Emotionale Vollbremsungen
Alex Herwig heißt die Heldin dieses Romans am Steuer. Sie eignet sich einen Kennerblick für die Psyche ihrer Fahrgäste an, schreckt aber vor Entscheidungen in ihrem Leben zurück. Karen Duve, die sich selbst viele Jahre mit dem Taxifahren ernährt hat, beschreibt Alex' Wandlung in "Taxi" mit einer Mischung aus Schnoddrigkeit, Witz und Melancholie.
Diese Frau weiß, wovon sie schreibt: Dreizehn Jahre lang fuhr die heute 46-jährige Karen Duve in Hamburg Taxi, ehe sie vom Lenkrad abließ und das Wagnis einer Existenz als freie Schriftstellerin einging. Und weil diese Taxi-Erfahrungen nicht im Orkus des Vergessens versickern durften, hat sie sich nun aufgerafft, einen gleichermaßen intelligenten wie komischen Taxi-Roman zu verfassen.
Alex(andra) Herwig heißt die Heldin am Steuer. Die lapidare Erkenntnis "So ging das nicht weiter" bringt die attraktive junge Frau dazu, bei einem dubiosen Taxiunternehmer anzuheuern und sich künftig als viel bestaunte Chauffeurin die Nächte um die Ohren zu schlagen. Von 1984 bis 1990 reichen die beiden Romanteile, sechs Jahre, die als Endlosfahrt verstreichen, sechs Jahre, in denen Alex in ihrem Wagen mit der Nummer 244 reichhaltige Erfahrungen mit der menschlichen Spezies macht:
"Wer kein Taxifahrer ist, ahnt ja gar nicht, wie viele Verrückte und ambulant Schizophrene frei herumlaufen."
Durchsetzungsschwach, unflexibel, geldgierig – so sieht sich Alex selbst, und das von Wiederholungen geprägte Taxifahrerdasein erlaubt es ihr, diese Charakterzüge auszuleben und vor Entscheidungen zurückzuschrecken, die über die Frage "Über Winterhude oder Eppendorf zum Flughafen?" hinausgehen.
Wiewohl sie bis zuletzt Mühe hat, Straßennamen korrekt zu orten, eignet sie sich einen berufsbedingten Kennerblick für die Psyche ihrer Fahrgäste an. Alte Omis (eine beliebte Kundschaft), gewalttätige Zuhälter, lallende Sturzbetrunkene, verklemmte Lüstlinge, bebrillte Feuilletonredakteure (eine unbeliebte Kundschaft) oder wankelmütige Selbstmordkandidaten – nichts ist gestandenen Taxifahrern fremd, und spätestens wenn Alex nächtens mit ihren Kollegen zusammensteht und "schreckliche Taxi-Geschichten" austauscht, zeigt sich, dass dieser Berufsstand nicht mit anderen zu vergleichen ist.
Halt geben in diesem Durcheinander nur die Kollegen – fast alles Möchtegernkünstler – und das gemeinsame Hassobjekt: die Fahrgäste, diese "Feinde, die verachtet werden mussten" und die sich als ekelerregende "Dreckhecken" nicht scheuen, den Fahrgastraum Tag für Tag aufs Widerwärtigste einzuschmutzen.
Karen Duve beschreibt diese "emotionalen Vollbremsungen" mit der ihr eigenen Mischung aus Schnoddrigkeit, Witz und Melancholie. Alex' Jahre zerrinnen; entschlusslos kommt sie vom Taxifahren nicht los – ebenso wenig wie von ihren Liebhabern, die sie wie die Fahrspuren vor dem Hamburger Hauptbahnhof wechselt. Erst ein dramatisches Finale, in dem Alex' Lieblingstier, der Affe, eine wichtige Rolle spielt, sorgt mit einem Knalleffekt dafür, dass die Karriere am Steuer endet – wie dieser hoch angenehme Roman. Keiner, der ihn gelesen hat, wird jemals wieder achtlos in ein Taxi steigen.
Rezensent: Rainer Moritz
Karen Duve: Taxi
Roman. Eichborn Verlag, Berlin 2008.
313 Seiten, 19,95 Euro
Alex(andra) Herwig heißt die Heldin am Steuer. Die lapidare Erkenntnis "So ging das nicht weiter" bringt die attraktive junge Frau dazu, bei einem dubiosen Taxiunternehmer anzuheuern und sich künftig als viel bestaunte Chauffeurin die Nächte um die Ohren zu schlagen. Von 1984 bis 1990 reichen die beiden Romanteile, sechs Jahre, die als Endlosfahrt verstreichen, sechs Jahre, in denen Alex in ihrem Wagen mit der Nummer 244 reichhaltige Erfahrungen mit der menschlichen Spezies macht:
"Wer kein Taxifahrer ist, ahnt ja gar nicht, wie viele Verrückte und ambulant Schizophrene frei herumlaufen."
Durchsetzungsschwach, unflexibel, geldgierig – so sieht sich Alex selbst, und das von Wiederholungen geprägte Taxifahrerdasein erlaubt es ihr, diese Charakterzüge auszuleben und vor Entscheidungen zurückzuschrecken, die über die Frage "Über Winterhude oder Eppendorf zum Flughafen?" hinausgehen.
Wiewohl sie bis zuletzt Mühe hat, Straßennamen korrekt zu orten, eignet sie sich einen berufsbedingten Kennerblick für die Psyche ihrer Fahrgäste an. Alte Omis (eine beliebte Kundschaft), gewalttätige Zuhälter, lallende Sturzbetrunkene, verklemmte Lüstlinge, bebrillte Feuilletonredakteure (eine unbeliebte Kundschaft) oder wankelmütige Selbstmordkandidaten – nichts ist gestandenen Taxifahrern fremd, und spätestens wenn Alex nächtens mit ihren Kollegen zusammensteht und "schreckliche Taxi-Geschichten" austauscht, zeigt sich, dass dieser Berufsstand nicht mit anderen zu vergleichen ist.
Halt geben in diesem Durcheinander nur die Kollegen – fast alles Möchtegernkünstler – und das gemeinsame Hassobjekt: die Fahrgäste, diese "Feinde, die verachtet werden mussten" und die sich als ekelerregende "Dreckhecken" nicht scheuen, den Fahrgastraum Tag für Tag aufs Widerwärtigste einzuschmutzen.
Karen Duve beschreibt diese "emotionalen Vollbremsungen" mit der ihr eigenen Mischung aus Schnoddrigkeit, Witz und Melancholie. Alex' Jahre zerrinnen; entschlusslos kommt sie vom Taxifahren nicht los – ebenso wenig wie von ihren Liebhabern, die sie wie die Fahrspuren vor dem Hamburger Hauptbahnhof wechselt. Erst ein dramatisches Finale, in dem Alex' Lieblingstier, der Affe, eine wichtige Rolle spielt, sorgt mit einem Knalleffekt dafür, dass die Karriere am Steuer endet – wie dieser hoch angenehme Roman. Keiner, der ihn gelesen hat, wird jemals wieder achtlos in ein Taxi steigen.
Rezensent: Rainer Moritz
Karen Duve: Taxi
Roman. Eichborn Verlag, Berlin 2008.
313 Seiten, 19,95 Euro