Emran Feroz: "Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror"
Westend Verlag, 2021
223 Seiten, 18 Euro
Scheitern mit Ankündigung
05:16 Minuten
Nach 20 Jahren "Krieg gegen den Terror" haben die Taliban die Macht in Afghanistan wieder übernommen. Emran Feroz zeichnet mit tiefen Einblicken in Kultur und Geschichte des Landes die Chronologie einer Katastrophe nach.
Seit die Taliban die afghanische Regierung gestürzt haben, ist selbst dem unaufmerksamsten Beobachter klar: Der "längste Krieg" der USA ist gescheitert. Und so fragt sich die Welt seit August 2021: Wie konnte das passieren?
Emran Feroz stellt keine Fragen, er gibt Antworten. Auch wenn das Buch schon vor der Machtübernahme der Taliban in den Druck ging, zeigen seine Schilderungen, dass das Scheitern des Ghani-Regimes unvermeidlich war.
Feroz nimmt kein Blatt vor den Mund. Seit Jahren reist er durch das Land, interviewt Politiker, aber auch die Landbevölkerung, die in der üblichen Berichterstattung selten zu Wort kommt, obwohl sie die Mehrheit des Landes bildet.
Das Urteil ist deutlich: Seit 2001 herrscht in Afghanistan ein korruptes Regime, das zum Großteil aus brutalen Warlords besteht. Hilfsgelder werden von dieser Polit-Elite, von denen viele ihre eigene Privatarmee unterhalten, ins Ausland geschafft. "Der Großteil der Bevölkerung profitiert in keiner Weise von westlichen Hilfsgeldern", schreibt Feroz und zeigt damit, dass die Probleme des Landes weitaus größer sind als die Taliban allein.
Keine Phase der Ruhe
Im ersten Teil des Buchs umreißt Feroz die Geschichte der letzten 50 Jahre, erzählt kurz und präzise, wie es zur militärischen Intervention des Jahres 2001 kam. Er beschreibt den sowjetischen Krieg der Achtzigerjahre, erwähnt die massive Bombardierung, unter der besonders die Landbevölkerung litt, und beschreibt, wie die intellektuelle Elite des Landes durch den afghanisch-kommunistischen Geheimdienst KhAD systematisch verschleppt, gefoltert und ermordet wurde.
Ohne, dass Afghanistan jemals Zeit hatte, diese brutale Ära aufzuarbeiten, stürzte das Land in den Neunzigern in einen Bürgerkrieg, dann kam die Taliban-Herrschaft. Nach dem 11. September 2001 wurde das Land schließlich zu einem Hauptschauplatz des "War on Terror".
So kommt auch der Leser nicht zur Ruhe: Die vermeintliche "Befreiung" durch die Intervention der internationalen Truppen wird zum Auftakt einer neuen, brutalen Phase des Krieges. Wieder Bombenangriffe, wieder Mord und Verschleppung.
Durch die CIA kommt es zur Neueröffnung des berüchtigten kommunistischen Foltergefängnisses in Bagram, diesmal als amerikanisches Militärgefängnis. "Bagram war schlimmer als Guantanamo", erzählt ein ehemaliger Gefangener, der beide kennt.
Außerdem beschreibt Feroz Drohnenangriffe auf Hochzeiten, australische Soldaten, die zum Vergnügen Zivilisten jagten, und die Bombardierung eines Krankenhauses der Ärzte ohne Grenzen durch das US-Militär. Durch diese Aufzählungen wird klar, warum die USA und die Sowjetunion von vielen Afghanen mittlerweile ähnlich feindlich wahrgenommen werden.
Verbrechen einer korrupten Elite
Besonders hart ins Gericht geht Feroz mit der politischen Elite Afghanistans. Neben den bekannten Gesichtern wie Hamid Karzai, Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, greift er auch die etwas unbekannteren Akteure auf.
Zum Beispiel Asadullah Khaled, der noch bis Juni Verteidigungsminister des Landes war. Dieser habe sich in seinen Luxusresidenzen in Kandahar und Ghazni private Folterkeller eingerichtet, hielt verschleppte Mädchen als Sexsklavinnen und gab Morde an fünf UN-Mitarbeitern in Auftrag, nachdem diese seine lukrativen Drogengeschäfte gefährdeten. Bis vor kurzem profitierte er trotzdem von westlichen Hilfsgeldern, war Teil der "demokratischen" Regierung des Landes.
Auch die Politikerin Fawzia Koofi wird erwähnt, die in westlichen Medien vor allem als Frauenrechtlerin auftritt. Koofi sei "für Korruption und andere fragwürdige Geschäfte bekannt". Sie profitiere vom mafiösen Schmuggler- und Drogennetzwerk ihrer Brüder, wurde aber trotzdem im Jahr 2020 für den Friedensnobelpreis nominiert.
Dass nachweisliche Kriegsverbrecher und Kriminelle vom Westen finanziell und ideologisch unterstützt wurden, sieht Feroz als eines der größten Probleme des gesamten Konflikts: "Man hat keineswegs demokratische Institutionen gefördert, sondern in erster Linie eine Kleptokratie errichtet."
Man trieb das Land in die Hände der Taliban
Die afghanische Bevölkerung, die in den ersten Jahren der internationalen Intervention noch an eine Befriedung des Landes glaubte, war spätestens mit der Beförderung brutaler Warlords wie Rashid Dostum und Abdul Rasul Sayyaf in wichtige Regierungsposten desillusioniert.
So lautet Feroz‘ Einschätzung: Zusammen mit den vielen Drohnenangriffen, unter denen besonders Zivilisten litten, treibe man das Land geradezu in die Hände der Taliban. Nur wenige Wochen später zeigt sich, wie richtig er damit lag.
Das Buch liest sich schnell, es zu verarbeiten dauert jedoch lange. Die einzige Frage, die man sich am Ende stellt, lautet daher nicht mehr: Wie konnten die Taliban das Land so schnell einnehmen? Sondern: Wie konnten wir jemals glauben, dass dieser "Krieg gegen den Terror" Afghanistan sicherer macht?