Empfindliche Generation Y

Schmollen – ein neuer Volkssport

03:46 Minuten
Ein junger Mensch mit Kapuzenshirt und Smartphone in der Hand sitzt auf einer Barriere.
Schnell verletzt sein und fehlende Konfliktfähigkeit kennzeichnen die "Generation Schneeflocke", so Jörg Bernardy. © Unsplash / Jon Tyson
Überlegungen von Jörg Bernardy |
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Junge Menschen können schlecht mit Gefühlen und Kritik umgehen – und ziehen es vor zu schmollen: So fasst Jörg Bernardy ein Grundproblem der Generation Y zusammen. Beleidigt sein liege aber darüber hinaus im Trend, hat der Philosoph beobachtet.
Wir erleben aktuell ein neues Zeitalter der Empfindsamkeit. "Generation Schneeflocke" heißt das geflügelte Wort, das seit geraumer Zeit die Runde macht. Schnell verletzt, konfliktunfähig und schier unerfüllbare Ansprüche an sich und ihr Umfeld, so werden die typischen Merkmale der jungen Generation immer wieder zusammengefasst.

Ausblenden und Blockieren statt Konfrontation

Die neue Empfindlichkeit zeigt sich paradoxerweise an einem Defizit im Umgang mit Gefühlen: Statt sich Wut oder Neid einzugestehen, zieht man es vor zu schmollen. In sozialen Netzwerken zum Beispiel wird nicht nur gefolgt, geliked und kommentiert. Auch Funktionen, die Beleidigtsein und Konfliktvermeidung befördern, werden aktiv genutzt. So etwa das Entfolgen, Entfreunden oder gar Blockieren von Kontakten. Ebenso das gezielte Verbergen und Ignorieren von Beiträgen und Kommentaren. Nicht zu vergessen die Snooze-Funktion, mit der man andere eine Zeit lang "stumm schalten" kann.
All diesen Verhaltensweisen ist gemeinsam, dass sie negative Gefühle und Kritik abwehren. Dahinter steht aber auch der Wunsch, sich vor unliebsamen Meinungen zu schützen. Und die Tendenz, sich allein dadurch beleidigt zu fühlen, dass jemand eine andere Weltsicht vertritt.

Schmollen als öffentliche Protesthaltung unserer Zeit

Die fragilen Schneeflocken kommen längst nicht mehr nur aus der jungen Generation. Weiße Männer fühlen sich diskriminiert, wenn Männlichkeit von Psychologen als toxisch bezeichnet wird. Veganer fühlen sich auf den Schlips getreten, weil Sarah Wiener die Zusammensetzung von Mandelmilch kritisiert. Und in jeder noch so harmlos scheinenden Aussage lässt sich eine Mikro-Aggression finden.
Was einst Minderheiten vorbehalten war, scheint zum Trend zu werden: Jeder und jede kann sich diskriminiert fühlen und gibt es sogar öffentlich zu, selbst Präsidenten und Machthaber. So hatte Donald Trump vor knapp drei Jahren eine "Schutzzone" eingefordert, als im Rahmen einer Kulturveranstaltung seine Politik kritisiert wurde.

Epoche der Romantik hat Beziehungs-Schmollen ermöglicht

Bisher war öffentliches Schmollen eigentlich Kindern vorbehalten. Bei Erwachsenen gilt es schnell als kindisch und peinlich. Allzu offensichtliche und ungenierte Schmollanfälle haben wir uns bis dato weitestgehend im geschützten Raum des Privaten genehmigt. Niemand sonst kommt so sehr in den Genuss unseres Schmollens wie diejenigen, die uns am nächsten stehen: unsere Liebsten.
Erst mit der Romantik vor gut 200 Jahren sei Schmollen auch in unseren Beziehungen aufgetaucht, so die These des Philosophen Alain de Botton. Denn erst seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden Gefühle und Leidenschaft zu wichtigen Voraussetzungen unserer Liebesbeziehungen.
Aber damit hat sich auch ein neuer Perfektionismus in unsere Beziehungen eingeschlichen, der uns im Alltag oft überfordert. Häufig steht hinter dem Beziehungs-Schmollen eine zutiefst romantische Einstellung. Der Partner solle doch bitte unsere Wünsche und Absichten verstehen und zwar, ohne dass wir diese explizit benennen müssen.

Mischung aus Frust und zu hoher Erwartungshaltung

Die Schmollreaktion erwächst somit aus einer viel zu hohen Erwartungshaltung. Gleichzeitig will man sein Gegenüber vor dem eigenen Frust schützen. Schmollen besteht in genau dieser unfreiwilligen Mischung aus unterdrückter Wut und stillschweigender Kommunikationsverweigerung.
Und die Konsequenzen? Ist man das nächste Mal versucht, einen Beitrag in den sozialen Netzwerken zu verbergen oder eine Person zu blockieren, sollte man sich vielleicht kurz fragen, welches Gefühl und welche Erwartung man möglicherweise unterdrückt.
Ansonsten laufen wir nämlich Gefahr, uns in eine Gesellschaft zu verwandeln, die alles Unangenehme ausblendet. Mit hochsensiblen Menschen, die sich zwar alle eine bessere Welt wünschen, sich aber nicht einmal ihre wahren Gefühle eingestehen können.

Jörg Bernardy, geboren 1982, ist Philosoph, freier Autor und Impulsgeber für Gesellschaft, Politik und Medien. In seinen illustrierten Jugendsachbüchern macht er komplexe Fragen und aktuelle Gesellschaftsthemen für den Alltag zugänglich. Zuletzt erschien 2018 erschien sein Jugendsachbuch "Mann Frau Mensch". Jörg Bernardy lebt in Hamburg.

© Martina Klein
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