Ingrid Müller-Münch: Sprengsatz unterm Küchentisch. Wenn die Frau das Geld verdient
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
290 Seiten, 19,95 Euro
Die Besserverdienerin im Konflikt
In zwölf Portraits erzählt Ingrid Müller-Münch von Paaren, in denen die Frau dem Partner finanziell den Rücken frei hält.
Es waren übersichtliche Zeiten, die Jahrzehnte der westdeutschen Hausfrau. Er schaffte an, sie hielt ihm den Rücken frei, strahlend und stets gut angezogen.
Und heute? Ist einiges in Unordnung geraten. In zwanzig Prozent der Mehrpersonen-Haushalte verdient die Frau das überwiegende Einkommen. Entweder, weil sie alleinerziehend und somit auch alleinverdienend ist oder weil sie mehr verdient als er. Diese Frauen nennen Soziologen "Familienernährerinnen". Ein Lebensmodell, das bis zum Jahr 2010 in keiner Statistik erfasst wurde und bis heute kaum erforscht wird.
Dieses Wissensloch will die Journalistin Ingrid Müller-Münch stopfen - mit ihrem Buch, das den etwas unglücklichen Titel "Sprengsatz unterm Küchentisch" trägt. In zwölf Portraits erzählt sie von Paaren, die die Frau ernährt:
"Sigrid ist 57 Jahre alt, ihr Mann Rolf gut zehn Jahre älter. Er war mal Unternehmer, jetzt ist er pleite. Und seine Frau, die gelernte Bauzeichnerin, putzt, 52 Stunden pro Woche. Verdient 2000 Euro netto und ernährt beide. Er saugt, wischt und kocht ordentlich, sagt sie. Nur seine Spülmaschinenladungen räumt sie abends manchmal noch um."
"Karen ist Lehrerin. Martin war mal in der Metallbranche. Unzufrieden und schlecht bezahlt. Heute ist er Hausmann, kümmert sich um seine zweijährige Tochter. Er hat den Anspruch, dass das Essen auf dem Tisch steht, die Wäsche gewaschen und die Wohnung geputzt ist, wenn Karen von der Schule kommt. Er sei eine gestresste Hausfrau, seufzt sie. Immer noch unzufrieden und gar nicht bezahlt."
"Erich und Evelyn leben in einer Großstadt. Eine Art linkes Boheme-Leben. Erich war mal Werber. Heute schweigt er, wenn er beim guten, trockenen Rotwein von seinen Freunden gefragt wird, wie die letzten Kampagnen liefen. Nie würde er erzählen, dass er schon lange keine Aufträge mehr bekommt, dass er aufgegeben hat, sich darum zu bemühen. Und dass Evelyn das Geld verdient."
Es sind bemerkenswerte Erkenntnisse, die Ingrid Müller-Münch bei ihrer Feldforschung zusammenträgt und die sie stets mit den raren Daten, die es gibt, abgleicht. Ihr erstes Fazit: Den meisten Paaren fällt es schwer, zuzugeben, dass die Frau die Familie ernährt. Nur wenige entscheiden sich freiwillig. Oft rutscht der Mann nur deshalb in die Rolle des "Rückenfreihalters", weil er arbeitslos ist oder krank oder beruflich gescheitert.
"Männer sind mit dieser Situation noch unzufriedener als Frauen. Die meisten Frauen wollten nicht im Beisein ihrer Männer reden, weil sie ihre Lebensform nicht als Erfolgsmodell sehen, sondern eher so als Notlösung. Sie wollten den Mann nicht bloßstellen."
Meisten Besserverdienerinnen akzeptieren ihre Rolle
Nur ein Drittel der Frauen hat kein Problem damit, wenn der Mann weniger verdient – das ergab eine Umfrage im Auftrag einer Frauenzeitschrift. Und als das Deutsche Jugendinstitut junge Männer nach den wichtigsten Aufgaben eines Vaters fragte, antworteten 95 Prozent der Befragten: "Ein Vater muss der Familie ein Heim bieten und den Lebensunterhalt verdienen." Die Paare in Müller-Münchs Buch müssen also nicht nur mit den Umbrüchen im eigenen Leben zurechtkommen, sondern auch damit, dass sie so gar nicht den Erwartungen entsprechen, Spätfolgen der langen Hausfrauenjahrzehnte. Müller-Münch schreibt:
"Für Männer wie Erich gibt es keine Berufsbezeichnung. Sie sind ein veritables Nichts. Und wer jemals einen Mann in Erichs Lage dabei beobachtet hat, wie er zum ersten Mal einen Staubsauger durch die Wohnung schiebt, den überkommt tiefstes Mitleid mit dieser verlorenen Kreatur. Deshalb achtet Frau ebenso wie Mann darauf, dass der Partner zum Beispiel keine Hausarbeit draußen im Freien erledigt. Dass er also nicht wochentags Wäsche aufhängt."
Wer kocht? Wer putzt? Wer bügelt? Dies scheinen profane Fragen zu sein. Aber an ihnen lässt sich zeigen, dass die Rollen noch immer, wie Müller-Münch schreibt, in Beton gegossen zu sein scheinen. Selbst wenn die Frau Vollzeit arbeitet und der Mann Vollzeit zu Hause ist, erledigt sie im Schnitt den Großteil der Hausarbeit. Müller-Münch überrascht das:
"Viele Frauen lassen sich hierbei durch ihre Männer einfach nicht entlasten. Sie fordern das gar nicht erst ein".
Und sie zitiert aus einer Studie, die zu den großen Klassikern der Soziologie gehört: die "Arbeitslosen von Marienthal", erschienen im Jahr 1933. Damals untersuchte ein Team aus Soziologen, wie die Schließung einer Fabrik das Leben in der ehemaligen Arbeitersiedlung Marienthals verändert. Interessante Spuren, aber nicht mehr.
"Heraus kam: Die Männer tun rein gar nichts mehr, die Frauen schuften sich durch den Tag. So ist der Tag für die Frauen von Arbeit erfüllt, heißt es in der Studie. 'Sie kochen und scheuern, sie flicken und versorgen die Kinder.' Immer wieder heißt es in den Notizen der Soziologen: 'Der Mann sitzt den ganzen Tag zu Hause und macht überhaupt nichts.'"
Es sind interessante Spuren, die Müller-Münch in ihrem Buch aufnimmt, aber leider nicht bis zum Ende verfolgt. Vor allem aus dem Leben der portraitierten Paare hätte man gerne mehr erfahren. Aber die meisten Figuren bleiben blass. Müller-Münch zitiert ausschließlich aus Gesprächen, meist nur mir einem der Partner. Dadurch bleibt vieles an der Oberfläche. Man giert nach echten Einblicken in den Alltag, um wirklich verstehen zu können. Aber wird enttäuscht.
Und so lässt der "Sprengsatz unterm Küchentisch" den Leser zwiegespalten zurück: das Thema ist spannend und solide recherchiert. Ein gutes Buch aber wäre es nur geworden, wenn sich Ingrid Müller-Münch mit ganzer Energie auf die Suche nach Antworten auf ihre Hauptfrage gemacht hätte: Wie geht es Paaren, die die Frau ernährt?