Emmermann: Tsunami-Warnung per SMS vorstellbar

Moderation: Dieter Kassel |
Wissenschaftler des Geoforschungszentrums Potsdam haben ein Tsunami-Frühwarnsystem entwickelt, das nun im Pazifik getestet wird. Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden Ralf Emmermann sei in Zukunft auch denkbar, dass eine Warnung Touristen in Ferienorten per SMS über Handy erreicht.
Kassel: Nach der Tsunami-Katastrophe in Südost-Asien, bei der vor einem Jahr mindestens 220.000 Menschen ums Leben kamen und ganze Landstriche verwüstet wurden, tauchte schnell die Frage auf, wie man eine solche Katastrophe in Zukunft verhindern könnte. Wissenschaftler des Geoforschungszentrums Potsdam begannen daraufhin, zusammen mit nationalen und internationalen Partnern ein Frühwarnsystem zu entwickeln und inzwischen hat die praktische Phase begonnen. Vor einigen Tagen ist ein deutsches Forschungsschiff zurückgekehrt, dass die ersten Bojen vor der Küste Indonesiens ausgesetzt hat. Am Telefon begrüße ich dazu den Vorstandsvorsitzenden des Geoforschungszentrums Potsdam, Prof. Rolf Emmermann, schönen guten Tag Herr Emmermann!

Emmermann: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Was sind denn das genau für Bojen, die da jetzt ausgesetzt wurden?

Emmermann: Ja, diese Bojen sind ein Teil dieses gesamten Konzepts. Das sind also wie ganz normale Bojen schwimmende Geräte auf der Wasseroberfläche, die allerdings ausgestattet sind mit vielen Messinstrumenten, um sämtliche meteorologischen Daten, die wichtig sind, aufzunehmen, und die haben auch einen GPS-Empfänger, mit dem man diese Daten direkt zu einem Datenzentrum in Echtzeit übertragen kann. Und in dem Datenzentrum können Sie dann auch sofort die Meereshöhe, Wellenbewegungen und so etwas, feststellen. Die Bojen haben aber auch die Funktion, Daten, die von Bodendrucksensoren - Geräten, die also am Meeresboden ausgesetzt werden - nach oben geschickt werden, ebenfalls über diesen Satelliten zu kommunizieren. Das heißt, sie sind selber ein Messgerät, liefern gleichzeitig aber auch Daten weiter, die von anderen, unabhängigen Messgeräten produziert werden.

Kassel: Haben Sie jetzt erst mal nur die Bojen ausgesetzt, oder gibt es auch schon diese Bodenmessgeräte?

Emmermann: Es ist beides zusammen ausgesetzt worden, denn die müssen ja kommunizieren, und das ist das Problem. Die Bodenmessgeräte sitzen in 6000 oder mehr Meter Wassertiefe. Das ist deshalb notwendig, weil Tsunamis sich am Meeresboden sehr viel rascher ausbreiten als an der Oberfläche. Also diese Effekte werden dort sehr viel schneller messbar und außerdem können Erdbeben dort besser detektiert werden. Da sind also auch Seismometer, Ozeanbodenseismometer dabei. Diese Daten werden dann übertragen, und das ist ein Teil dieses Systems. Das ist sozusagen der Marineteil, der im Wasser befindliche Teil dieses Tsunami-Frühwarnsystems.

Kassel: Bevor wir auch über den anderen Teil sprechen: Über was für eine Region, auch von der Größe her, reden wir denn? Wie viele Bojen sind es und in welcher Entfernung voneinander sind die jetzt verteilt?

Emmermann: Insgesamt werden wir am Ende zehn Bojen für den gesamten Indischen Ozean benötigen. Das liegt an der besonderen geologischen Situation im Indischen Ozean. Also anders als im Pazifik sind die Zonen, bei denen schwere Seebeben, die für Tsunamis verantwortlich sein können, entstehen, sind diese Zonen relativ begrenzt. Man kann sie also geologisch relativ gut einengen, so dass wir denken, dass wir mit zehn solchen Systemen, wenn sie intelligent verteilt werden, hinkommen.

Kassel: Nehmen wir an, das wäre nun schon passiert, die sind intelligent verteilt, sie arbeiten. Die Daten, die diese Bojen erfassen, zusammen mit den Geräten am Boden, wo landen die dann und wo werden sie wie ausgewertet?

Emmermann: Ja, die landen zum Beispiel in einem Datenzentrum oder in zweien hinterher, auf Sumatra und Java. Also unser Hauptpartner ist im Moment ja Indonesien. Sie werden dort auch ausgewertet und zwar eben sofort und es muss dort auch die Entscheidung getroffen werden, ob man eine Warnung ausspricht im Ernstfall. Es wäre, glaube ich, nicht sinnvoll, wenn die Daten, die natürlich auch nach Potsdam gehen, oder zu anderen Partnern hingehen, bei uns ausgewertet würden und wir eine Warnung aussprechen. Ich denke schon, dass man von vornherein die nationalen Partner einbinden muss. Man muss sie trainieren, sie müssen genau wissen, welche Entscheidungswege einzuhalten sind, und dann verantwortlich sein natürlich auch für ihre Warnungen.

Kassel: Ist da nicht auch gerade, ich nenn das mal die menschliche Infrastruktur an Land, ein Problem? Denn es muss ja von dem Moment, wo die Boje kritische Daten übermittelt, bis zu dem Moment, wo bildlich gesprochen die Leute die Gebiete, die gefährdet sind, verlassen, da muss ja extrem wenig Zeit vergehen.

Emmermann: Richtig, und deswegen ist das ein wichtiger Teil unseres Gesamtkonzeptes. Wir nennen das Capacitybuilding, also einmal das technische Training, dass die Wissenschaftler oder Ingenieure in Indonesien überhaupt damit umgehen können. Wir werden auch junge Leute ausbilden, die hier promovieren in Deutschland. Dann aber genügt es nicht, das nur in einem Datenzentrum zu wissen, sondern, dann muss es ja die Leute vor Ort, wo die Gefahr dann eben auftreten wird, müssen ja die Leute vor Ort gewarnt werden, das heißt, wir müssen diese ganze Kette - die haben wir mal so Last Mile genannt, also die letzte Meile, müssen wir natürlich mitentwickeln. Es bringt keinen Sinn, wenn Sie irgendwo in einem hochausgestatteten Datenzentrum wissen, dass ein gewaltiger Tsunami entstanden ist, und keine Warnung vor Ort ankommt.

Kassel: Wie gut ist die Infrastruktur da, wenn nun wirklich das Zentrum, dass die Daten auswertet, in Sumatra zum Beispiel feststellt und beschließt, es besteht tatsächlich Gefahr, wir interpretieren das entsprechend. Was machen die dann? Geht das per Computer zur Polizei an der Küste? Müssen die jemanden anrufen? Wie funktioniert das in so einem Land?

Emmermann: Ja, das sind genau die Strukturen, die aufzubauen sind. Also erst mal haben die Indonesier natürlich auch Strukturen. Sie haben seismologische Institute. Die Erdbebenwarnung ist übrigens die wichtigste und die erste Komponente in dieser ganzen Kette. Wir haben also praktisch eine spiegelbildliche Struktur in Indonesien aufgebaut und wir machen das im Moment auch mit anderen Partnern um den Indischen Ozean. Das heißt, Seismologen korrespondieren mit Erdbebenfachleuten und so weiter. Es gibt entsprechende Behörden, entsprechende Ministerien und hier werden also übergeordnete Strukturen mit ganz klaren Verantwortlichkeiten aufgebaut. Und dann muss mit den Leuten vor Ort, und da hilft uns zum Beispiel die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit mit ihrer langen Erfahrung oder ein Institut der Vereinten Nationen, das lange Erfahrungen hat, es muss dann vor Ort aufgebaut werden. Sirenen werden in manchen Gebieten sinnvolle Geräte sein zur Warnung. In anderen Gebieten, in Ferienorten wird man wahrscheinlich die Hotels warnen, vielleicht kann man sich sogar vorstellen, dass man SMS' auf die Handys schickt, denn die Touristen haben ja fast alle auch Handys zur Verfügung. Das heißt, man muss also tatsächlich nach den jeweiligen lokalen oder regionalen Gegebenheiten sich eigene Warnwege aussuchen.

Kassel: Wenn das alles aufgebaut wäre und wenn es wirklich so funktionieren würde, wie Sie es am liebsten hätten in Ihren Planungen, wie viel Zeit würde dann vergehen von dem Moment, wo die Boje kritische Daten meldet, bis eine Evakuierung beginnen kann?

Emmermann: Das erste Glied in dieser Kette sind Seismometer, das heißt, Erdbebenmessstationen, die hochsensibel sind und die in Echtzeit Daten übertragen. Wir haben die schon aufgestellt. Wir haben selber schon eigene Seismometer dort stehen, die arbeiten auch heute schon. Das ehrgeizige Ziel ist, das erreichen wir auch im nächsten Jahr, dass wir innerhalb von ein bis zwei Minuten jedes Erdbeben lokalisieren können und auch die Stärke feststellen können. Dann muss man testen -und dafür sind die Marinegeräte gut - ist denn jetzt wirklich ein Tsunami entstanden? Nicht bei jedem schweren Seebeben wird automatisch ein Tsunami erzeugt. Dafür gibt es auch weitere Methoden, die wir auch einsetzen, denn es ist ja nichts schlimmer, als dass man einen Fehlalarm gibt. Denn wenn man das mehrmals macht, und das ist ja leider der Fall auch bei dem pazifischen System, dann stumpft natürlich ein solches System ab und wird nicht mehr für ernst genommen.
Kassel: Kann man eigentlich, wenn das System fertig ist, es irgendwie direkt testen, also kann man für die Geräte einen Vorgang simulieren oder müssen Sie wirklich warten, bis das erste Beben kommt?

Emmermann: Erbeben gibt es natürlich dort eigentlich sehr häufig. Allein die Nachbeben in dem Bereich, das ist ja eine Zone von 1200 Kilometern Länge, die jetzt durch einen gewaltigen Bruch aufgerissen wurde, da haben wir ja ständig, also täglich Erdbeben, die man registrieren kann. Also, es gibt viele Erdbeben in dem gesamten Raum, auch im Pazifik, die wir alle registrieren können. Da gibt es eigentlich genügend natürliche Ereignisse, auf die man zurückgreifen kann.

Kassel: Nun haben wir die ganze Zeit nur von Indonesien geredet. Das ist zurzeit ja auch auf der politischen Ebene Ihr Hauptpartner. Aber das Gebiet, das Sie überwachen wollen mit diesem Frühwarnsystem, das betrifft natürlich auch ganz andere Staaten, die auch von dem Tsunami vergangenes Jahr zu Weihnachten betroffen waren. Klappt da auch die Zusammenarbeit?

Emmermann: Ja, wir waren jetzt gerade letzte Woche bei einer großen Konferenz in Hyderabad in Indien, wo auch die anderen Anrainerländer vertreten gewesen sind. Das Wichtigste, was man an Land aufbauen kann, sind, wie gesagt, die Seismometerstationen und dort haben wir verabredet, wie wir mit den Ländern, also von Südafrika angefangen am gesamten afrikanischen Kontinent auf der Ostseite hoch, dann über Indonesien, Sri Lanka, Thailand und so weiter, bis nach Australien hin diese Geräte aufbauen oder so vernetzen wollen. Es existieren ja schon welche, dass sich hier ein übergreifendes Seismometer-, also Erdbebenmessnetz ergibt.

Kassel: Nun haben manche Laien ja eine Hoffnung, die Sie als Wissenschaftler zunichte machen müssen. Das, worüber wir hier sprechen, ist ja ein Frühwarnsystem, also einfach ausgedrückt, ein System, dass aktiv werden kann in der Sekunde, wo ein Erdbeben beginnt. Ist denn technisch irgendetwas denkbar, was wirklich Erdbeben vorhersagen kann?

Emmermann: Also bis heute nicht. Das muss man, glaube ich, ganz ehrlich sagen. Es gibt sehr viele Versuche, auch von Einrichtungen, die seriös sind und sich damit beschäftigt haben. Wir sind aus meiner Sicht im Moment noch sehr weit entfernt, Erbeben vorhersagen zu können. Das liegt an der Physik des Erdbebenprozesses. Diese Physik beherrschen wir nicht und das sind auch nichtlineare Prozesse, die sich auch nicht mit so ganz simplen statistischen oder wie auch immer gearteten Vorhersagen erschließen lassen.

Kassel: Als die Katastrophe passiert war im vergangenen Jahr, da haben dann Leute auch sofort Gespräche darüber geführt, ob das auch woanders passieren könnte und manche haben behauptet, man bräuchte eigentlich auch ein Frühwarnsystem für den östlichen Atlantik und sogar fürs Mittelmeer. Sind denn entsprechende Phänomene im europäischen Raum wirklich denkbar?

Emmermann: Ja. Also zum Beispiel gab es am 1. November vor 250 Jahren ein gewaltiges Erdbeben, ein Seebeben vor der Küste von Portugal. Das war in der Stärke genauso wie das jetzt letztes Jahr vor Sumatra und dieses Erdbeben hat gewaltige Schäden seinerzeit erzeugt und hat vor allem eine Riesen-Tsunamiwelle generiert, die sehr viele, Zehntausende Tote gefordert hat. Das vergessen wir nur, weil so ein großes Ereignis im Atlantik eben vergleichsweise selten ist, und nicht nur ein einziges Mal, sondern auch in der Geschichte der Menschheit durchaus öfter vorgekommen ist und noch häufiger im Mittelmeer. Wenn Sie das also statistisch sehen, kann man sagen, dass man fast alle acht bis zehn Jahre im Mittelmeer ein Tsunami-Ereignis haben kann.

Kassel: Prof. Rolf Emmermann war das vom Geoforschungszentrum Potsdam über das unter anderem dort entwickelte Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean, dessen Installation inzwischen begonnen hat.
Erdboden als Lautsprecher-Membran: Tsunami
Erdboden als Lautsprecher-Membran: Tsunami© AP