Emma Beckers Roman "La Maison" erscheint im kommenden Jahr auf Deutsch im Rowohlt-Verlag.
Sexarbeiterin im Selbstversuch
05:41 Minuten
"La Maison" heißt Emma Beckers Roman, der gerade in Frankreich Furore macht. Zwei Jahre hat die Französin in einem Berliner Bordell gearbeitet, als Selbstversuch. Das Nachtleben Berlins bedeutet für sie: Freiheit, wie sie in Paris nicht zu finden ist.
Berlin-Kreuzberg, ein paar Schritte vom Landwehrkanal entfernt: Hier wohnt Emma Becker. Sie ist im Großraum Paris geboren. Aber ihr Buch, so erzählt sie es, konnte nur in der deutschen Hauptstadt entstehen, in die sie umzog, als sie Anfang 20 war.
"Es ist an einem Tag passiert, dass ich durch die Danziger Straße gelaufen bin, und ich habe dieses Bordell gesehen und plötzlich habe ich gedacht: Ja, das ist hier legal – und dann habe ich die Idee bekommen, in ein Bordell reinzukommen, darüber zu schreiben."
"Ich war immer fasziniert von Prostituierten"
Die Beobachterposition war nicht Emma Beckers Sache. Sie wollte, sie musste tatsächlich alles selbst erleben. Nur so konnte sie daraus Literatur machen. "Ich war immer fasziniert von Prostituierten und diesem speziellen Ort, das Maison Close, das wir nicht mehr in Frankreich haben."
In Frankreich, wo einst Kurtisanen die Geschicke von Regierungen mitbestimmten und im 19. Jahrhundert das Bordell – la Maison Close – als Stütze der bürgerlichen Doppelmoral auch in der Literatur überall auftaucht, sind Freudenhäuser heute nicht mehr erlaubt. "Unser Wortschatz ist voll mit 'putain', 'bordel'. Aber politisch redet man nicht darüber."
Emma Becker findet das überhaupt nicht gut, ebenso wenig wie den reaktionären Furor christlich-fundamentalistischer Gruppen, die in diesen Tagen gegen die künstliche Befruchtung für lesbische Frauen in Paris auf die Straße gegangen sind.
In Frankreich, wo einst Kurtisanen die Geschicke von Regierungen mitbestimmten und im 19. Jahrhundert das Bordell – la Maison Close – als Stütze der bürgerlichen Doppelmoral auch in der Literatur überall auftaucht, sind Freudenhäuser heute nicht mehr erlaubt. "Unser Wortschatz ist voll mit 'putain', 'bordel'. Aber politisch redet man nicht darüber."
Emma Becker findet das überhaupt nicht gut, ebenso wenig wie den reaktionären Furor christlich-fundamentalistischer Gruppen, die in diesen Tagen gegen die künstliche Befruchtung für lesbische Frauen in Paris auf die Straße gegangen sind.
Plädoyer für die Legalisierung von Prostitution
Die französische Autorin, die Deutsch schon auf der Schule und durch ihre Großeltern gelernt hat, sitzt an dem dunklen Holztisch in ihrem Wohnzimmer. Ihr dreijähriger Sohn schläft schon, ihr Freund, der mit ihrer Vergangenheit kein Problem hat, wohnt mit ihr zusammen.
"La Maison" ist Emma Beckers drittes Buch. In "Monsieur" hatte sie über ihre Affäre mit einem fast 30 Jahre älteren Mann geschrieben – auch dies ein selbst erlebtes Abenteuer, das sie in einen Roman packte; so wie jetzt ihre Bordell-Erfahrung.
"Man muss wirklich diesen Beruf machen, um zu verstehen, was es mit deinem Körper und deiner Seele macht. Ich wollte ein Teil von diesen Frauen sein."
Emma Becker schenkt Weißwein nach und zündet sich eine Zigarette an. Wie sie über ihre Zeit in einem Bordell im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Wilmersdorf redet, klingt das so, als wäre sie in einer Art Selbsterfahrungscamp gewesen.
"Überall wo Prostitution legal ist, ist es deutlich besser für die Mädchen. Weil: Man kann Prostitution gar nicht abschaffen, außer wenn man vielleicht die Lust von Männern auf Frauen auch abschafft. Es existiert sowieso. Die Frage ist nur: Was machen wir damit? Wollen wir, dass die Bedingungen besser sind für die Mädchen? Wir müssen das sowieso legalisieren."
"La Maison" ist Emma Beckers drittes Buch. In "Monsieur" hatte sie über ihre Affäre mit einem fast 30 Jahre älteren Mann geschrieben – auch dies ein selbst erlebtes Abenteuer, das sie in einen Roman packte; so wie jetzt ihre Bordell-Erfahrung.
"Man muss wirklich diesen Beruf machen, um zu verstehen, was es mit deinem Körper und deiner Seele macht. Ich wollte ein Teil von diesen Frauen sein."
Emma Becker schenkt Weißwein nach und zündet sich eine Zigarette an. Wie sie über ihre Zeit in einem Bordell im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Wilmersdorf redet, klingt das so, als wäre sie in einer Art Selbsterfahrungscamp gewesen.
"Überall wo Prostitution legal ist, ist es deutlich besser für die Mädchen. Weil: Man kann Prostitution gar nicht abschaffen, außer wenn man vielleicht die Lust von Männern auf Frauen auch abschafft. Es existiert sowieso. Die Frage ist nur: Was machen wir damit? Wollen wir, dass die Bedingungen besser sind für die Mädchen? Wir müssen das sowieso legalisieren."
Sexualität, Lust und Freiheit
Ein Buch, das sich dem Thema Prostitution so selbstverständlich nähert, sieht sich natürlich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, das Rotlicht-Milieu zu idealisieren – und die Schattenseiten wie Zwangsprostitution, Gewalt oder Abhängigkeiten von Zuhältern auszublenden.
"Nur weil es glückliche Prostituierte gibt, heißt das nicht, dass es keine unglücklichen Prostituierten gibt. Aber wenn man anfängt, auf die glücklichen Prostituierten zu hören, dann kann man lernen, wie man Zwangsprostitution verbietet und wie man das besser macht für uns alle."
Die glückliche Ex-Prostituierte Emma Becker hat einen einerseits kühlen und gleichzeitig sehr einfühlsamen Roman geschrieben; so wie sie die Persönlichkeiten ihrer Bordell-Kolleginnen beschreibt, ihre gepflegten Körper oder kleine Alltagsgesten, Gerüche, Farben, Gespräche, die Ausstattung der Zimmer. Literarisch ist das sehr kunstvoll, sehr fein, auch sehr sinnlich.
"Es geht um Frauen und Frauensexualität und Lust, eigentlich nicht so sehr um Prostitution, sondern um Freiheit und wie wir als Frauen das empfinden."
"Nur weil es glückliche Prostituierte gibt, heißt das nicht, dass es keine unglücklichen Prostituierten gibt. Aber wenn man anfängt, auf die glücklichen Prostituierten zu hören, dann kann man lernen, wie man Zwangsprostitution verbietet und wie man das besser macht für uns alle."
Die glückliche Ex-Prostituierte Emma Becker hat einen einerseits kühlen und gleichzeitig sehr einfühlsamen Roman geschrieben; so wie sie die Persönlichkeiten ihrer Bordell-Kolleginnen beschreibt, ihre gepflegten Körper oder kleine Alltagsgesten, Gerüche, Farben, Gespräche, die Ausstattung der Zimmer. Literarisch ist das sehr kunstvoll, sehr fein, auch sehr sinnlich.
"Es geht um Frauen und Frauensexualität und Lust, eigentlich nicht so sehr um Prostitution, sondern um Freiheit und wie wir als Frauen das empfinden."
Der schüchterne Sexkäufer
Was sagt eine Frau, die so unbefangen über Sex, Orgasmen, Lust und Körperlichkeit spricht, eigentlich zur Genderdebatte und zur MeToo-Bewegung? - Nicht viel: "Die Prostituierten arbeiten seit Jahrzehnten und haben kein MeToo gebraucht, um über ihren Beruf nachzudenken. Die Prostituierten wissen, wer die Macht hat in so einer Beziehung, wenn man für Sex zahlt – und zwar die Frauen. Die Männer sind manchmal viel respektvoller im Bordell als auf der Straße, als im normalen Leben."
Und so beschreibt sie ihre zahllosen Freier in dem Roman auch nicht als rücksichtslose Sexkäufer, sondern mitunter als schüchterne, eher zurückhaltende Typen, die eher von der Hure abhängig sind als umgekehrt.
Und so beschreibt sie ihre zahllosen Freier in dem Roman auch nicht als rücksichtslose Sexkäufer, sondern mitunter als schüchterne, eher zurückhaltende Typen, die eher von der Hure abhängig sind als umgekehrt.
"Das haben wir nicht in Frankreich"
Die Schriftstellerin wirkt mit ihren langen Haaren und ihrem weiten Flanellhemd ziemlich lässig, aber auch wie eine Tochter aus gutem Haus, die ihre Herkunft gelegentlich mit einem Kick Berliner Nachtleben hinter sich lassen will – wie viele andere junge Leute aus ganz Europa.
"Dass Berlin Prostitution und Bordell erlaubt, ist schon ein Teil dieser Freiheit. Und die Partys, die man machen kann. Ich habe einen Freund in den KitKatClub mitgenommen und er hat die Augen so … und meinte, das ist wie Caligula, wie Rom, das haben wir nicht in Frankreich. Ich habe dort nie eine Party gehabt wie im KitKat oder im Berghain."
"Freiheit" ist ein Wort, das in den rund zwei Stunden, die unser Gespräch gedauert hat, immer wieder gefallen ist. Die freizügige Atmosphäre in einem der weltberühmten Berliner Sex- beziehungsweise Tanzclubs nennt die Schriftstellerin im selben Atemzug mit ihrer freien Entscheidung, als Hure zu arbeiten. Man mag Emma Beckers Enthusiasmus für die Tätigkeit im Bordell überraschend und ihre Einstellung zur Prostitution im Widerspruch zu feministischen Positionen finden. Ihre Sprache, sowohl im Buch als auch im persönlichen Gespräch, ist außerordentlich poetisch, literarisch.
"Dass Berlin Prostitution und Bordell erlaubt, ist schon ein Teil dieser Freiheit. Und die Partys, die man machen kann. Ich habe einen Freund in den KitKatClub mitgenommen und er hat die Augen so … und meinte, das ist wie Caligula, wie Rom, das haben wir nicht in Frankreich. Ich habe dort nie eine Party gehabt wie im KitKat oder im Berghain."
"Freiheit" ist ein Wort, das in den rund zwei Stunden, die unser Gespräch gedauert hat, immer wieder gefallen ist. Die freizügige Atmosphäre in einem der weltberühmten Berliner Sex- beziehungsweise Tanzclubs nennt die Schriftstellerin im selben Atemzug mit ihrer freien Entscheidung, als Hure zu arbeiten. Man mag Emma Beckers Enthusiasmus für die Tätigkeit im Bordell überraschend und ihre Einstellung zur Prostitution im Widerspruch zu feministischen Positionen finden. Ihre Sprache, sowohl im Buch als auch im persönlichen Gespräch, ist außerordentlich poetisch, literarisch.