Svenja Flaßpöhler, Florian Werner, "Zur Welt kommen – Elternschaft als philosophisches Abenteuer"
Blessing Verlag, 18. März 2019, 224 Seiten, 18 Euro
"Man hat zwei Herzen in sich"
13:25 Minuten
Philosophieren und Geburtshilfe - in der Antike galt das als Synonym. Philosophin Svenja Flaßpöhler und Autor Florian Werner haben ihr Leben als Elternpaar in einem Buch verarbeitet und beschreiben den Alltag mit Kindern als philosophisches Abenteuer.
Joachim Scholl: Ein Mensch kommt zur Welt. Was genau heißt das? Dieser Frage ist ein Berliner Eltern- und Ehepaar nachgegangen. Beide sind promovierte Akademiker mit vielen Büchern und Publikationen. Sie ist Philosophin, er Literaturwissenschaftler, auch im Programm von Deutschlandfunk Kultur sind sie geschätzte Autoren: Svenja Flaßpöhler und Florian Werner.
"Zur Welt kommen – Elternschaft als philosophisches Abenteuer", so heißt Ihr gemeinsames Buch, das jetzt erscheint, in drei Tagen ist es im Handel. Erzählen Sie doch mal, wie dieses Buch zur Welt kam. Ich vermute, ja, dass es vielleicht so lange Wurzeln hat, wie Ihre Älteste lebt, ihre älteste Tochter, die Ada, vor zehn Jahren ist sie geboren.
Flaßpöhler: Ja, also, es stimmt schon, dass im Grunde das Nachdenken natürlich darüber, was es heißt, in der heutigen Zeit Mutter und Vater zu sein, genau in dem Augenblick anfing, weil es ja tatsächlich so ist, dass zum einen die Geburt etwas völlig Neues in die Welt bringt. Man selbst verändert sich fundamental, rückt auf in die Mutter- und Vaterposition. Plötzlich ist da ein Kind zur Welt gekommen. Und die andere Frage, die uns aber natürlich auch beschäftigt hat, ist, inwiefern eigentlich das Kinderkriegen mit den höchsten Werten der Moderne bricht, also mit Autonomie, Selbstbestimmung und so weiter. Und diese Ambivalenz und diese Reibung, die beschäftigen uns tatsächlich seit über zehn Jahren.
"Eine längere Schwangerschaft ging der Kopfgeburt voran"
Scholl: Und da war schnell klar, dass Sie gemeinsam ein Buch darüber schreiben wollen?
Werner: Ganz so schnell nicht, das war, glaube ich, auch eine längere Schwangerschaft, die dieser Kopfgeburt vorausging. Klar, unsere Tochter ist jetzt zehn, gerade elf geworden, der Sohn ist vier. Konkret wurde die Idee dann, als Svenja eben mit unserem Sohn, mit dem zweiten Kind, schwanger war. Viele Ideen waren schon so im Raum, dann war es aber so, dass wir eben gemerkt haben so am Frühstückstisch oder Abendessentisch, dass es eben noch ganz andere Fragen gibt als: Macht man jetzt Bananenbrei oder doch eher Süßkartoffelmampf, sondern dass eben die von Svenja gerade schon angesprochenen sehr, sehr grundlegenden Fragen, was passiert da mit unserer Liebe, wie verändert das eine moderne, selbstbestimmte Existenz, wenn jetzt noch ein zweites Kind in die Welt tritt, uns umgetrieben haben. Und daraus kam dann dieses Buch.
Scholl: Diese zweite Hauptperson heißt Samuel, vor vier Jahren kam er zur Welt. Sein allererstes Wort soll "Papa" gewesen sein, schreiben Sie, Florian Werner, ganz stolz. Um dann allerdings noch auf der selben Buchseite von Ihrer Gattin eine verpasst zu bekommen: Stimmt nicht, schreibt sie kursiv, es war "Mama". Sind Sie sich da eigentlich jetzt einig?
Flaßpöhler: Erst mal sprechen Sie damit ja tatsächlich ein Moment an in diesem Buch, das vielleicht besonders ist, nämlich, dass wir tatsächlich dieses Buch aus zwei Perspektiven geschrieben haben, auch erkennbar. Also, dass tatsächlich die Stellen, die von Florian geschrieben sind, gekennzeichnet sind als tatsächlich von Florian stammend – und meine eben auch. Weil wir in der Tat der Tatsache, dass wir Vater und Mutter sind und somit in einer ganz anderen leiblichen Beziehung zum Kind stehen… dass das von Bedeutung ist. Und das wollen wir eben auch fruchtbar machen und die Konflikte, die daraus erwachsen, auch austragen.
Das erste Wort: Papa oder Mama?
Scholl: Und war es jetzt Mama oder Papa?
Werner: Die Frage wird sich niemals restlos klären lassen, da steht Wort gegen Wort. Und es ist natürlich so, dass gerade in diesen ersten Monaten der Elternschaft man doch unglaublich übermüdet ist, wenn dann nachts ein Kind schreit, es wirklich sehr unklar ist, hat der jetzt wirklich Mama oder Papa gesagt. Also, eins von beidem war es bestimmt, aber was, das werden wir nie erfahren.
Scholl: Aber vergessen wir nicht die Philosophie, es ist jetzt kein Elternratgeber oder zwei Eltern schreiben einfach, wie es so war, Kinder zu bekommen und Kinder zu haben, sondern es ist ein Themenkreis mit vielen psychischen wie physischen Aspekten, aber Sie stellen das eben auch immer in dezidiert philosophische Zusammenhänge. Wobei Sie aber gleich auch zugeben müssen, dass Philosophen, meistens sind es ja Männer, von Kindern und vom Kinderkriegen herzlich wenig Ahnung haben. Was ist da die Idee?
Flaßpöhler: Ja, das ist in der Tat eine wichtige Beobachtung. Und es ist sogar noch mehr oder noch schlimmer, kann man sagen. Wenn man zum Beispiel Nietzsches Genealogie der Moral zur Hand nimmt, dann kann man sehr schnell lesen, dass eigentlich ein verheirateter Denker ein großer Witz ist und ein noch größerer Witz ist eine Frau, die philosophiert. Und insofern ist natürlich unsere Konstellation, kann man fast sagen, aus nietzscheanischer Sicht revolutionär oder eigentlich eine Unmöglichkeit.
Gebären und Philosophie – in der Antike eine Einheit
Werner: Interessant ist ja auch, dass der Vorgang des Philosophierens und des Denkens und der Vorgang der Geburt eigentlich seit der Antike immer wieder zusammen gedacht wurden. Also, das geht eben schon ganz berühmt los mit Sokrates, der der Sohn einer Hebamme war und das auch immer wieder betont hat, meine Mutter war Hebamme, und das, was ich mache als Philosoph, das ist auch ein mäeutisches Philosophieren, also die Mäeutik, die Hebammenkunst, ich bringe nur so Gedanken hervor, mit denen mein Gegenüber schon schwanger geht.
Scholl: Aber genau dieses Kapitel, Herr Florian Werner, sage ich mal, ist insofern so drollig, weil Sie nämlich sagen, dann beschreiben Sie den Moment der Geburt Ihrer Tochter, wie Sie mit Svenja zusammen im Kreissaal sind, und Svenja brüllt und schreit, weil sie auch keine Medikamente nehmen will – da kommen wir gleich zu. Und dann sagen Sie, Florian, oder schreiben Sie, Herr Werner, dass Sokrates wirklich überhaupt keinen Schimmer hatte vom Gebären. Hebammenkunst, das ist reiner Kampf und Stress und Pein.
Werner: Ich habe das noch so vor Augen eben, dass die Hebamme sich wirklich so von oben auf den Bauch lehnte, um dieses Kind hinauszudrücken. Und ich dachte, wenn Sokrates das auch so gemacht hätte, er hätte nicht so im gefälligen Plaudern auf dem Athener Marktplatz philosophiert, sondern er hätte seine Gegner quasi… ihnen die Antworten rausgeprügelt. Das wäre wirklich Hebammenkunst beim Philosophieren gewesen.
Geburt ohne Schmerzmittel
Scholl: Und Sie haben tapfer es durchgestanden, ohne Medikamente – und auch das gehört ein bisschen zur Philosophie.
Flaßpöhler: Ja, ja, da geht es natürlich um die Bedeutung des Schmerzes, und es ist, dieses ganze Buch ist natürlich schon auch so ein Versuch der Introspektion oder sich vielleicht auch noch mal schreibend über bestimmte Fragen klarzuwerden. Und eben zum Beispiel, warum habe ich diese Medikamente so strikt abgelehnt habe – und das hat ganz viele Gründe, aber, wie dann eben am Ende dieses kleinen Kapitelchens steht, ist wohl der entscheidende, dass ich glaube, dass tatsächlich ja die Geburt eben auch für eine Trennung steht, die eigentlich verdammt hart ist.
Also, man hat ja die ganze Zeit zwei Herzen in sich, man ist quasi der Kugelmensch, das ist ja bei Platon die berühmte Figur des Kugelmenschen, der rundum glücklich ist, der sich allmächtig fühlt. Und dann die Geburt, die Trennung, plötzlich ist dieses kleine Wesen in der Welt, was natürlich wunderschön ist, aber es ist eben ambivalent. Und mit diesem Schmerz der Trennung klarzukommen, vielleicht braucht es dafür, oder brauche ich dafür diesen tiefen körperlichen Schmerz.
Scholl: Wir schwer war es eigentlich, ehrlich zu sein bei diesem Buch. Man schreibt ja auch über sich als Beziehung, als Liebespaar, auch über intimste und die innersten Regungen. Man schwindelt immer beim Schreiben, Sie wissen das als Schriftsteller, wie war das bei diesem Buch, Herr Werner?
Werner: Ich schwindel‘ eigentlich immer vor allem mich selber an beim Schreiben, indem ich mir vorstelle, das wird sowieso nachher niemand lesen. Wir sprechen jetzt ja auch gerade unter sechs Augen. Das ist so ein Trick, mit dem ich mir behelfe, erst mal das primär für mich, für meine Frau, für die Kinder natürlich auch, denen das Buch gewidmet ist, es zu schreiben und diesen Gedanken wegzuschieben, dass jemand tatsächlich die sehr persönlichen, intimen Gedanken, die ja auch drinstecken, dass das jemand lesen könnte.
Scholl: Ja, vor allem, weil auch der engste Leser ja nebendran sitzt.
Flaßpöhler: Ja, ich finde, das ist ja so beim biografischen Schreiben, und das machen wir ja beide auch ganz gerne, also, dass so die Gedanken, die man hat, irgendwie angebunden sind an das, was tatsächlich unser Leben auch ist oder ausmacht, dass es da ja so eine Art Spannung zu bewältigen gibt, nämlich einerseits schon ehrlich zu sein, aber gleichzeitig natürlich dann eben doch – und da würde ich es anders formulieren – den Leser als anderen wirklich immer auch mitzudenken, als dass man sich natürlich ständig fragt, ist das auch für jemanden, der uns nicht kennt, der unsere Kinder nicht kennt, der uns nicht kennt, ist das für den interessant. Und ich finde, das hilft eigentlich, so diese Balance ganz gut zu finden.
Und dann schreit der Kleine nachts nach Mama
Scholl: Kommen wir noch mal auf einen speziellen Papa-Mama-Komplex. Es ist ja bei Ihnen als Paar so, dass Sie, Frau Flaßpöhler, die regelmäßige Kohle nach Hause bringen, kann man sagen, als festangestellte Chefredakteurin des Philosophiemagazins. Lange Tage also im Büro. Heißt, dass Sie, Florian Werner, als freier Autor doch eine stärkere Hausmann-Rolle spielen. Gerade bei Samuel, dem Söhnchen, erzählen Sie, wie innig diese Beziehung geworden sei, tolles Kapitel übrigens, Florian Werner beim Babyschwimmen mit Samuel. Und trotzdem ruft der kleine Scheißer, wenn er nachts aufwacht, immer Mama. Ja sowas aber auch. Ist das dann doch die unverfälschte Biologie?
Werner: Es ist tatsächlich interessant. Wir sind natürlich beide als Philosophen, als Literaturwissenschaftler sehr stark mit der Dekonstruktion, dem Poststrukturalismus aufgewachsen selber, wo eine Grundannahme ist, dass alles erst mal textuell vermittelt ist. Also, es gibt keine prädiskursiven Fakten oder keine Natur, sehr problematischer Begriff, sondern alles kann man eigentlich nur durch Text erfassen. Und dann ist man eben doch als frischgebackener Vater oder natürlich auch Mutter extrem auf seine Biologie immer wieder zurückgeworfen, eben zum Beispiel nachts, wenn das Kind dann, obwohl man sich so viel mit ihm beschäftigt, nach der Mutter schreit oder einmal eben auch beim Schwimmen, als der Kleine plötzlich Durst bekam und tatsächlich bei mir andockte und versuchte, aus meiner Brust zu trinken, was mir sehr geschmeichelt hat, dass mein Sohn mir sowas auch zutraut, aber natürlich nicht zielführend war. Und da merkte ich dann, klar, da macht die Biologie sich doch sehr deutlich bemerkbar.
Scholl: Das war jetzt ein schönes Bespiel für Ihren Stil, bei einer solchen Geschichte die Philosophie ins Spiel zu bringen: So erledigt man den Poststrukturalismus. Zweites Moment wäre jetzt, Svenja Flaßpöhler, – aber auch interessant –, als moderne Eltern erziehen Sie Ihre Kinder natürlich selbstredend genderbewusst, egalitär, wollen Rollenklischees vermeiden. Und dann ist da aber doch die Tatsache, dass der kleine Samuel zu gern mit seinen Matchbox-Autos spielt und die Ada Pferde liebt. Was sagt denn da – also, der biologistische Wurzelsepp in mir grinst – was sagt die Philosophin?
Wird man durch das Kind ein anderes Paar?
Flaßpöhler: Sie haben ja eben gesagt, damit ist die Dekonstruktion erledigt. Ich finde ja immer noch den Gedanken der Dekonstruktion, zu sagen, wir müssen aufpassen mit Biologismen, weil das immer die Geschlechter zurückwirft auf ein sogenanntes Wesen, auf eine Natur, und dass das im Grunde der innerste Funktionsmechanismus von Sexismus ist und Misogynie, das finde ich nach wie vor einen wirklich interessanten und wichtigen Gedanken – und den wollen wir auch nicht plattmachen. Aber eben, durch genau diese Erfahrung, auf die Sie anspielen, wird eben doch klar, es gibt so etwas wie Leiblichkeit und wie leibliche Erfahrung. Und es gibt da eine Materie, mit der wir in irgendeiner Form zur Welt kommen. Und was wir in diesem Buch versuchen, ist tatsächlich, von dieser leiblichen Erfahrung aus zu schreiben und zu beschreiben, wie wir es erleben. Und ich glaube, dass uns diese, eben auch diese Differenz und diese Zweistimmigkeit, die wir in diesem Buch versuchen, dass das wirklich etwas ist, was wir uns wieder zurückerobern sollten, ohne dass man die Erkenntnisse preisgibt, die die Dekonstruktion natürlich auch mit sich gebracht hat.
Scholl:Wenn Sie es jetzt lesen Ihr Buch, was hat es Ihnen eigentlich, dieses philosophische Abenteuer, auch für Sie als Eltern gebracht? Sind Sie anders geworden, ein anderes Paar vielleicht auch?
Werner: Ich glaube schon, dass dieser Prozess der Selbstreflexion und natürlich auch des Zuhörens, dass der ein sehr wichtiger war. Also, ich habe selber noch viel Neues erfahren darüber, wie meine Frau uns als Paar sieht oder einen Blick auf die Kinder hat, weil man ja schon gezwungen ist, das sehr, sehr präzise aufzuschreiben. Und, wie Sie eben schon gesagt haben, es ist ja ein sehr dialogisches Buch, wir fallen uns ins Wort, wir widersprechen uns. Das passiert natürlich auch genauso am Küchentisch, aber jetzt hat man es hier wirklich schwarz auf weiß und kann es noch mal nachlesen und jetzt noch mal darüber streiten, und das war natürlich ein wichtiger Prozess.
Flaßpöhler: Ja, und ich glaube, eine Frage, über die wir uns am meisten eigentlich gestritten haben, das ist tatsächlich eine Frage, die noch mal diese Leiblichkeit auch in den Blick nimmt, weil man ja schon sagen kann, dass gerade jetzt in unserer modernen Welt, die wir sehr begrüßen, für die wir sehr dankbar sind, es aber dennoch, kann man sagen, es eine Art Übergewicht der Mutter leicht gibt, in dem Falle eben, dass man jetzt wie bei uns, ich habe die leibliche Verbindung zu den Kindern, ich habe sie in mir getragen, ich habe sie geboren, ich habe sie gestillt.
Mutterschaft ist unbezweifelbar, Vaterschaft ist bezweifelbar, deshalb gibt es Vaterschaftstests, das heißt, rein leiblich ist der Vater immer schon ein bisschen draußen. Und früher gab es eben die Möglichkeit zu sagen, ja gut, dann kriegt halt das Kind aber in Gottes Namen jetzt den väterlichen Namen, um das irgendwie aufzuwiegen. Darüber wird jetzt auch gestritten, plus, dass die Mutter wie jetzt in unserem Fall vielleicht auch die Hauptverdienerin ist, da gibt es eine ganz andere Unwucht, mit der wir umgehen müssen. Und wie geht man damit um? Darüber haben wir uns zwischendurch ziemlich gezofft.
Werner: Ja, bis heute eigentlich.
Scholl: Svenja Flaßpöhler, Florian Werner, vielen Dank, dass Sie bei uns waren.
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