Eltern, entspannt euch!

Von Simone Schmollack |
Zu viel elterliche Behütung macht Kinder unselbstständig, meint die Journalistin Simone Schmollack. Auch in der Schule wollten Eltern heutzutage alles mitbestimmen. Doch Schmollack mahnt: Die Schule hat einen klaren Bildungs- und Erziehungsauftrag.
Sollen Kinder kürzer oder länger in die Schule gehen? Momentan weiß das offenbar niemand so richtig. Was mal klar geregelt war, unterliegt gerade stark dem Zeitgeist. Mittlerweile mischen sogar Eltern kräftig mit in der Debatte. Werden Kinder besser mit fünf, sechs oder sieben Jahren eingeschult? Sollte der Unterricht morgens um acht Uhr oder erst um neun Uhr beginnen. Und wie viele Jahre darf es bis zum Abitur dauern - zwölf oder 13?

Manche Eltern scheinen sich da einig zu sein - und lassen ihre Kinder ein Jahr länger in der Kita. Die Mäuse sollen mal lieber noch ein bisschen spielen! Wenn die Kleinen dann in der Schule sind, wird bald über mächtigen Druck geklagt, unter dem ihr Nachwuchs steht: Unterricht, Hausaufgaben, Nachhilfe, das sei alles zu viel.

Zuweilen litten Mädchen und Jungen bereits an Überlastungssyndromen. Da klingt die Forderung, zu 13 Jahren Schulzeit bis zum Abitur zurückzukehren, nur folgerichtig. Schule, meint man aus den Worten der besorgten Mütter und Väter herauszuhören, sei heute einzig ein Ort des Grauens, eine Einrichtung, die kleine Burn-out-Monster produziert.

Aber ist das tatsächlich so? Argumentieren diese überkritischen Eltern nicht eher aus einem Anspruch heraus, den Schule niemals erfüllen kann? Werden sie nicht allein deswegen panisch, weil sie zu einer Rund-um-Fürsorge neigen und danach drängen, die Kinder bis in den letzten Winkel ihres Alltags zu kontrollieren?

Eltern wollen alles mitbestimmen, aber vieles nicht mehr machen
Diese sogenannten Helikopter-Eltern neigen mitunter zu fragwürdigen Verhaltensweisen. Väter empfinden ihre achtjährigen Töchter als zu klein für eine Woche Sommerferienlager ohne Mutti oder Vati und fahren deshalb gleich mal als Betreuer mit. Mütter tragen ihren zwölfjährigen Söhnen die Schultasche bis ins Klassenzimmer. Und wenn das Kind in der Mathearbeit eine Vier schreibt, war es nicht etwa unwissend, sondern die Aufgabe zu schwer.

Sieht so eine allseitige Persönlichkeitsbildung aus, die Eltern zu Recht erwarten und die Schule selbstverständlich zu erfüllen hat? Eine Erziehung zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortung? Im Diskurs, was Schule leisten soll und kann, und welche Rolle Eltern dabei spielen, gibt es mittlerweile eine Schieflage: Schule soll alles können, aber nicht alles dürfen. Eltern wollen alles mitbestimmen, aber vieles nicht mehr machen.

Oder zugespitzt formuliert: An der Schulpforte geben Mütter und Väter nicht nur ihre Kinder ab, sondern auch die Verantwortung für ihren Nachwuchs. Gleichzeitig schreiben sie den Lehrern gern vor, was sie tun dürfen und was nicht, wie streng oder sanft sie sein sollen, und welche Hausaufgaben angemessen sind.

Schule hat ganz klar einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Nicht wenige Eltern vergessen darüber allerdings, dass nicht zuvorderst die Schule dafür zuständig ist, wie sich ihre Kinder entwickeln, sondern die Erziehungsberechtigten selbst. Viele Schulabgänger fühlen sich desorientiert und können die Vokabel "Eigenverantwortung" zwar buchstabieren, aber kaum mit Inhalt füllen. Wer ist daran schuld? Eine Schule, die fördert und fordert? Oder Eltern, die pampern und behüten?

Viele 17-Jährige, die jetzt Physik oder Kunstgeschichte studieren, beschäftigt in diesen Tagen weniger die Frage, ob die zwölf Jahre auf der Schulbank für sie zu stressig waren. Sie haben ein anderes, ein ganz praktisches Problem: Sie können den Mietvertrag für ihr WG-Zimmer nicht selbst unterzeichnen. Und diejenigen mit belgischem oder spanischem Pass können ohne die Unterschrift der Eltern kein einziges Buch aus der Uni-Bibliothek ausleihen.

Da wollen die Jugendlichen endlich mal selbstständig sein - und dann lässt man sie wieder nicht. Doch gerade das liegt dann ausnahmsweise am Gesetzgeber.

Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Redakteurin bei der "Tageszeitung" in Berlin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin und Smolensk.
Simone Schmollack
Simone Schmollack© Dietl
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