Brasiliens Musikszene kämpft ums Überleben
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Musiker in Brasilien sind doppelt hart betroffen: Wegen der Coronapandemie wurden ihre Konzerte abgesagt und mit Bolsonaro regiert ein Mann, der den Künstlern das Leben ziemlich schwer macht.
Mathias Mauersberger: Wir schauen heute nach Brasilien, ein Land mit einer reichen Musikszene. Das Land ist aber auch von der Coronapandemie besonders stark getroffen. Mehr als 100.000 Menschen sollen dort bereits an Covid-19 gestorben sein. Präsident Bolsonaro wird immer wieder vorgeworfen, viel zu spät reagiert zu haben. Erscheint unter diesen Umständen überhaupt noch viel Musik in Brasilien?
Thorsten Bednarz: Ja, allerdings kaum als Vinyl oder CD. Selbst fertige Alben werden immer wieder verschoben. Ein neues Album gibt es von Elza Soares. Die legendäre Sängerin ist inzwischen 90 Jahre alt und feierte mit ihren letzten Alben weltweit unglaubliche Erfolge. Dieses Album konnte ich in meinem Plattenladen schon im Februar bestellen. Im März sollte es geliefert werden und bis jetzt wird die Veröffentlichung immer und immer wieder verschoben.
Von Mateus Aleluia gibt es ein neues Album. Auch er ist ein älterer Sambista, der sich ganz auf die spirituelle Seite der afrobrasilianischen Musik spezialisiert hat. "Olorum" heißt sein neues Album.
Mauersberger: Gibt es auch einen Bezug zur aktuellen Situation?
Bednarz: Olorum ist der höchste Gott der afrobrasilianischen Yoruba-Götter, der Erschaffer des Lebens. Dieser darf nur im absoluten Notfall angerufen werden, weil man damit auch sein eigenes Leben riskieren kann. Das passiert gleich zu Anfang dieses neuen Albums, ein wichtiges Zeichen über den Zustand Brasiliens. Das verpackt Aleluia in einen Song, der darüber hinaus scheinbar völlig unpolitisch ist.
Mich erinnert das an die Situation in der Rockszene der damaligen DDR. Da wurden Wahrheiten in Bilder verpackt, an denen sich die politische Führung nicht reiben konnte. Trotzdem wusste jeder genau, was gemeint war.
Steuergesetze machen es Musikern schwer
Mauersberger: Wir haben hier schon oft über die Situation der Musikerinnen und Musiker in Deutschland und Europa gesprochen, die unter Corona und den Folgen besonders zu leiden haben. In Deutschland gibt es immerhin staatliche Hilfen. Brasiliens Präsident Bolsonaro ist nicht als liberaler, progressiver Geist bekannt. Wie überlebt die Musikszene unter diesen Bedingungen?
Bednarz: Ob und wie sie überleben werden wir erst in der Zukunft sehen. Auf der einen Seite gibt es ein großes musikalisches Potenzial und ein ausgeprägtes musikalisches Selbstbewusstsein. Das ist nicht so einfach zu negieren.
Wie in vielen Ländern sind alle Konzerte, Veranstaltungen und Konferenzen abgesagt. Dazu kommt eine Veränderung der Steuergesetze, sodass Kultursponsoring in Brasilien nicht mehr absetzbar ist. Es gibt bisher keinerlei Hilfsprogramme für Musiker oder Clubs wie etwa in Deutschland. Da wird vieles dauerhaft wegbrechen; viele Musiker werden sich einen anderen Beruf suchen müssen.
Streamen was das Zeug hält
Mauersberger: Viele Musikerinnen und Musiker streamen ihre Konzerte ins Netz. Gibt es ähnliches in Brasilien auch?
Bednarz: Ja, da wird gestreamt, was das Zeug hält, um nicht ganz vergessen zu werden. Andere heben kleine Nebenprojekte aus der Taufe, die sie im Netz präsentieren, es gibt unzählige DJ-Sets in den einschlägigen Foren. Das alles, um zu sagen: Wir sind noch da, wir versuchen diese Krise irgendwie zu überleben.
Andere Musiker gehen ins Ausland und versuchen, sich dort zu verwirklichen und sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Berlin ist dabei für viele eine gute Adresse.
Wieder andere versuchen, ihre älteren Platten neu unters Volk zu bringen und damit noch ein wenig Geld zu verdienen. Es gibt sehr viele alte Platten, die neu aufgelegt werden. Man kann vieles neu entdecken, zum Beispiel "O mundo" von André Abujamra. Der Song wurde gerade erst von Elba Ramalho für ihr neues Album aufgenommen und jetzt legt der Komponist selbst eine neue Version nach.
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