Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet heute als Autor, Referent und freier Journalist.
Das outgesourcte Mitgefühl
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In Zukunft werden Maschinen den Großteil unserer Arbeit erledigen. Übrig bleiben Empathieberufe wie Krankenpfleger oder Psychologin, so Prognosen. Erwartet uns ein neues Jobwunder? Der Publizist Uwe Bork bezweifelt das.
Nicht die schlechtesten Erinnerungen an meine Kindheit habe ich merkwürdigerweise an Tage, an denen ich krank war. Wenn mir die Nase lief und meine Stirn glühte, durfte ich den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und wurde von meiner Mutter mit heißem Tee und dem – nahezu – unbegrenzten Zugang zu Radio und Fernsehen verwöhnt.
Für Kranke war erst einmal die Familie zuständig: Das war immer so gewesen und das war quasi Ehrensache. Genauso wie die Versorgung meiner Oma, als die zunehmend dement wurde. Vor allem für meine Mutter bedeutete das mehr Stress und mehr Arbeit, aber wer hätte es denn sonst tun sollen, damals in den Sechzigern?
Wohlfahrtsverbände beschäftigen 1,4 Millionen Menschen
Heute ist das anders. Inzwischen sind zahlreiche Angebote entstanden, die gegen Bares Barmherzigkeit bieten. Jedenfalls für die, die sich das leisten können. Dienstleistungen auf sozialem Gebiet sind wichtiger geworden. Ohne sie kann keine Industriegesellschaft mehr funktionieren.
Schon jetzt sind bei den deutschen Wohlfahrtsverbänden rund 1,4 Millionen Menschen beschäftigt: eine Zahl, die in der Zukunft sicher noch steigen wird und die die unzähligen kommerziellen Unternehmen im Therapie- und Gesundheitsbereich noch gar nicht umfasst. Sich um seinen Nächsten zu kümmern, entspricht eben nicht nur den Kerngedanken aller großen Religionen, es ist auch zu einem erfolgversprechenden Geschäftsmodell geworden.
KI kann persönliche Betreuung nicht ersetzten
Angesichts der Tatsache, dass nach einer Studie der OECD jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland in absehbarer Zeit von einem Computer oder Roboter übernommen werden könnte, dürfte eine Verlagerung von Jobs aus dem Produktions- in den Dienstleistungssektor durchaus Chancen dafür bieten, sich nicht von den schein-schlauen Algorithmen raffinierter Rechner in die Ecke trostloser Arbeitslosigkeit drängen zu lassen.
"Die künstliche Intelligenz kann niemals die persönliche Ansprache, das Zuhören und Beraten, das Betreuen ersetzen", singt da beispielsweise der Philosoph und Autor Richard David Precht das Loblied auf die sogenannten Empathieberufe, die die Sorge um andere Menschen zu einem bezahlten Metier gemacht haben. Er sieht die Konjunktur des sozialen Bereichs gleichsam als Kehrseite der Industrie 4.0: "Wenn wir mehr Digitalisierung wollen, müssen wir dies mit einem Mehr an Menschlichkeit flankieren."
Zuwendung wird von externen Dienstleistern erledigt
In der Tat: Das Maß an Menschlichkeit und Zuwendung, das meine Mutter mir auf unserem Familiensofa noch bieten konnte und das verloren ging, als die bürgerliche Kleinfamilie sich unter den Anforderungen fortschreitender Erwerbstätigkeit in ihre Einzelteile auflöste, dieses Maß an Menschlichkeit und Zuwendung wird jetzt quasi outgesourced. Die erfolgreiche Maxime des fortgeschrittenen Kapitalismus, nach der moderne Manager vieles von dem, was nicht zum direkten Kerngeschäft ihres Betriebes gehört, zu externen Dienstleistern verlagern, beginnt nun offenbar auch das soziale Netz unserer Gesellschaft zu verändern.
Bessere Arbeitsbedingungen für Empathieberufe
Das kann schlecht sein, wenn wir unsere Mitmenschlichkeit und unsere Empathie demnächst nur noch an professionelle Helfer delegieren und selbst nur noch auf unser persönliches Vorankommen schauen. Das muss aber nicht schlecht sein, denn wenn sich mehr Menschen in absehbarer Zukunft um Menschen statt um Maschinen kümmern, könnte das auch zu einem neuen Klima des Miteinanders führen und nicht zuletzt Menschen glücklich machen: Meine Mutter hat sich schließlich stets mit am meisten gefreut, wenn meine Nase ihren Normalbetrieb wieder aufnahm.
Eines sollte bei aller Euphorie über ein mögliches neues Jobwunder allerdings nicht vergessen werden: Auch von Empathieberufen muss man leben können. Wenn die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich nicht zügig verbessert werden, wird Frust statt Freude einkehren bei denen, auf deren Hilfe wir doch nicht mehr verzichten können.