Else Lasker-Schüler

Barfuß das Herz durch die Menge gehen lassen

Else Lasker-Schüler auf einer Porträtaufnahme im Jahr 1932
Die Dichterin Else Lasker-Schüler wurde am 11. Februar 1869 in Elberfeld geboren. © dpa / akg-images
Von Christian Linder |
"Die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte", sagte Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler. Sie bewegte sich wie eine Märchenfigur durch Berlin und fiel mit ihrer exzentrischen Erscheinung auf. Vor 150 Jahren wurde die Dichterin geboren.
Zum Glanz Else Lasker-Schülers gehörten ihre Geheimnisse: "Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich."
Als Else Lasker-Schüler diese Selbstbiografie erfand, hatte sie schon begonnen, Briefe mit "Prinz Jussuf von Ägypten" oder "Der schwarze Schwan" zu unterzeichnen.
"Styx" hieß ihr 1902 erschienener erster, "Der siebente Tag" ihr 1905 herausgekommener zweiter Gedichtband, aus dem Paul Hindemith später das Gedicht "Traum" vertonte - Schreiben als Balanceakt, sich zu entblößen und gleichzeitig Geheimnisse nicht zu verraten.
"Dein sünd'ger Mund ist meine Totengruft, / Betäubend ist sein süßer Atemduft, / Denn meine Tugenden entschliefen. Ich trinke sinnberauscht aus seiner Quelle / Und sinke willenlos in ihre Tiefen."

Schön und voller Sinnlichkeit

Solch herausfordernder Ton fiel im Berlin der frühen Jahre nach 1900 natürlich auf. Hinzu kam der Glimmer einer Frau, die alle Blicke auf sich zog, wenn sie zum Beispiel im "Café des Westens" erschien. Der Schriftsteller Wieland Herzfelde hat einen ihrer Auftritte festgehalten:
"Sie hatte ein blaues Seidengewand an, silberne Schuhe, (auch) die Haare wie Seide, tiefschwarz. Was so überraschte: Jussuf war ganz Weib, schön, voller Sinnlichkeit".
Geboren wurde "Prinz Jussuf" als Elisabeth Schüler, Tochter eines jüdischen Bankiers, nicht in Theben, sondern tatsächlich in Wuppertal-Elberfeld, am 11. Februar 1869.
Eine erste Ehe mit dem Berliner Arzt Berthold Lasker scheiterte ebenso wie die zweite mit Herwarth Walden, dem Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm". Nach der letzten Scheidung 1912 wohnte sie - bis zuletzt - in wechselnden Pensionen und Hotels.
Eines ihrer Zimmer konnte Gottfried Benn beschreiben: "Vollgestopft mit Spielzeug, Puppen, Tieren, lauter Krimskrams."

"Es pocht eine Sehnsucht"

Sie sterbe am Leben und atme im Bild wieder auf, begründete sie ihre unentwegte Arbeit.
"Es ist ein Weinen in der Welt, / Als ob der liebe Gott gestorben wär, / Und der bleierne Schatten, der niederfällt, / Lastet grabesschwer."
Manchmal zeichnete sie auch, bis sie wieder zu schreiben anfing, neben den Gedichten ebenso Erzählungen und das 1918 uraufgeführte Theaterstück "Die Wupper", ein Rückblick auf ihre Herkunft und das Erlebnis der verschiedenen sozialen Klassen in Elberfeld.
Else Lasker-Schüler auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975.
Else Lasker-Schüler auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost über 50 Pfennig aus dem Jahre 1975.© imago / Schöning
"Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, an der wir sterben müssen."
Die Sehnsucht aufrechtzuerhalten, alles, was ihr in der Welt begegnete, sich anzueignen und – nach einem Buchtitel von 1911 – in eines ihrer "Wunder" zu verwandeln, fiel ihr immer schwerer.

Emigration nach Palästina

1928 starb ihr 22-jähriger Sohn Paul an Tuberkulose. 1933, nach Machtantritt der Nationalsozialisten, geriet sie selbst als Jüdin in Lebensgefahr und emigrierte zunächst in die Schweiz, später nach Palästina. Da war aus dem glitzernden Mädchen, das "ewig vierzehnjährig" sein wollte, eine durch psychische Zerrüttung gespenstisch gezeichnete alte Frau geworden, die verstört durch die Straßen von Jerusalem lief.
"Ich glaube, so hat Niemand barfuß sein Herz durch die Menge gehen lassen wie ich."
Manchmal schrieb sie noch, und 1943 konnte in einer Auflage von 330 Exemplaren in Jerusalem ein letzter Gedichtband erscheinen: "Mein blaues Klavier".
"An meine Freunde. Nicht die tote Ruhe – / Bin nach einer stillen Nacht schon ausgeruht. / Oh, ich atme Geschlafenes aus, / Den Mond noch wiegend / Zwischen meinen Lippen."
Sieben Jahre nach ihrem Tod im Januar 1945 im Alter von 76 Jahren – sie wurde am Fuße des Ölbergs begraben – widmete Gottfried Benn ihr 1952 ein Epitaph und zog den Ton hoch: "die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte. Ihre Sprache war ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch. Darin vermochte sie ihre leidenschaftlichen Gefühle auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu entschleiern und zu vergeben, das ihr Wesen war."
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