Corona-Gefahr an Schulen
Testen und die Schulen offen halten: Diese Strategie gegen Corona halten manche Eltern für unzureichend und gründen Initiativen. © picture alliance / Fotostand / K. Schmitt
Eltern kämpfen für mehr Infektionsschutz
07:42 Minuten
Manche Eltern meinen, der Staat tue nicht genug in Sachen Infektionsschutz in Kitas und Schulen. Sie fühlen sich mit den Problemen der Corona-Pandemie alleingelassen. Die Folge: schwindendes Politikvertrauen.
„Ich möchte gern, dass meine Kinder geschützt sind, aber auch, dass die Freunde meiner Kinder und auch alle anderen Kinder geschützt sind“, sagt Cornelia Beeking. Sie hat gemeinsam mit anderen Eltern in Münster eintausend Luftfilter für Schulen durchgeboxt.
Auch Sabine Reißig aus Weimar setzt sich für mehr Infektionsschutz in Bildungseinrichtungen ein. „Uns geht es nicht darum, Schulen zu schließen“, sagt sie, „sondern Schulen müssen sicher sein. Wird das nicht gewährleistet, dann muss die Konsequenz gezogen werden.“
Dann müsse es Wechsel- oder Distanzunterricht geben. Reißig ist mit ihrer Initiative „Bildung aber sicher“ online aktiv – vor allem für Familien mit Vorerkrankten, die sich besonders dringend vor Corona schützen müssen.
Im Detail fordern die verschiedenen Elterngruppen Unterschiedliches. Das Vorsorgeprinzip „Vorsicht ist besser als Nachsicht – better safe than sorry“ aber eint alle. Und auch die Kritik, die Politik überhöre Infektionsschutz-Empfehlungen der Wissenschaft, nehme Long Covid nicht ausreichend ernst und schütze die Wirtschaft in der Pandemie besser als die Kinder.
„Die Lösung, die wir jetzt haben, ist: Wir nehmen billigend in Kauf, dass Kinder sich in der Schule infizieren und dann auch Infektionen mit nach Hause tragen“, sagt Cornelia Beeking. „Das heißt, es wird da fröhlich verteilt.“
Eltern im Selbstschutz-Modus
Infektionsschutz-Verfechter sind unter den Eltern eine Minderheit. Aber: Sie werden mehr. Ihre Zahl auf Twitter steigt, ebenso die Einträge in einem anonymen Online-Register für Schul- und Kitaverweigerer. Und Sabine Reißig berichtet: 5000 Off-Label-Termine habe ihre Initiative bereits an Kinder unter fünf vermittelt, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist. Und die Nachfrage reißt nicht ab.
Offenkundig gehen etliche Eltern mit ihren Kleinsten inzwischen in eine Art Selbstschutz-Modus. Darunter viele Vorerkrankte, aber auch Gesunde. Was die Politik in den vergangenen zwei Jahren hätte anders machen müssen? Vieles, findet Sabine Reißig.
„Die Maskenpflicht hätte konsequent beibehalten werden müssen. Luftfilter hätten eingebaut werden sollen in größerem Umfang. Der Schulweg hätte sicherer gestaltet werden müssen, mehr Einsatz von Schulbussen. Es bringt nichts, wenn man kleine Klassen einrichtet, und die Kinder mischen sich dann wieder in den Schulbussen.“
Angst vor Long Covid
Solche Kritik ist nicht völlig aus der Luft gegriffen: Viele Anliegen der Initiativen entsprechen dem, was die Wissenschaft empfiehlt. Manches aber geht darüber hinaus. Etwa Sabine Reißigs Forderung nach bundesweitem Distanzunterricht „für mindestens drei Wochen, damit die Schüler aus dieser Infektionsgefahr rauskommen! Kein Mensch weiß, was das für Konsequenzen für Kinder hat.“
Vor allem zu Long Covid bei Kindern weiß die Wissenschaft bisher wenig. Die Studienlage ist unklar. Dennoch entstehen bundesweit schon drei Spezialambulanzen für Kinder mit Long Covid. Zwar ist das individuelle Risiko für schwere Verläufe, Todesfälle oder die Covid19-Folgeerkrankung PIMS bei gesunden Kindern klein.
Bei den derzeitigen Rekord-Infektionszahlen wird es unterm Strich aber viele treffen, zumal die meisten Unter-Zwölfjährigen noch nicht geimpft sind. Vorsichtigen Eltern wie Cornelia Beeking ist jedes betroffene Kind eines zu viel. „Die Kinder müssen mit den Körpern, die sie jetzt haben, ihr Leben lang klar kommen“, meint sie.
Schulen möglichst offen halten
Und was tut die Politik in dieser Situation? "Es ist eine Lehre aus den vergangenen zwei Jahren, dass offene Schulen – und damit meine ich nicht Wechselunterricht, sondern offene Schulen – für Kinder und Jugendliche von enormer Bedeutung sind“, sagt Karin Prien, Kultusministerin der CDU in Schleswig-Holstein und Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Nicht nur als Ort der Bildung, sondern auch als Ort des sozialen Miteinanders, so Prien Ende Januar im Kieler Landtag.
Es sei eine Abwägung zwischen dem nötigen Maß an Schutz und dem höchstmöglichen Maß an Präsenz in den Klassenzimmern. „Es gibt im Moment einen internationalen Strategiewechsel: Schulen bleiben offen. Es gibt nur noch zwölf Länder in der Welt, die überhaupt Schulen schließen. Und ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Weg sind mit unserer Strategie.“
Die Strategie der Kultusministerinnen und Kultusminister – zugespitzt formuliert: Lieber einige wenige schwer kranke Kinder bei offenen Schulen als psychische Belastungen und Lernrückstände für alle bei geschlossenen Einrichtungen.
Desillusionierte Eltern
In Berlin ist Bruno Capra von der Initiative „Sichere Bildung jetzt“ einigermaßen desillusioniert. Er ist Erzieher und stellvertretender Kitaleiter. Seit Monaten organisiert er Mahnwachen und diskutiert mit Politikern. Dabei geht es um differenzierte Teststrategien und wissenschaftlich basierte Quarantäneregeln.
Oft fühle er sich, als rede er gegen eine Wand. „Ich habe gedacht: Wenn man mit den richtigen Argumenten kommt, kann man durchaus die Politik erreichen“, sagt er. „Inzwischen stehe ich auf dem Stand, wo ich denke: okay. Das reicht nicht. Offensichtlich reicht es nicht. Ich habe wirklich Vertrauen in die Politik verloren.“
Die Bremer Soziologin Sonja Bastin überraschen solche Aussagen nicht. Sie passen nämlich ins Bild. Ins große Ganze, gewissermaßen. Bastin hat eine Reihe Interviews ausgewertet, geführt im Februar, im Juni und im Dezember 2020 – mit Eltern und mit Kinderlosen.
Weniger Vertrauen in die Politik
"Wir sehen, dass Menschen mit Kindern gerade zum Dezember hin deutlich geringere Vertrauenszustimmung aufweisen als Menschen ohne Kinder im Haushalt“, bilanziert sie. „Gerade für Mütter beobachten wir zu sehr viel größeren Anteilen Zukunftssorgen als auch ein abnehmendes Vertrauen in die Bundespolitik."
Bastin erklärt das damit, dass die Pandemie Mütter stärker belaste als Väter. Weil sie in aller Regel für die Kinder verantwortlich sind bei geschlossenen Schulen und Kitas, einer Covid19-Erkrankung oder Quarantäne.
Schwindendes Politikvertrauen bei Eltern sieht Bastin als Alarmzeichen. Denn es könne auch bei den Kindern schon zu Politikverdrossenheit führen. Und dazu, „dass Menschen sich dagegen entscheiden, Kinder oder weitere Kinder zu bekommen, wenn sie befürchten, nicht ausreichend unterstützt zu werden – was dann langfristig demografische Herausforderungen wieder vergrößert“.
Ein lapidares Sorry, sagt Bastin, werde den Vertrauensverlust nicht heilen. Vielmehr müsse die Politik pandemie-gestresste Eltern kurzfristig konkret entlasten – etwa über Gutscheine für Haushaltshilfen.
Mittelfristig müsse der Erwerbsmarkt tiefgreifend umorganisiert werden, sodass Eltern beispielsweise Stunden im Job reduzieren dürfen, um sich um Kinder zu kümmern – bei vollem Lohnausgleich. Klingt nach einer Aufgabe, die Politik und Gesellschaft weit über die Pandemie hinaus beschäftigen dürfte.