Emmanuelle Bayamack-Tam über ihr Buch "Arkadien"

Freie Liebe und Gleichberechtigung - aber nicht für alle

12:51 Minuten
Schwarz-Weiß-Fotografie einer Frau, die im nassen Kleid auf dem Wasser zu stehen scheint, neben ihr schwimmen zwei Männer im See.
Dass schöne Körper begehrenswert sind, werde Menschen schon sehr früh eingetrichtert, sagt Bayamack-Tam. In ihrem Buch geht es um das Nichtperfekte jenseits der Norm. © Getty Images / Michael Ochs Archives / Robert Altman
Moderation: Andrea Gerk |
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Eine Kommune, in der Großmütter mit Intimpiercing nackt herumlaufen, 80-Jährige wilden Sex haben und aus Mädchen wie selbstverständlich Männer werden: In "Arkadien" hinterfragt die Französin Emmanuelle Bayamack-Tam gesellschaftliche Normen.
Eine eigenwillige Kommune, in der die Hässlichen schön sind, 80-Jährige wilden Sex haben und junge Mädchen sich wie selbstverständlich in junge Männer verwandeln: In "Arkadien", dem neuen Roman der französischen Schriftstellerin Emmanuelle Bayamack-Tam, stehen die Normen unserer optimierten Gesellschaft auf dem Kopf. Bayamack-Tams zwölfter Roman ist nun auf Deutsch erschienen.
Arkadien ist eigentlich ein Begriff aus der griechischen Mythologie: ein Ort der Idylle und Glückseligkeit. In Bayamack-Tams Roman ist es eine Hippie-Gemeinschaft, die mit einem charismatischen Anführer - der Arcady heißt - im Liberty-House lebt. Sie habe sich nicht von einer speziellen Kommune inspirieren lassen, sondern von verschiedenen, sagt die Autorin, die eine engagierte Links-Intellektuelle und als Kommentatorin zu politischen Themen auch im Fernsehen gefragt ist.

Das Begehren von Schönheit ist anerzogen

Die Kommunen-Bewegung habe in den 1960ern begonnen, sagt Bayamack-Tam. Was man vielleicht nicht so im Blick habe, sei, "dass überall auf der Welt weiterhin solche Kommunen existieren, die auf diesen Grundsätzen beruhen, die ich in meinem Buch beschreibe: Gleichberechtigung und freie Liebe."
In "Arkadien" läuft die Großmutter der Hauptfigur Farah ständig nackt herum, Farah erinnert sich, wie ihr als kleines Kind mal das Intimpiercing der Oma vor der Nase baumelte und sie kräftig daran zog. Ihre Mutter ist wunderschön, trägt aber eine Art Nikab, um sich vor Elektrosmog zu schützen. Farahs Körper wird im Lauf der Pubertät immer männlicher.
Ausgangspunkt für ihr Buch sei der Gedanke gewesen, dass Menschen schon sehr früh eingetrichtert werde, "dass man etwas Schönes, Muskulöses, schöne Körper eben begehren soll", sagt Bayamack-Tam. Wenn das aber von der Erziehung her nicht so gesteuert werde, gehe das eventuell in eine andere Richtung. "Das hat mich interessiert. Denn was sich entwickelt, ist nicht unbedingt das, was körperlich so perfekt ist."

Provokant und subversiv

Als ein Geflüchteter in die Kommune kommt, stellt das die Ideale der dort Lebenden in Frage. Das Liberty House sei nach dem Modell der französischen Gesellschaft konstruiert, sagt Bayamack-Tam:
"In dem Moment, in dem ein Flüchtling kommt, also von außen, haben alle Angst und sperren ihre Türen zu. Man redet von Toleranz, von Mildtätigkeit, von Güte und von Aufnahmebereitschaft – aber wenn es soweit ist, dann geht alles zu."
In Bayamack-Tams Roman werden reihenweise Normen zerlegt - das ist bisweilen sehr komisch. Es sei die Mischung aus ernsten und heiteren Aspekten, die sie in der Literatur interessiere, so die Autorin:
"Mir wird ja oft vorgeworfen, dass ich sehr provoziere, dass meine Schreibweise subversiv ist und die Leute schockiert." So etwa im aktuellen Buch, dass in der Beziehung zwischen Farah und Arkady Pädophilie stecke oder dass es Gruppensex gebe.
Doch andere Autoren seien "da sehr viel krasser gewesen", sagt Bayamack-Tam - etwa Jean Genet oder de Sade.
(abr)
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