Emanzipation auf Norwegisch
Eine norwegische Pfarrerstochter "vom reinsten skandinavischen Typus" aus einer entlegenen Fjordgemeinde soll einen blassen Hilfsprediger heiraten, aber sie wählt einen eloquenten Künstler und folgt ihm nach Amerika. Dramatik ist in diesem Roman von 1893 vom ersten Wort an angesagt.
Hjalmar Hjorth Boyesen, der 1848 in Fredriksvern, einer Flottenfestung am Oslo-Fjord, geboren wurde und der schon 1895 an Lungenentzündung starb, wanderte mit 21 Jahren in die USA aus. Er hätte in seiner Heimat Norwegen ein sorgloses Leben als Beamter und Gutsverwalter führen können und entschied sich für ein eher unsicheres Künstlerdasein; allerdings nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Anraten seines Vaters, eines Offiziers und Lehrers an der Marineschule in Fredriksvern, der seine drei Söhne ins Zukunft verheißende Amerika schickte.
Der gesellschaftliche Blick und ein enthusiastischer Freiheitswille bestimmten auch seine späteren literarischen Werke: Darin ging es immer um das Leben in der Fremde, die angestrebte Assimilation, die schwierigen sozialen Bedingungen. Und vor allem um die Rolle der Frau. Das Nachwort vergleicht viele seiner Frauenfiguren mit denen Edith Whartons, die in ihren Romanen überholte Strukturen und soziale Konflikte thematisierte, aber auch die unterdrückte Sexualität – davon zeigt Boyesen ziemlich wenig, obwohl im Grunde doch alles davon bewegt wird.
Es fängt jedenfalls ungeheuer aufgeladen an. Hulda, eine 19-jährige Pfarrerstochter aus einem entlegenen Fjorddorf an der Westküste, dort wo "die Ankunft des Dampfers das einzige große Ereignis" bedeutet, soll den Hilfsprediger Falck heiraten, damit die Familie eine Esserin weniger hat und somit der einzige Sohn, ein unausstehlicher 13-Jähriger, der alle Kunst als "weibisch" ansieht und den virilen Stalljungen anhimmelt, damit also der einzige Sohn in die Lateinschule in der Hauptstadt gehen kann (was uns etwas ungeschickt, sozusagen zum Publikum gesprochen, auf Seite 2 verraten wird).
Nun steht Hulda mit ihrer jüngeren Schwester am Hafen, dramatisches Wetter, "wildbewegter, wolkenzerrissener Himmel", eine Szenerie eigentlich, um einen strahlenden Helden zu begrüßen, die beiden Schwestern beben natürlich vor Neugier, und was kommt? Eine graue Maus, ein verklemmter Theologe, die Enttäuschung ist riesig. Boyesen erzählt das mit einem charmanten, ironischen Ton, was den ganzen klischeebedrohten Stoff vorm Kitsch rettet. Es ist ja auch nicht ohne Ironie, dass Hulda sich als Frau herausgefordert sieht, als dieser Holzkopf von Falck sie überhaupt nicht beachtet.
Irgendwann fängt man an zu begreifen, dass in der patriarchalischen Gesellschaft, wie Boyesen sie sich vorstellt, die Frauen die Hosen anhaben, aber dann eigentlich doch nur, um sich schließlich wieder in den Dienst ihrer nichtsnutzigen oder schöngeistigen oder sonst wie unbedeutenden Männer zu stellen.
Da man von vorneherein weiß, dass es hier dramatisch zugehen wird, was man aber auch eher der Ironie und nicht irgendeiner Unfähigkeit des Autors zuschreibt, muss ein Konkurrent auftreten, das ganze Gegenteil des "mechanisch genauen" Falck. Brun kommt ins Haus, ein eloquenter, egoistischer Hallodri, in den Hulda sich auf der Stelle verliebt. Und sie setzt ihren Willen durch, flieht in der Nacht vor der Zwangsheirat mit dem blassen Falck und folgt dem geliebten Brun nach Amerika.
Man darf sich durch diese Angaben nicht irreführen lassen: Es gibt nämlich keinen einzigen eindeutigen Charakter in diesem Buch, was ihm eine unerwartete Echtheit verleiht. Falck ist ein langweiliger, aber grundehrlicher, verlässlicher Kerl, Brun ein charmanter, aber egoistischer, aber dann doch wieder gefügiger Typ, und Hulda ist eine leidenschaftliche, halsstarrige Frau mit trotzdem "praktischem Verstand".
Die Übersetzung ist von Mathilde Mann, die 1859 in Rostock geboren wurde und dort, nach langem Aufenthalt in Kopenhagen, 1925 starb. Sie hat den Roman bearbeitet, was ihm wahrscheinlich nicht schadete: sie kürzte pathetische Passagen und hängte noch einen Schlusssatz an: "… am Ende hatte doch wohl jeder Mensch das Recht, sein Schicksal selbst zu bestimmen." Das ist ein wenig apodiktisch formuliert, hätte aber durchaus von Boyesen sein können.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Hjalmar Hjorth Boyesen: Selbstbestimmung
Roman. Aus dem Amerikanischen von Mathilde Mann. Mit einem Nachwort von Marc Ratner
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2008
192 Seiten, 18,90 Euro.
Der gesellschaftliche Blick und ein enthusiastischer Freiheitswille bestimmten auch seine späteren literarischen Werke: Darin ging es immer um das Leben in der Fremde, die angestrebte Assimilation, die schwierigen sozialen Bedingungen. Und vor allem um die Rolle der Frau. Das Nachwort vergleicht viele seiner Frauenfiguren mit denen Edith Whartons, die in ihren Romanen überholte Strukturen und soziale Konflikte thematisierte, aber auch die unterdrückte Sexualität – davon zeigt Boyesen ziemlich wenig, obwohl im Grunde doch alles davon bewegt wird.
Es fängt jedenfalls ungeheuer aufgeladen an. Hulda, eine 19-jährige Pfarrerstochter aus einem entlegenen Fjorddorf an der Westküste, dort wo "die Ankunft des Dampfers das einzige große Ereignis" bedeutet, soll den Hilfsprediger Falck heiraten, damit die Familie eine Esserin weniger hat und somit der einzige Sohn, ein unausstehlicher 13-Jähriger, der alle Kunst als "weibisch" ansieht und den virilen Stalljungen anhimmelt, damit also der einzige Sohn in die Lateinschule in der Hauptstadt gehen kann (was uns etwas ungeschickt, sozusagen zum Publikum gesprochen, auf Seite 2 verraten wird).
Nun steht Hulda mit ihrer jüngeren Schwester am Hafen, dramatisches Wetter, "wildbewegter, wolkenzerrissener Himmel", eine Szenerie eigentlich, um einen strahlenden Helden zu begrüßen, die beiden Schwestern beben natürlich vor Neugier, und was kommt? Eine graue Maus, ein verklemmter Theologe, die Enttäuschung ist riesig. Boyesen erzählt das mit einem charmanten, ironischen Ton, was den ganzen klischeebedrohten Stoff vorm Kitsch rettet. Es ist ja auch nicht ohne Ironie, dass Hulda sich als Frau herausgefordert sieht, als dieser Holzkopf von Falck sie überhaupt nicht beachtet.
Irgendwann fängt man an zu begreifen, dass in der patriarchalischen Gesellschaft, wie Boyesen sie sich vorstellt, die Frauen die Hosen anhaben, aber dann eigentlich doch nur, um sich schließlich wieder in den Dienst ihrer nichtsnutzigen oder schöngeistigen oder sonst wie unbedeutenden Männer zu stellen.
Da man von vorneherein weiß, dass es hier dramatisch zugehen wird, was man aber auch eher der Ironie und nicht irgendeiner Unfähigkeit des Autors zuschreibt, muss ein Konkurrent auftreten, das ganze Gegenteil des "mechanisch genauen" Falck. Brun kommt ins Haus, ein eloquenter, egoistischer Hallodri, in den Hulda sich auf der Stelle verliebt. Und sie setzt ihren Willen durch, flieht in der Nacht vor der Zwangsheirat mit dem blassen Falck und folgt dem geliebten Brun nach Amerika.
Man darf sich durch diese Angaben nicht irreführen lassen: Es gibt nämlich keinen einzigen eindeutigen Charakter in diesem Buch, was ihm eine unerwartete Echtheit verleiht. Falck ist ein langweiliger, aber grundehrlicher, verlässlicher Kerl, Brun ein charmanter, aber egoistischer, aber dann doch wieder gefügiger Typ, und Hulda ist eine leidenschaftliche, halsstarrige Frau mit trotzdem "praktischem Verstand".
Die Übersetzung ist von Mathilde Mann, die 1859 in Rostock geboren wurde und dort, nach langem Aufenthalt in Kopenhagen, 1925 starb. Sie hat den Roman bearbeitet, was ihm wahrscheinlich nicht schadete: sie kürzte pathetische Passagen und hängte noch einen Schlusssatz an: "… am Ende hatte doch wohl jeder Mensch das Recht, sein Schicksal selbst zu bestimmen." Das ist ein wenig apodiktisch formuliert, hätte aber durchaus von Boyesen sein können.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Hjalmar Hjorth Boyesen: Selbstbestimmung
Roman. Aus dem Amerikanischen von Mathilde Mann. Mit einem Nachwort von Marc Ratner
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2008
192 Seiten, 18,90 Euro.