Sollen Sojaimitate weiter "Fleisch" oder "Wurst" heißen dürfen?
"Wo Fleisch draufsteht, muss auch Fleisch drin sein", meint Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Doch er erntet damit laute Kritik von ungewohnter Seite: Die Slow-Food-Bewegung und Veganer empören sich über sein Plädoyer für unverwechselbare Bezeichnungen.
Agrarminister Christian Schmidt hat den Verbraucherschutz entdeckt. Er fordert, Fleischimitate sollten nicht mehr als "vegetarisches Fleisch" oder "vegane Currywurst" gekennzeichnet werden. So wie auch Margarine nicht Rapsbutter heißt. Korrekte und unverwechselbare Bezeichnungen sind ein Pfeiler des Verbraucherschutzes. Naturgemäß versuchen die Hersteller dieses Prinzip auszuhöhlen, man denke nur an den Begriff "Nektar" für ein minderwertiges Saftimitat.
Als die Absichten des Ministers bekannt wurden, erhob sich lautstarker Protest. "Das ist dreist", schimpfte "Spiegel Online". Die Organisation Slow Food, die sich einst für den Erhalt der Esskultur stark gemacht hatte, schlägt in die gleiche Kerbe und empfand die "Empörung", den "Hohn und Spott" als durchaus angebracht. Schließlich wolle der Minister die "Ersatzprodukte mit einer Verbotspolitik überziehen". Irrtum – es geht darum, eine Täuschung zu verhindern, nicht die Produkte.
Slow Food hält den Gedanken, der Kunde könnte ein "Soja-Rinderfilet" für ein Stück vom Rind halten, für "baren Unsinn". Demnach wäre eine Mais-Poularde nur eine Polenta in Hähnchenform. Damit redet der einstmals honorige Verein der Verbrauchertäuschung das Wort. Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen, ein fleischfreies Curry-Dingsbums als Wurst zu bezeichnen. Karottensaft würde ja auch "zu großen Teilen aus Orangen gewonnen". Tut mir leid: Karottensaft besteht aus Karotten, der aus Orangen heißt Orangensaft. Aber auch bessere Beispiele helfen hier nicht weiter: Denn der Hinweis, dass im Safthandel getrickst wird, kann kein Grund sein, dieses nun für Fleischwaren zu fordern.
Fleischlobby schwimmt auf Täuschungswelle mit
Minister Schmidt muss sich allenfalls die Frage gefallen lassen, warum er erst jetzt auf diese Idee kommt? Doch Slow Food meint, die Deklaration sei ja gar nicht das Problem, viel schlimmer seien die Zutaten der "hochprozessierten, mit unzähligen Zusatz- und Konservierungsstoffen zusammengerührten Nahrungsmasse". Wenn das so ist, dann wäre nicht nur eine unmissverständliche Kennzeichnung erforderlich, sondern auch ein Verbot derartiger "Nahrungsmassen" in Kitas und Schulen.
Angeblich steckt hinter des Ministers Vorstoß die Fleischlobby – doch gerade die ist es, die auf der Täuschungswelle mitschwimmt. Da hat sie ja auch Erfahrung: Denken wir nur an die Transglutaminasen, mit denen sie kleine Fleischteilchen zu Schinken verleimt. Auch sie bietet inzwischen ein Sortiment veganer Produkte an und deklariert diese wie Fleischwaren, um die Wertschöpfung zu erhöhen. Die wird sich über die Schützenhilfe der veganen Klientel freuen. (Eine Internetsuche nach "vegane Wurst" bringt leicht eine halbe Million Treffer.)
Warum eigentlich wollen alle vom guten Ruf des Fleischs profitieren? Warum sind Vegetarier nicht nur hinter dem Bratengeschmack her wie Nachbars Lumpi hinterm Knochen, sondern wollen auch unbedingt von dessen angeblich so schlechten Image profitieren? Wären sie stolz auf ihre Kost, dann wären Bezeichnungen wie "Sojagummi mit Hamburgergeruch" ein Alleinstellungsmerkmal.
Skandal über "Analogkäse" scheint vergessen
Es ist schon beachtlich, wie schnell Gut und Böse den Platz tauschen: Noch vor wenigen Jahren löste der "Analogkäse" einen Skandal aus, heute wird das gleiche Produkt als Alternative zu Käse gehypt. Damals packte die Nation noch das Grausen, als sie erfuhr, dass bei Pizza, Cordon bleu und Käsebrötchen der gute Käse durch Imitate ersetzt worden war. Nun gilt das als Fortschritt.
Die Reaktionen auf den längst überfälligen Vorschlag des Ministers sind von Heuchelei geprägt. Gewöhnlich regt sich das vegane Publikum über jedes Fitzelchen Tier in seinen Produkten auf, ja sogar ein Klacks Schmalz zum Schmieren der Druckmaschinen für Banknoten reicht für lautstarke Empörung. Und jetzt ist es "dreist", wenn Sojaimitate nicht mehr "Fleisch" oder "Wurst" heißen dürfen?
Zur Erinnerung: 2003 trat in der EU ein Reinheitsgebot in Kraft, demzufolge nur noch Muskelfleisch als "Fleisch" bezeichnet werden durfte. Damit ging eine Forderung der Verbraucherverbände in Erfüllung, denn damals zählten noch die Innereien dazu.
Mahlzeit!
Literatur:
Böcking D: Schmidts Hack-Ordnung. SpiegelOnline 28. Dez. 2016
Sheets S/Kriener M: Wurstige Interessenpolitik. Slow Food Presseinformation, Berlin 3. Jan. 2017
Jahberg H, Wittlich H: Ernährungsminister will Fleischnamen für Veggie-Produkte verbieten. TagesspiegelOnline 28. Dez. 2016
Pollmer U, Niehaus M: Food Design: Panschen erlaubt. Hirzel, Stuttgart 2006
Anon: "EU-Reinheitsgebot" für Fleisch in Kraft Neue Etikettierungsvorschriften - Übergangsfristen bis 1. Juli dieses Jahres. Allgemeine Fleischerzeitung Nr.3, 15. Jan 2003, S.4
Kraus M: Vegetarisch und Vegan: Rechtsrahmen einer pflanzenbasierten Ernährung. Behr’s Jahrbuch für die Lebensmittelwirtschaft 2017; S. 111-118
Böcking D: Schmidts Hack-Ordnung. SpiegelOnline 28. Dez. 2016
Sheets S/Kriener M: Wurstige Interessenpolitik. Slow Food Presseinformation, Berlin 3. Jan. 2017
Jahberg H, Wittlich H: Ernährungsminister will Fleischnamen für Veggie-Produkte verbieten. TagesspiegelOnline 28. Dez. 2016
Pollmer U, Niehaus M: Food Design: Panschen erlaubt. Hirzel, Stuttgart 2006
Anon: "EU-Reinheitsgebot" für Fleisch in Kraft Neue Etikettierungsvorschriften - Übergangsfristen bis 1. Juli dieses Jahres. Allgemeine Fleischerzeitung Nr.3, 15. Jan 2003, S.4
Kraus M: Vegetarisch und Vegan: Rechtsrahmen einer pflanzenbasierten Ernährung. Behr’s Jahrbuch für die Lebensmittelwirtschaft 2017; S. 111-118