Jahren schon als Hospizhelferin gemacht, wo man ja auch Menschen bei einem besonders schweren Teil ihres Lebens hilft.
Beinahe wieder bei den 16-Jährigen gelandet
Buschheuer: Hier in Leipzig übrigens, 2007, die Ausbildung.
Meyer: In dem Buch erzählen Sie davon, dass Sie eine Ausbildung vielleicht als Altenpflegerin machen wollen, wobei Sie in dem Zusammenhang auch mal den Begriff der Hochzeitsschwindlerin gebrauchen, Ihr Verhältnis zur Altenpflege. Wie ernst war Ihnen das denn, Altenpflegerin zu werden?
Buschheuer: Nun, die Idee kam mir in einem Fastenhoch. In einem Fastenhoch hat man viele Ideen, man möchte Fremdsprachen lernen, die Weltformel finden und solche Sachen, die Welt retten, und dann habe ich mich wirklich diesem Ausbildungsmarkt ausgesetzt und habe gemerkt, alles, was mich ausmacht, das zählt da nicht. Ich bin da einfach nur eine Frau über 50 mit einer chronischen Augenkrankheit, der oft der Rücken weh tut und die in den Wechseljahren ist, aber was ich für Bücher geschrieben habe und was für coole Leute ich kenne, hat keine Sau interessiert. Und sowas fordert mich heraus, und dann wollte ich unbedingt dort auch bestehen. Das hat sich dann anders ergeben, weil mein Auge dazwischengefunkt hat. Sonst hätte ich möglicherweise wirklich drei Jahre mit 16-Jährigen die Schulbank gedrückt.
Meyer: Ihr Helfersyndrom hat sich trotzdem weiter in anderen Formen dann manifestiert. Sie haben darum gekämpft, es loszuwerden oder es irgendwie in den Griff zu kriegen, und zwar mit verschiedensten Leuten. Mit einer Sexualtherapeutin, mit allen möglichen Therapieformen. Was davon hat denn wirklich was gebracht?
Buschheuer: Ich muss leider gestehen, ich bin unheilbar. Ich bin unheilbar krank. Das hat nicht viel was gebracht, aber solche Übungen wie eine Woche lang mal nicht helfen und das aushalten sind ganz interessant. Also was mache ich dann, rechtfertige ich mich bei jedem, dem ich nicht helfe dafür und sage: "Das ist nur eine Übung, nächste Woche helfe ich wieder." Und auch eine eigenen Beziehungen mal anzugucken. Also offenbar will ich meine Partner auf Händen tragen, die wollen aber alleine laufen. Weiß ich nicht, wie das ausgeht. Das wird dann Teil zwei.
Beim Helfen auch immer autobiografische Züge
Meyer: Das Buch ist … Also es geht um diese Fragen, was ist mein Helfersyndrom, wie werde ich es los. Es ist aber auch so ein Gang durch Ihr Leben, bei der Kindheit angefangen, durch ganz viele Umbrüche in Ihrem Leben, und es gibt einen, auf den Sie immer wieder zurückkommen in Ihrem Buch, das ist der Suizid Ihres Mannes vor fünf Jahren. Welche Rolle spielt denn das Nachdenken über Ihren Mann, wenn Sie jetzt über das Helfen nachdenken?
Buschheuer: Ich zögere jetzt, weil ich nicht gewohnheitsmäßig über das Thema spreche, aber weil ich natürlich auch durch dieses Buch mich dem Thema literarisch zuwenden wollte und das auch verarbeiten wollte. Es ist doch beim Helfen so, dass ich konkrete biografische Bezüge habe. Also ich würde jetzt, wenn ich mich entscheiden müsste, soll ich einem Kind helfen oder einem Rollstuhlfahrer oder einem jungen Menschen, der im Leben steht oder einem alten Menschen, der nicht mehr so im Leben stehen will, dann würde ich mich immer für den Rollstuhlfahrer oder für den Menschen, der nicht mehr im Leben steht, entscheiden, einfach weil mir das vertraut ist und näher ist. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich eben auch bestimmte Leiderfahrungen schon vorher hatte. Die haben wir beide mit in unsere Beziehung gebracht, und das war auch von Anfang an klar, dass er diesen Todeswunsch hat.
Meyer: Darum geht es in dem Buch von Else Buschheuer, "Hier noch wer zu retten". Sehr eindringliches Buch, sehr energiegeladenes Buch. Ich habe das mit großem Gewinn gelesen. Im Heyne Verlag ist das erschienen. Vielen Dank, dass Sie da waren, Frau Buschheuer!
Buschheuer: Sehr gerne! Danke schön!
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