Christine Watty hat sich im Deutschlandfunk Kultur mit Emilia Smechowski über ihr Buch unterhalten. Hören Sie hier das Gespräch in voller Länge:
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Warum viele polnische Einwanderer ihre Identität verleugnen
Mit fünf kam Journalistin Emilia Smechowski aus Polen nach Deutschland. Fortan wollten die Smechowskis deutscher sein als die Deutschen. So wie viele andere polnische Migranten auch. Warum verleugneten sie ihre Herkunft, fragt Smechowski in "Wir Strebermigranten".
Emilia Smechowski ist eine stille Frau. Zurückhaltend und unaufgeregt. Die 34-Jährige mit polnischem Migrationshintergrund drängelt sich nicht in den Vordergrund. Und doch steht sie regelmäßig in der Öffentlichkeit, als Journalistin und Autorin für Blätter wie "Die Zeit", "Süddeutsche Zeitung", "taz". In ihren Texten und als Person bleibt sie auf eine besondere Weise unangestrengt und leise. Man könnte auch sagen: Emilia Smechowski ist eine typische Polin: erfolgreich, aber unsichtbar.
Das ist keineswegs diskriminierend gemeint oder soll billige Vorurteile transportieren. Smechowski selbst schreibt in ihrem ersten Buch "Wir Strebermigranten", dass sich polnische Zuwanderinnen und Zuwanderer in Deutschland wegducken, weil sie nicht gesehen werden wollen.
Wegducken und anpassen
Im Gegensatz zu vielen der mittlerweile 18,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, die man auf der Straße auch als Menschen mit Migrationshintergrund erkennt, leben rund zwei Millionen polnische Aussiedlerinnen und Aussiedler hierzulande, ohne dass sie von ihren Mitmenschen als solche bemerkt würden.
Sie bauen kleine Firmen auf, arbeiten als Ärzte und Ingenieure, als Buchhändler und Truckerfahrer – ganz normale Biografien, in denen sich Polen und Deutsche kaum voneinander unterscheiden. "Wir sind unsichtbar", sagt Smechowski. Wie sich das anfühlt, davon erzählt Smechowski in ihrem Buch.
Als Fünfjährige kam sie im Sommer 1988 mit ihren Eltern von Wejherowo nach Westberlin, aus einem Dorf in Westpreußen in eine eingemauerte Stadt. Die Familie hat den "polnischen Abgang" gemacht, sie floh still und heimlich, in einem Polski Fiat, der gepackt war mit Badeanzügen, Schlafsäcken und Zelt - für einen vermeintlichen Rimini-Urlaub. Ebenso wie in Polen niemand von der Flucht wissen durfte, sollte später in Deutschland keiner wissen, woher die Familie kam. Fortan wollten die polnischen Smechowskis deutscher sein als die Deutschen selbst. So wie viele andere Polen auch.
Wenn die neuen Kollegen der Mutter zu Besuch kamen, gab es keine Piroggen, sondern italienischen Mozzarella mit Tomate. Zu Schulfesten brachte Emilia nicht Bigos mit, den polnischen Schmortopf aus Sauerkraut, Weißkohl und Fleisch, sondern eine französische Quiche. Die Polen warteten nicht darauf, zur Integration aufgefordert zu werden, sie leisteten sie im vorauseilenden Gehorsam. Warum?
Die junge Generation möchte sich nicht verstellen
Aus Scham. Aus der Angst heraus, von den Deutschen nicht angenommen zu werden und fremd zu bleiben. Doch der übersteigerte Integrationswille, der in einer Assimilation mündete, verkehrt sich bei vielen ins Gegenteil, schreibt Smechowski. Sie verleugnen ihre Herkunft und damit einen wichtigen Teil ihrer Identität. Das macht ein Ankommen im anderen Land, das Heimat werden soll, nicht leichter. Und es ist kein Ankommen, was Smechowski erlebt hat, sondern ein "Versteckspiel".
Darauf hat jene Generation, die jünger ist als die 1983 geborene Autorin und nach der Wende aus Polen nach Deutschland kam - zum Studium, zum Arbeiten oder einfach, um hier zu leben - keine Lust mehr. Sie verstehen sich als Polen. Punkt. Sie sprechen Polnisch, klar. Smechowski hatte von ihrer Mutter noch die Order bekommen, auf der Straße in Berlin nur Deutsch zu sprechen.
Als junge Erwachsene versucht Smechowski, sich zu de-assimilieren. Heute spricht sie mit ihrer eigenen Tochter, die in Berlin geboren wurde, polnisch.
Emilia Smechowski: Wir Strebermigranten
Hanser, Berlin 2017
224 Seiten, 22 Euro