Die Gewissensfrage
Auch für Spitzenpolitiker ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung. Viele nehmen keine Elternzeit aus Angst, ihre Position zu verlieren.
Seit fast einem halben Jahr ist Jan Philipp Albrecht Umweltminister in Kiel. Die letzten Monate waren anstrengend. Nicht nur wegen des neuen Jobs. Kurz vor Weihnachten machte Albrecht auch noch sein zweites juristisches Staatsexamen. Und: Er wurde zum zweiten Mal Vater. Albrecht: "Es ist in allen politischen Spitzenämtern unglaublich schwer, Familie und Job zu vereinbaren."
Rein äußerlich sind Albrecht diese Anstrengungen nur wenig anzumerken. Beim Interview im Kieler Landtag kommt der 36-jährige Lockenkopf im Ringelpulli auch heute recht locker rüber. Doch das Thema treibt den Grünen-Politiker um. Gerne würde Albrecht Elternzeit nehmen. Aber:
"Für mich war relativ klar, dass auch dadurch, dass ich dieses Amt gerade übernommen habe, natürlich es nicht unbedingt gut vermittelbar ist, wenn ich jetzt richtig in Elternzeit gehe. Trotzdem denkt man schon häufig darüber nach, wenn ich es denn machen wollen würde."
Der Wunsch nach mehr Diskussion
Und Albrecht würde eben gerne. Zumal sein Ministerium mit dem Thema bereits Erfahrung hat. Die damalige Staatssekretärin Ingrid Nestle legte eine einjährige Babypause ein. Auch der aktuelle Staatssekretär Tobias Goldschmidt ist gerade erst aus der Elternzeit zurückgekehrt.
Albrecht räumt offen ein, warum er den Schritt nicht macht: Er traut sich nicht. Aus Angst von der Wählerschaft abgestraft zu werden. Wäre er schon länger Minister in Kiel, hätte er sich vielleicht anders entschieden.
"Vielleicht hätte ich dann mehr Mumm gehabt, das tatsächlich für mich durchzudenken bis zum Schluss. Denn ich finde auch, in solchen Positionen sowie auch in allen anderen Jobs muss es den Menschen möglich gemacht werden."
Albrecht wünscht sich eine breitere Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für alle Berufsgruppen und Lebenssituationen. Aber eben auch für die Menschen in der Politik: "Wir sollten die Debatte zumindest führen, wie man so 'ne Zeitpolitik auch gestalten kann, damit Menschen, die auch aktiv Familienarbeit leisten, auch solche Positionen oder wichtige Jobs übernehmen können."
Doch natürlich weiß er: Wer in der Politik einen Spitzenposten auch nur für eine kurze Zeit verlässt, riskiert, dass die Position schnell in Frage gestellt werden kann.
Als Politiker Verantwortung übernehmen
Auch Daniel Günther weiß das. Wenige Wochen vor Albrecht ist auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident zum zweiten Mal Vater geworden. Doch eine Elternzeit stand für den CDU-Politiker nie zur Debatte.
Günther: "Weil ich glaube, als Ministerpräsident ist man für fünf Jahre jetzt gewählt und das ist ein Verantwortungsbereich, den man auch wahrzunehmen hat."
Längst gilt Daniel Günther als großer Hoffnungsträger bei der CDU, der vormacht, wie man ein Jamaika-Bündnis ziemlich geräuschlos führt. Gerne gibt sich der Chef der Koalition aus CDU, FDP und Grünen als Modernisierer. Könnte er als konservativer Politiker mit einer Elternzeit nicht ein Ausrufezeichen setzen?
Günther: "Ich hätte ein bisschen die Sorge gehabt, das kommt bestimmt einmal kurzzeitig gut an. Aber wenn man dann wirklich zwei Monate lang nicht da ist, im Land passiert irgendwas, es gibt Diskussionen, um die man sich eigentlich als Regierungschef kümmern müsste, wäre ein bisschen schwieriger gewesen. Und deswegen habe ich mir diese Frage nie richtig ernsthaft gestellt."
Hätte er einen anderen Job, würde er sich möglicherweise für eine Elternzeit entscheiden. Derzeit kümmere er sich verstärkt um seine ältere Tochter, bringe sie drei Mal in der Woche in den Spielkreis, sagt der 46-Jährige. Zudem halte er einen Tag für die Familie komplett frei. Er hat nicht das Gefühl, dass er beim Aufwachsen seiner Kinder gerade etwas verpasst.
Elternzeit als persönliche Entscheidung
Anders als sein Umweltminister Albrecht ist Daniel Günther auch Abgeordneter des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Für die gewählten Vertreter ist eine Elternzeit nicht vorgesehen. Wobei das nicht bedeutet, dass sie als frisch gebackene Mutter oder Vater nicht kürzer treten dürfen, denn die Abgeordneten haben keine festen Arbeitszeiten und sind nur ihrem Gewissen unterworfen. In Baden-Württemberg können sich die Parlamentarier mit Kind seit 2014 für maximal sechs Monate beurlauben lassen – bei vollen Bezügen.
Wie lassen sich Politik und Familienleben unter einen Hut bringen? Das sei eine Frage, die weiterhin viele belaste, so Günthers Eindruck. Er sei der Letzte, der einem Kabinettsmitglied den Wunsch nach Elternzeit widersprechen würde:
Günther: "Ich glaub' gar nicht, dass wir da neue Gesetze oder irgendwelche Formalitäten brauchen in diesem Bereich, sondern man muss es einfach leben und unterstützen, und das machen wir auch. Wir dürften ja rechtlich auch Elternzeit nehmen. Man muss eben nur politisch wissen: Will man das auch an der Stelle machen, will man das nicht machen. Und das ist ja auch eine persönliche Entscheidung, die ich auch niemandem außerhalb der Politik vorschreiben würde."